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Rede vor der Generalversammlung
"Trump hat gegen die Charta der UNO verstoßen"

Der ehemalige UNO-Diplomat Gunter Pleuger hat die Rede von US-Präsident Donald Trump vor den Vereinten Nationen kritisiert. Mit dessen Drohung, Nordkorea möglicherweise anzugreifen, verstoße er gegen die Charta der UNO, sagte er im Dlf. Präventive Selbstverteidigung sei nicht zulässig.

Gunter Pleuger im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 20.09.2017
    Der Präsident der Europa-Universität Viadrina, Gunter Pleuger
    Gunter Pleuger, ehemaliger UNO-Botschafter Deutschlands (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Von dem "Gewalt- und Gewaltandrohungsverbot" in der UNO-Charte gibt es Pleuger zufolge nur zwei Ausnahmen: Einmal die Selbstverteidigung nach Art. 51 der Charta - darin stehe, man dürfe sich verteidigen, wenn ein Angriff auf einen selbst bereits erfolgt sei. Und zweitens die Befugnis des Sicherheitsrates, Maßnahmen gegen die Bedrohung gegen den Weltfrieden zu ergreifen. Deswegen müsse dem Sicherheitsrat sofort mitgeteilt werden, wenn man zur Selbstverteidigung greife.
    Pleugner kritisierte grundsätzlich Militäreinsätze zur Lösung von politischen Problemen. Man könne mit militärischen Mitteln vielleicht einen Konflikt stoppen - das poltische Problem dahinter könne jedoch nur mit Diplomatie gelöst werden, so Pleuger.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Das war eine Rede gestern Nachmittag, die auch heute noch für einigen Widerhall sorgt. Donald Trump vor den Vereinten Nationen. Er hat dort weit ausgeholt, Drohungen ausgeteilt in Richtung Nordkorea, Iran, Venezuela und Kuba. Und er hat das Budget der Vereinten Nationen kritisiert und er hat außerdem andere Länder aufgefordert, auch mehr an sich selbst zu denken, genauso wie er das immer macht, getreu seinem eigenen Motto "America first". Viele Punkte also, über die man sprechen kann. Am Telefon ist jetzt Gunter Pleuger, einer der erfahrensten deutschen Diplomaten. Von 2002 bis 2006 war er Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York. Er kennt dieses Räderwerk also in- und auswendig. Schönen guten Morgen, Herr Pleuger.
    Gunter Pleuger: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Pleuger, müssen wir besorgt sein nach diesem Auftritt?
    "Dieser Auftritt muss schon besorgt machen"
    Pleuger: Ich glaube, dieser Auftritt muss schon besorgt machen, denn es ist doch so, dass die UNO hier in einem Maße verkannt worden ist, dass es auch gefährlich aussieht. Sehen Sie, die Charta der Vereinten Nationen, die ja angenommen wurde, um Schreckliches wie den Zweiten Weltkrieg in Zukunft zu verhindern, geht davon aus, dass alle Staaten souverän und gleich sind. Zweitens - im Artikel zwei der Charta ist das alles beschrieben - ist es ausgesprochen verboten, irgendeine ausländische Intervention in einem anderen, national unabhängigen Staat zu machen. Von diesem Gewalt- und Gewaltandrohungsverbot gibt es nur zwei Ausnahmen. Einmal die sogenannte Selbstverteidigung nach Artikel 51 der Charta. Da steht drin, dass man sich selbst verteidigen darf, wenn ein Angriff erfolgt ist. Das heißt, es gibt keine präventive Selbstverteidigung. Man darf nicht hingehen und sagen, wir fühlen uns bedroht, deswegen greifen wir einen anderen Mitgliedsstaat an. Die zweite Ausnahme ist die Entscheidung des Sicherheitsrats, Maßnahmen gegen eine Bedrohung des Weltfriedens zu ergreifen. Und selbst wenn ich Selbstverteidigung betreibe, muss ich diese Selbstverteidigung sofort dem Sicherheitsrat mitteilen, damit der die notwendigen Maßnahmen ergreifen kann.
