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"Ich halte Netanjahu für einen Architekten der Angst"

Dass der israelische Regierungschef Netanjahu auf Einladung der Republikaner vor dem US-Kongress über den Iran spricht, sei von beiden Seiten Opportunismus erster Sorte, sagte der Historiker Fritz Stern im DLF. Netanjahu schaffe eine Welt, in der Israel immer stärker isoliert werde.

Fritz Stern im Gespräch mit Sandra Schulz | 03.03.2015
    Der Historiker Fritz Stern sitzt am Montag (22.02.2010) zu Beginn der Aufzeichnung im "Beckmann"-Studio im Studio Hamburg.
    Der Historiker Fritz Stern (picture alliance / dpa / Marcus Brandt)
    Die Einladung der republikanischen Partei am Weißen Haus vorbei sei ein Tiefpunkt in den diplomatischen Beziehungen und eine "unheilige Allianz", sagte der deutschstämmige US-Historiker Fritz Stern. Netanjahu begreife seinen Besuch als historische Mission und sich selbst als Churchill, was Stern als "psychologische Komponente" bezeichnete.
    Die Republikaner seien früher eher einem Antisemitismus gefolgt und heute gespalten zwischen denjenigen, die eine Machtposition der USA in der Welt einforderten und denjenigen, die sich nach außen hin isolieren wollten, so Stern.
    Hoffnung auf Wandel im Iran
    Jede neue Nuklearkraft sei eine Gefahr für den Weltfrieden - insbesondere "Teheran, das von Fanatikern oder Beinahe-Fanatikern regiert wird", so Stern. Aber es gebe eine starke Mittelklasse und man könne hoffen, dass sich in den kommenden Jahren die Vernunft durchsetze.
    Stern bezeichnete den israelischen Regierungschef Netanjahu als "Architekten der Angst", der die Welt schaffe, vor der er sich selbst fürchte und in der Israel immer stärker isoliert werde.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Sandra Schulz: Der frühere britische Premier Winston Churchill durfte, Charles de Gaulle, der frühere französische Präsident, auch, Lech Walesa und vor sechs Jahren hat auch Angela Merkel vor beiden Kammern des US-Kongresses in Washington gesprochen. Eine solche Einladung gilt als seltene Ehrung für ausländische Amtsträger. Traditionell ist es eine überparteiliche Geste. Jetzt aber nicht im aktuellen Fall. Der israelische Präsident Netanjahu spricht heute vor dem US-Kongress. Eingeladen wurde er allerdings am Weißen Haus vorbei vom Sprecher des Repräsentantenhauses John Boehner, einem Republikaner. Ein Treffen mit US-Präsident Barack Obama wird es nicht geben. Er wolle sich nicht in den Wahlkampf einmischen, hieß es aus dem Weißen Haus. In zwei Wochen wird nämlich in Israel gewählt.
    - Den deutschstämmigen US-Historiker Fritz Stern habe ich vor der Sendung gefragt, ob das ein historischer Tiefpunkt in der Beziehung zwischen Israel und den USA sei.
    !Fritz Stern:!! Ich würde annehmen, dass man das so bezeichnen könnte. Aber was mich beschäftigt, dass es notwendig ist, in der ganzen historischen Dimension zu sehen. Das ist nicht etwas, was plötzlich passiert ist oder was passiert, sondern es wurde lange aufgebaut. Und ich kann Ihnen nur sagen, dass ich im Jahre 2012 einem reichen Republikaner gegenüber, der früher für Obama war und der im Wahljahr 2012 sagte, jetzt zögere ich, da habe ich den Vergleich gemacht zwischen jüdischen Bewohnern von, sagen wir mal, Osteuropa, die die bolschewistische Revolution 1917 erst begrüßt haben als eine Art von Emanzipation von Getto und Pogromen. Und das war, wie man wohl sagen kann, eine unheilige Allianz, die daraus geworden ist. Und so kam es mir schon 2012 vor, dass die Allianz zwischen den Rechtsrepublikanern in diesem Land und Likud auf der anderen Seite eine sehr schlechte Prognose stellt.
    Schulz: Aber deswegen sprechen wir ja gerade mit Ihnen, um auf diese historische Dimension zu schauen. Netanjahu selbst sagt ja auch, sein Besuch, sein Auftritt, das sei eine historische Mission. Erklären Sie uns, was damit gemeint ist.
    Stern: In der "Neuen Zürcher Zeitung" steht was von seinem Churchill-Mythos, dass er glaubt, dass er ein Churchill sei, der die Welt erwecken müsste. Sagen wir mal so: Dass bei ihm was Psychologisches dazukommt, ist gar keine Frage. Aber gleichzeitig ist es ein Opportunismus erster Sorte, sowohl von Republikanern, die ihn eingeladen haben, aber noch mehr von ihm und seinen Beratern und von seinem Botschafter - auch eine Unerhörtheit, dass der israelische Botschafter in Washington eine Schlüsselposition haben sollte, ein ehemaliger Helfer der republikanischen Partei war. Also das ist alles so kleinkariert auf einen Seite und opportunistisch und auf der anderen hochgespielt auf die höchste diplomatische Ebene oder publizistische Ebene, die man sich nur vorstellen kann.
