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Den Sprichwörtern zur Arbeit auf der Spur

"Arbeit schändet nicht", heißt es sprichwörtlich. Aber wann kam das Sprichwort auf und warum? Fragen nach der Herkunft, der Entwicklung, der Verbreitung von Sprichwörtern zur Arbeit gehen Wissenschaftler an der Uni Jena nach. Ziel ist es, eine detaillierte Datenbank zu schaffen, die jedermann im Internet einsehen kann.

Von Christian Forberg | 05.03.2015
    "Miniaturen - darunter verstehen wir Kurztexte, in denen kulturelles Wissen besonders komprimiert zum Ausdruck kommt. Also so was wie Sprichwörter, Fabeln, Schwänke, auch Sentenzen oder Witze heutzutage wäre so eine Art von Kurztext. Wenn man diese Miniaturen vergleicht, dann stellt sich heraus, dass einige große Ähnlichkeiten aufweisen, und das sind dann für uns Miniaturmuster."
    Etwa 1000 solcher Muster hat die Indogermanistin Dr. Bettina Bock binnen zwei Jahren zusammengetragen und eingehend untersucht, zunächst nach der Herkunft. Eine ihrer wichtigsten Quellen ist die Bibel.
    "'Wer nicht arbeitet, soll nicht essen'. Das ist ein Satz, den findet man in allen Sprachen Europas. Und die andere große Quelle sind die antiken Texte von griechischen und römischen Autoren. Zum Beispiel das Miniaturmuster 'Arbeit schändet nicht' geht auf Hesiod zurück."
    Der lebte um 700 vor Christus. In seinem Epos "Werke und Tage" steht zu lesen: "Arbeit ist keine Schande, aber dann ist Untätigkeit eine Schande". Wie gelangte das Miniaturmuster in die Neuzeit? In der Renaissance setzte ein Andreas Hondorff neben den Hesiod-Spruch:
    "'Ein Sprichwort gleich gebraucht'. Diese Anmerkungen sind für uns sehr wichtig. 'Ein Sprichwort gleich gebraucht' zeigt ja: Es ist noch kein Sprichwort zu der Zeit, sonst hätte er ja diese Anmerkung nicht gemacht. Hesiod wird dann von Johann Heinrich Voß übersetzt in der Form 'Arbeit schändet mitnichten'. Die nächsten Autoren, die 'Arbeit schändet nicht' übernommen haben, ist zum einen ein Autor, der ein Griechischlehrbuch geschrieben hat, und dann der Turnvater Jahn. Wir haben also drei Autoren, die sehr stark rezipiert werden, und dann kommt es in dieser Form zum Gebrauch als Sprichwort. Erst wenn es von vielen gebraucht wird und man die Quelle eigentlich auch nicht mehr richtig benennen kann, wird es zum Sprichwort."
    Positive Bewertung der Arbeit
    Da es nicht um reine Etymologie, also das Forschen nach der Herkunft und Entwicklung der Wörter und Sätze geht, wurde der Soziologe Stefan Brachat hinzugezogen. Er geht der Frage nach, wie sich der historische Wandel gesellschaftlicher Arbeitsverhältnisse in solchen Miniaturen widerspiegelt. So etabliert sich um 1800, mit Einzug der Moderne eine veränderte Einstellung zur Arbeit, die sich auch in Sprichwörtern wiederfinden lässt.
    "Was noch eine Rolle spielt ist, dass Arbeit nicht nur irgendwie zu etwas Positivem wird, sondern dass Arbeit im Gegensatz zu vormodernen Gesellschaften nicht mehr eine Privatangelegenheit ist, sondern eine Angelegenheit von öffentlichem Belang wird. Ein ganz einfaches Beispiel wäre 'Arbeit adelt' oder 'Arbeit macht das Leben süß'. Darin kommt eine sehr positive Bewertung von Arbeit zum Ausdruck, die ganz charakteristisch ist für das Denken in der Moderne. Also wichtig sind nicht nur die Texte selbst, sondern auch der Verstehenshintergrund kultureller Deutungsmuster oder Rahmen, die das Gesagte in einen größeren Sinnzusammenhang bringen. Und damit beschäftigt sich der soziologische, soziohistorische Part."