    Armbrüster: Jetzt muss man allerdings der Fairness halber sagen, dass Donald Trump da gestern sicher nicht der erste Politiker war, der so eine Generalversammlung nutzt, um anderen Ländern zu drohen, um offene Drohungen auszusprechen.
    "Kein politisches Problem ist militärisch zu lösen"
    Pleuger: Aber es ist ein Unterschied, wenn der Präsident der größten Macht der Welt und der größten Militärmacht der Welt einen anderen Staat damit bedroht, ihn völlig auszulöschen, obwohl bisher zwar Spannungen, aber noch kein Angriff auf die USA stattgefunden hat. Und ich glaube, dass das durchaus chartawidrig ist. Zum zweiten muss man sagen: Die Vereinten Nationen mit all ihren Fehlern sind die einzige multilaterale Organisation, die wir haben, um internationale Probleme friedlich zu lösen. Und die Erfahrung der letzten Jahrzehnte hat ja auch gezeigt, dass kein politisches Problem militärisch zu lösen ist. Es mag sein, das sieht die Charta ja auch vor, dass man mit militärischen Mitteln einen Konflikt stoppen kann und möglicherweise auch zur Einstellung der Kampfhandlungen beitragen kann, aber das politische Problem, das zum Konflikt geführt hat, das kann nur durch diplomatische Mittel und durch Verhandlungen gelöst werden.
    Armbrüster: Aber eine militärische Drohung im Hintergrund ist doch sehr häufig hilfreich auch in der Diplomatie.
    Pleuger: Nein, das ist sie nicht. Und vor allen Dingen: Sie ist nach der Charta der Vereinten Nationen verboten. Und das ist auch vernünftig, denn militärische Drohungen stößt immer nur der Stärkere gegenüber dem Schwächeren aus. Gerade das ist häufig ja der Anlass für Kriege gewesen in der Vergangenheit und deshalb hat die Charta der Vereinten Nationen das verboten.
    Armbrüster: Ich will jetzt nicht mit Ihnen noch weiter über militärische Drohungen diskutieren. Da gibt es möglicherweise das eine oder andere Beispiel, was man nennen könnte. Aber Herr Pleuger, wenn ich Sie da richtig verstanden habe? Sie sagen, Donald Trump hat gestern mit dieser Rede gegen die Charta der UNO verstoßen?
    "Es wird Stellungnahmen dazu geben, was der Präsident Trump gesagt hat"
    Pleuger: Ja. Nach meiner Meinung ja.
    Armbrüster: Hat er dann die Arbeitsweise der UNO nicht verstanden?
    Pleuger: Das scheint so mindestens. Aber es kann natürlich auch anderes dahinter stecken, insbesondere auch Innenpolitik und die Interessen einer Großmacht. Das erleben wir ja sowieso täglich im Sicherheitsrat, wo die fünf ständigen Mitglieder, die jede Entscheidung verhindern können durch ein Veto, in aller Regel zunächst ihre eigenen Interessen durchsetzen und gegebenenfalls eine Entscheidung verhindern.
    Armbrüster: Wie sollte denn die UNO auf so einen Verstoß reagieren?
    Pleuger: Die UNO wird darauf reagieren, dadurch, dass jetzt zu Beginn der Generalversammlung ja immer die Woche der Staats- und Regierungschefs und der Außenminister ist, und ich denke mal, im Laufe dieser Woche wird es Stellungnahmen dazu geben, was der Präsident Trump gesagt hat. Es ist ja auch bezeichnend, dass bei dem Zehn-Punkte-Plan für die Reform der Vereinten Nationen, den Trump am Montag vorgestellt hat, nur 128 der 193 Staaten Zustimmung bekannt gegeben haben. Immerhin ein Drittel der Mitgliederschaft hat sich dazu noch nicht geäußert, darunter auch wichtige Staaten und auch ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats, nämlich Russland. Die werden jetzt natürlich im Laufe dieser Woche dazu noch Stellung nehmen.