    Schulz: Aber diese Unstimmigkeiten jetzt, die sind ja eigentlich nur eine weitere Episode in einer inzwischen auch schon ganz langen Reihe von Eklats und Verstimmungen zwischen Netanjahu und Obama und der Obama-Regierung. Ist es nicht konsequent, dass Netanjahu sagt, ich halte mich an die, auf die ich mich verlassen kann, nämlich auf die Republikaner in den USA?
    Stern: Genau das bezweifle ich eben, sich auf die eine Partei einzulassen und allein auf sie zu vertrauen, wenn Politik an für sich eine isolationistische war. Ich meine, ich kann mir auch gut vorstellen, dass viele Republikaner in der Wahl, die 2016 stattfinden wird, ihren isolationistischen Gedanken und Hoffnungen Ausdruck geben werden. Und deswegen kommt mir auch die Rechnung, mit den Republikanern einzugehen, ganz zu schweigen davon, dass früher die Republikaner eher einem Antisemitismus gefolgt haben oder vom Antisemitismus infiziert waren als die Demokraten. Aber das ist eine zweite Sache. Das Wichtigste ist meines Erachtens nach die Gespaltenheit innerhalb der republikanischen Partei zwischen denen, die eine wichtige amerikanische Rolle im Weltfrieden favorisieren, und den Neo-Isolationisten. Ganz zu schweigen von denjenigen, denen wir so viel Schaden zu verdanken haben, die uns in den Krieg im Irak hereingelügt haben.
    Schulz: Jetzt gibt es doch aber aktuell die Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm. Da liegt ein Kompromiss auf dem Tisch, über den Netanjahu sagt, wenn wir das so machen, dann ist Teheran bald in der Lage, eine Atombombe zu bauen. Und da scheint er ja tatsächlich in den Republikanern auch Verbündete zu haben. Was also ist daran so falsch, sich darauf auch zu kaprizieren?
    Stern: Soweit ich das verstehe, gibt es zumindest zehn Jahre Zeit, wo die Iraner sich nicht weiter entwickeln können zu einer Atombombe. Übrigens noch eine andere Frage: Wieso wird eigentlich nie von der israelischen Bombe gesprochen? Ich meine, Israel wurde übrigens mithilfe von Franzosen und Europäern generaly zu einem Nuklearland ermächtigt. Das spielt auch eine gewisse Rolle.
    Schulz: Liegt es nicht auf der Hand, dass das Szenario, in dem Teheran eine Atombombe hat, dass das jedenfalls kein Beitrag zum Weltfrieden ist?
    Stern: Nein, das ist ganz richtig. Jede neue Nuklearkraft ist kein Beitrag zum Weltfrieden und ganz bestimmt nicht Teheran, wo auf der anderen Seite es, glaube ich, zwar von Fanatikern oder Beinahe-Fanatikern regiert wird, aber auch eine starke Mittelklasse gibt, gut gebildet und wo man hoffen kann, dass sich eine gewisse Verantwortung durchsetzt, ein Verantwortungsgefühl. Denn man darf doch nicht vergessen: Ich meine, um Gottes Willen, wenn der Iran die Bombe bekommen sollte und wenn sie sie benutzen würden, würde doch ihr eigenes Land im nächsten Moment zerstört werden. Also muss man da auch, glaube ich, ein gewisses Kalkül einrechnen von Vernunft. Um Gottes Willen will ich nicht sagen, dass das nicht eine ganz große Gefahr wäre, wenn das jetzige Iran eine Atomwaffe bekäme, aber man darf auch nicht vergessen, dass ein Frieden von zehn Jahren in der Hoffnung, dass sich dann andere Kräfte entwickeln und so, dass man das nicht ausschlagen soll.
    Schulz: Hat Netanjahu wegen der israelischen Geschichte, wegen der Geschichte Israels denn überhaupt eine andere Option, als die Sicherheit des Landes, die Sicherheit seiner Bürger als absolute Priorität zu sehen und zu setzen?
    Stern: Das ist absolut richtig. Aber die Frage ist, wie erreicht er diese Sicherheit. Ich halte ihn für einen Architekten der Angst. Er schafft die Welt, vor der er sich selber fürchtet. Er schafft die Welt, wo Israel immer mehr isolationiert ist. Und das ist eine angsterregende Entwicklung!
    Schulz: Wenn wir jetzt noch mal auf die Beziehungen schauen zwischen den USA und Israel, die ja offenbar auf einem Tiefpunkt sind, wie sehr schmerzt das sie?
    Stern: Was mich am Meisten schmerzt, ist die Entwicklung in Israel selber auf der einen Seite, das heißt, das, was mit Siedlungspolitik, Besetzung und so weiter zu verstehen ist oder was man berücksichtigen muss. Auf der anderen Seite glaube ich: Die Tatsache, dass es eine vehemente Opposition in Israel gibt, also von Experten, von ehemaligen Leuten, die ganz oben in den Sicherheitsinstitutionen, Sicherheitsorganisationen Israels waren, die sich gegen Netanjahu und gegen diesen Auftritt in Washington stellen, das gibt mir wiederum Hoffnung.
    Schulz: Der Historiker Fritz Stern im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.