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Rede an die Nation
Russlands neue Rivalen

Seit 16 Jahren führt Wladimir Putin den flächenmäßig größten Staat der Erde. In einer Rede an die Nation skizziert der russische Präsident einmal jährlich seine Leitlinien: Kein Wort über die Ukraine, wenige Vorwürfe gegen den Westen - stattdessen augenscheinlich leise Selbstkritik. Und die neuen lauernden Gefahren sucht Putin jetzt im Süden.

03.12.2015
    Russlands Präsident Wladimir Putin hält im Kreml die traditionelle Rede an die Nation
    Russlands Präsident Wladimir Putin hält im Kreml die traditionelle Rede an die Nation (picture-alliance / dpa)
    "Sie werden bereuen, was sie getan haben." Der russische Präsident begann seine traditionelle Ansprache vor etwa 1.000 Amts- und Würdenträgern im Georgs-Saal im Kreml mit einem Paukenschlag. Das türkische Volk sei fleißig, aber das "Regime" in Ankara sei "verräterisch", sagte Putin mit Blick auf den Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei vor gut einer Woche im Grenzgebiet zu Syrien. Er höhnte, "Allah hat beschlossen, die regierende Clique in der Türkei zu bestrafen, indem er sie um den Verstand gebracht hat".
    Russland werde nicht mit dem Säbel rasseln, ergänzt Putin, aber "wenn jemand ein hinterhältiges Kriegsverbrechen begeht, einen Mord an unseren Leuten, und dann denkt, er käme mit (einem Importverbot für) Tomaten davon oder ein paar Beschränkungen im Baugewerbe und anderen Branchen, dann täuscht er sich". Über die Jahrhunderte sind Russland und die Türkei nur für kurze Phasen befreundet gewesen - zwischen den Weltkriegen und in den letzten Jahren.
    Wie eine Anti-Hitler-Koalition im 20. Jahrhundert
    Einmischung von außen - konkreter wurde Putin nicht - habe in Ländern wie Syrien und dem Irak Chaos geschaffen. Die russischen Streitkräfte in Syrien kämpften dagegen mit Zustimmung von Präsident Baschar al-Assad und seien erfolgreich gegen den Terror. "Eine besondere Gefahr geht heute von den Kämpfern aus, die sich in Syrien angesammelt haben", sagte Putin. Er warb erneut für eine Anti-Terror-Allianz, "die auf dem Völkerrecht begründet ist und von den UN geführt wird".
    Putin verglich diese Anstrengung mit einer Anti-Hitler-Koalition im 20. Jahrhundert, berichtet unsere Korrespondentin Sabine Adler. "Die historischen Parallelen sind offensichtlich: Damals wollte man auch nicht gleich seine Kräfte vereinen gegen den Nazismus. Millionen von Menschen bezahlten dafür mit ihrem Leben. Heute stehen wir wieder vor einer zerstörerischen, barbarischen Ideologie." Schließlich appellierte er an die möglichen beteiligten Staaten dieser "Koalition der Willigen", zu der auch die Türkei zählte, "alle Differenzen beizulegen".
    Putin will mehr Freiheiten
    Auf die angekündigte Verlängerung der Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland um ein halbes Jahr ging Putin nur indirekt ein. Er wolle mit einer Ausweitung der unternehmerischen Freiheiten reagieren. "Wir müssen das Vertrauen zwischen der Staatsmacht und der Wirtschaft stärken und das Geschäftsklima im Land verbessern", sagte er. Die Freiheit des Unternehmertums sei eine der wichtigsten ökonomischen und gesellschaftlichen Fragen. Während der Rede fuhren Tausende Lastwagenfahrer - die meisten sind selbstständig - auf Moskau zu, um gegen eine neue Straßenmaut zu protestieren.
    Diese Freiheit dürfe aber nicht mit Korruption verwechselt werden, deutete Putin an. Korruption sei ein maßgebliches Hindernis in der Entwicklung Russlands. Daraus könnten sich Interessenkonflikte ergeben, wenn etwa Familienmitglieder und Verwandte von Staatsdienern Firmen besitzen. "Ich bitte die Generalstaatsanwaltschaft, unverzüglich auf solche Informationen zu reagieren." Bei diesem Satz schwenkte die Kamera auf: Generalstaatsanwalt Juri Tschaika. Laut einer Recherche von Anti-Korruptionskämpfer Alexej Nawalny sind Tschaikas Sohn und Bekannte aus seinem Umfeld Hotelbesitzer in Griechenland geworden. Tschaika sprach heute noch von Lügen, von einer bezahlten Kampagne. Er kontrolliert seit 1999 für Putin die russische Strafverfolgung.
    "Periode der niedrigen Rohstoffpreise"
    Ein weiteres innenpolitisches Thema war die schweren Wirtschaftskrise. Putin stimmte seine Landsleute auf eine lange Durststrecke ein. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich die Periode der niedrigen Rohstoffpreise hinziehen wird, sich lange hinziehen wird." Einige Industriezweige seien in eine "Risikozone" gekommen. Die Struktur der russischen Wirtschaft müsse sich ändern, um die Aufgaben in den Bereichen Sicherheit und Soziales erfüllen zu können.
    Der deutsche Industrieverband VDMA, der Maschinen- und Anlagenbauer vertritt, gab bekannt, die deutschen Maschinenexporte nach Russland seien in diesem Jahr aufgrund der Sanktionen um 27 Prozent eingebrochen.
    "Zur Ukraine hat Putin kein Wort gesagt", vermerkte der Live-Ticker der regierungskritischen "Nowaja Gaseta" zum Ende der einstündigen Ansprache.
    (sdö/tzi)