    Armbrüster: Was sollte denn Deutschland sagen? Was sollte Sigmar Gabriel sagen, wenn er da am Donnerstag auftritt?
    "Diplomatische Lösungen auch schwierigster Probleme sind möglich"
    Pleuger: Sigmar Gabriel hat schon das richtige gesagt, als er in China war, nämlich dass auch dieser Konflikt um Nordkorea nur mit diplomatischen Mitteln zu lösen ist und deshalb Verhandlungen stattfinden müssen. Er hat im Übrigen darauf hingewiesen, auf das erfolgreiche Beispiel Iran. Auf Initiative Deutschlands und der anderen fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats haben wir vier Jahre verhandelt und Deutschland war essentiell daran beteiligt, diesen Vertrag auszuarbeiten. Das hat gezeigt: Vertragliche Lösungen, diplomatische Lösungen auch schwierigster Probleme sind möglich.
    Armbrüster: Trotzdem muss man sagen, nach wie vor werden im Iran Menschenrechte unterdrückt.
    Pleuger: Das ist richtig. Aber es ging beim Vertrag um Iran darum, mit den Iranern zu einem Vertrag zu kommen, der ausschließt, dass Iran eine Atombombe baut und Nuklearmacht wird. Es ging nicht um Menschenrechte. Die muss man natürlich auch einfordern und darüber muss auch weiter gesprochen werden, und das ist ja auch der Fall.
    Armbrüster: Herr Pleuger, jetzt hat der US-Präsident gestern in dieser Rede auch die UNO-Bürokratie kritisiert, das Budget und die verkrusteten Strukturen. Hat er da nicht zumindest einen Nerv getroffen, etwas angesprochen, was überfällig war?
    "Nur der Sicherheitsrat kann eine verbindliche Entscheidung treffen"
    Pleuger: Ja. Darüber reden wir aber schon seit ungefähr 30, 40 Jahren. Nun muss man zwei Dinge sehen. Erstens mal: Eine solche Kritik ist natürlich gerichtet gegen eine Organisation, die gerade nicht das ist, was unterstellt wird. Die UNO ist keine Weltregierung. Die UNO ist eine ständige Konferenz der Mitgliedsstaaten. Wenn die UNO Schwierigkeiten hat, wenn die UNO versagt hat, dann ist das in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Mitgliedsstaaten, die allein entscheiden können, was die UNO tut, entweder die Entscheidung nicht getroffen haben, oder bei der Umsetzung nicht mitgemacht haben. Deshalb ist es so: Man muss verstehen, wenn die Mitgliedsstaaten in der Generalversammlung etwas beschließen, dann verpflichtet das politisch nur diejenigen, die mit Ja gestimmt haben. Aber die Entscheidung ist nicht rechtlich bindend nach der Charta. Nur der Sicherheitsrat kann eine Entscheidung treffen, die nach Artikel 25 der Charta für alle Mitgliedsstaaten verbindlich ist und damit neues Völkerrecht schafft. Im Sicherheitsrat sitzen aber fünf ständige Mitglieder, die stets nur ihr eigenes Interesse im Vordergrund haben und die oft durch Veto eine vernünftige Entscheidung verhindern.
    Der zweite Punkt ist: Sehen Sie mal, das Sekretariat, das besteht aus Mitgliedern von 193 Staaten. Dass das nicht so funktionieren kann wie ein nationales Ministerium, das ist doch völlig klar.
    Und der dritte Punkt ist: Wenn etwas schiefgeht, dann macht man das Sekretariat und die Bürokratie dafür verantwortlich. Aber in Wirklichkeit ist es so, dass die Mitgliedsstaaten die Entscheidungen, die sie selber getroffen haben, entweder von vornherein abgelehnt haben oder bei der Verwirklichung und Umsetzung dieser Entscheidungen nicht mitmachen.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Gunter Pleuger, der ehemalige Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Pleuger: Bitte sehr. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.