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Reduzierte Lehrpläne, hungrige Schüler

In Spanien, Portugal und Griechenland verschont der Sparkurs auch die Schulen nicht. Die Bildungsgewerkschaften wehren sich gegen weitere Kürzungen, sind aber wenig hoffnungsvoll.

Von Anke Petermann | 17.04.2012
    Die Krisenbilanzen der Bildungsgewerkschafter Spaniens, Portugals und Griechenlands ähneln sich. Die schulische Stundentafel werde zusammengestrichen, erzählt Manuela Mendonca von der portugiesischen Lehrergewerkschaft "Federacão Nacional dos Professores". Tausende von Lehrern würden entlassen, Förderunterricht für schwache Schüler gestrichen:

    "Ja, das hat ganz direkt Auswirkungen, denn die Schüler haben keine Möglichkeit mehr, diese Lücken, die sie aufgebaut hatten, zu schließen. Und man hat aufgehört mit Teilungsunterricht zum Beispiel in Physik und Chemie, wo jetzt die ganzen Klassen unterrichtet werden, was einen ganz großen Einschnitt bedeutet, weil man gar nicht so viele Arbeitsplätze hat in diesen Fächern."

    Der Lehrplan werde reduziert auf sogenannte Kernfächer, Gesellschaftskunde und anderes werde gestrichen. Größere Klassen, weniger Lehrer, das bedeute insgesamt weniger Unterstützung vor allem für Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Mit der Folge, dass noch mehr Jugendliche die Schulen ohne Abschluss verlassen, beobachtet Manuela Mendonca. Schon zu Krisenbeginn waren 42 Prozent der Kinder auf soziale Unterstützung angewiesen, berichtet die portugiesische Gewerkschafterin, die Bevölkerung verarme weiter:

    "Heute schon ist es so, dass viele Stadtverwaltungen am Wochenende die Schulen öffnen, damit die Kinder auch am Wochenende eine warme Mahlzeit bekommen. Aber das wird immer schwieriger. Denn durch die Auflagen der Troika sind auch die Zuschüsse, die die Schulen für diese Maßnahmen bekommen, gekürzt worden."

    Der Druck der Troika (Expertenzusammenschluss der Europäischen Union, des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank) verschärfe den sozialen und den Bildungsnotstand in den südeuropäischen Krisenstaaten, bemängeln die Bildungsgewerkschafter. Themistoklis Kotsifakis, Generalsekretär der griechischen Sekundarschul-Lehrergewerkschaft, erzählt von hungrigen Kindern:

    "Dieses Phänomen ist im letzten Jahr entstanden: Kinder gehen hungrig in die Schule und wollen dann dem Unterricht beiwohnen. In Athen und den armen Vororten ist die Situation besonders zu sehen, in den großen Städten auch, weniger in der Provinz, also weniger in den Dörfern. Es gibt Bewegungen, die durch Lehrer und soziale Bewegungen ins Leben gerufen wurden, die versuchen, dem entgegenzusteuern. Die Regierung hat auch gesagt, dass sie bereit ist, Maßnahmen in diese Richtung zu treffen, aber bis jetzt ist von der Regierung nichts dergleichen passiert."

    Die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und Griechenland bewegt sich um 50 Prozent, eine ganze Generation habe weder Aussicht auf eine Berufslaufbahn noch eine Rente, kritisiert Pedro Gonzalez von der Bildungsgewerkschaft "Federación de Enseñanza de Comisiones Obreras" in Cordoba:

    "Die jungen Menschen in Spanien können sich nicht entwickeln, können kein eigenes Leben entwickeln, können sich auch nicht lösen aus den Familien, aus den Elternhäusern, wo sie oft mangels Geld weiterhin leben müssen. Und eine große Zahl von ihnen hat sich abgewandt von der Politik und lehnt es ab, politisch zu engagieren und an Wahlen teilnehmen."

    Die Bildungsgewerkschaften versuchen, gegen die Politikverdrossenheit anzugehen. Lehrer und Schulpsychologen gründeten Bildungsplattformen, um sich gegen die Kürzungen zu wehren. Schulleitungen gingen mit Pressekonferenzen an die Öffentlichkeit, gemeinsam mit Parteien und anderen Gewerkschaften würden Kundgebungen und Streiks organisiert, berichtet die Portugiesin Manuela Mendonca.

    Doch die südeuropäischen Gewerkschafter klingen nicht wirklich zuversichtlich. Sie fürchten, dass ihre Länder ausbluten, dass Tausende von jungen Akademikern unter anderem nach Deutschland abwandern. Die Regierung Merkel fordern sie auf, sich in Kooperationsprojekten in den Krisenstaaten zu engagieren, anstatt südeuropäische Chemiker und Physiker nach Deutschland abzuwerben.