    Stefan Brachat schildert anhand eines weiteren Beispiels, wie Sprichwörter Lebenswelten wechselten. "Labor omnia vincet", also: "Arbeit besiegt alles".
    "Wir verstehen das selbstverständlich als ein Lob der harten Arbeit. Aber der Satz stammt ursprünglich von Vergil und meint mitnichten das, wofür er heute steht. Eigentlich bedeutet er, dass, nachdem das Goldene Zeitalter vergangen ist, nun alles in harter und beschwerlicher Arbeit errungen werden muss und eben nicht, dass man mit Arbeit alle Widrigkeiten überwinden kann. Für Vergil und seine Zeitgenossen wäre das auch eine wenig nahe liegende Deutung: Für die Römer genauso wie für die Griechen war Arbeit nichts wirklich Positives."
    Oft landwirtschaftliche Bezüge
    Abgesehen von der Arbeit des Bauern an der frischen Luft, auch wenn der römische Villenbesitzer nie selbst zur Hacke gegriffen hätte, meint Bettina Bock. Sie verortet das Lob der harten Arbeit nach Amerika des frühen 19. Jahrhunderts und führt als Grund an:
    "Der Stolz der Amerikaner auf das, was sie geschafft haben, dass sie in relativ kurzer Zeit ihr Land soweit gebracht haben, dass es mit Europa verglichen werden kann. Gleichzeitig ist das die Zeit, wo die Arbeiterorganisationen losgehen, wo man stolz ist, als Industriearbeiter tätig zu sein, wo auch so etwas eine Rolle spielt."
    Von dort kam der lateinische Spruch nach Europa zurück und steht zum Beispiel auf dem ältesten Hochhaus Leipzigs zu lesen. Überhaupt sei der Gebrauch von Arbeits-Sprichwörtern im europäischen Maßstab recht ähnlich, sagt Bettina Bock.
    "'Die Arbeit entstellt den Menschen nicht, die Faulheit entstellt ihn' - im Bulgarischen. Also alles Gedanken, die wir auch so - vielleicht nicht immer ganz so - ausgedrückt hätten."
    Um in Bulgarien zu bleiben: Sprichwörter werden auch von landschaftlichen Bezügen, von Arbeitsorten geprägt.
    "'Wer den Weinberg bearbeitet hat, der soll auch die Weintrauben essen' oder 'Der Weinberg braucht kein Gebet, sondern die Hacke'."
    Parodien und Witze
    Im 20. Jahrhundert zogen zum einen Witze ein, oft zulasten ausländischer Arbeiter, denen man den Willen und die Fähigkeit zur Arbeit absprach. Zum anderen entstanden Parodien auf die alten Sprüche. "Arbeit macht das Leben süß, Faulheit stärkt die Glieder" wäre eine.
    "Wir haben ein Miniaturmuster 'Bezahlt wird nach Leistung'. Das ist jetzt sicherlich kein Sprichwort, aber so ein klassisches Motto. Das wird im 19. Jahrhundert herausgebildet, wird als Motto richtig präsent Anfang des 20. Jahrhunderts, und heutzutage taucht es in einem Witz auf: Ein Personalchef sagt zum Bewerber: 'Sie können am Montag anfangen; bezahlt wird nach Leistung.' Der Bewerber antwortet: 'Tut mir leid, davon kann ich nicht leben.'"
    Wie weit man sich von alten Arbeitsverhältnissen entfernt hat, erforschte die Projektleiterin, Professorin Rosemarie Lühr, anhand des Sprichworts "Spinne am Morgen bringt Kummer und Sorgen". Ursprünglich hieß es "Spinnen am Morgen bringt Kummer und Sorgen": Wer bereits früh am Spinnrad saß, musste das, um die Familie über Wasser zu halten. Wer es dagegen abends tun konnte, verbrachte seine Freizeit damit, meist in Gesellschaft anderer Frauen bei angeregter Unterhaltung. So wurden Garn wie Geschichten gesponnen - woher das sprichwörtliche "Ja spinnst du?" stammt. Und da kaum jemand Spinnen mochte, wurde die Arbeit durch den Aberglauben vom giftigen Tier ersetzt.