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Referendum in Griechenland
"Ein Nein wäre der Grexit"

Der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff sieht bei einem Nein der Griechen im bevorstehenden Referendum den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro gekommen. "Dann haben wir ökonomisch einen Grexit", sagte Lambsdorff im DLF. Gleichzeitig kritisierte er das Thema als zu komplex für ein Referendum.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Bettina Klein | 02.07.2015
    Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff
    Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff (imago stock & people)
    Im dem Referendum am Sonntag sollen die Griechen über die Sparforderungen der internationalen Geldgeber abstimmen. Es gehe um die Zustimmung zu verschiedenen Programmvarianten, sagte der FDP-Europaparlamentarier Alexander Graf Lambsdorff im DLF. Die Frage sei aber für griechische Normalbürger nicht zu verstehen, kritisierte er. In so einem Fall sei ein Referendum nicht sinnvoll durchzuführen. Für derart komplizierte Entscheidungen seien die Parlamente da.
    Sollten die Griechen am Sonntag mit Nein stimmen, bedeutet das laut Lambsdorff ökonomisch betrachtet den Abschied vom Euro. Rechtlich sei das zwar schwierig, "aber wir sind nicht im Rechtsseminar". Bei einem Ja im Referendum müsse die Regierung um Ministerpräsident Tsipras und Finanzminister Varoufakis zurücktreten, so Lambsdorff.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Warten auf Sonntag, heißt es im Augenblick in Berlin, Brüssel und Athen. Warten auf das Referendum in Griechenland, bei dem es nun wohl bleiben soll und bei dem die griechische Bevölkerung gegen die Hilfsangebote der Eurogruppe und der Institutionen stimmen soll, geht es nach dem Willen der griechischen Regierung. Auch an dieser Empfehlung hat sich nichts geändert.
    Am Telefon ist Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Vizepräsident des Europaparlamentes. Guten Morgen.
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Herr Lambsdorff, müssen wir davon ausgehen, es bleibt wie angekündigt, es gibt ein Referendum am Sonntag und das wird mit Nein ausgehen?
    Graf Lambsdorff: Teil eins Ihrer Frage würde ich mit Ja beantworten. Alexis Tsipras hat gestern noch einmal in Athen bekräftigt, dass das Referendum stattfinden soll. Das Ergebnis des Referendums allerdings halte ich für offen. Heute Morgen sind Umfragen hereingekommen hier in Brüssel, denen zufolge 43 Prozent der Griechen sagen, sie würden mit Ja stimmen, 39 Prozent mit Nein, und eine ganze Zahl ist noch unentschieden. Das heißt, wie das Ganze ausgeht, ist zurzeit nicht abzusehen.
    Klein: Schauen wir kurz auf zwei mögliche Szenarien. Das Land stimmt mit Nein; was dann?
    Graf Lambsdorff: Wenn das Land mit Nein stimmt, dann ist das eine Bestärkung der Linie der griechischen Regierung, eine Bestärkung der Syriza, der linksextremen Regierung von Tsipras und Varoufakis. Das bedeutet, dass die beiden ein Mandat haben, mit der Eurogruppe noch erheblich härter zu verhandeln. Aber das ist dann Sache der Eurogruppe, darauf zu reagieren. Nach Auffassung der FDP bedeutet ein Nein den Abschied aus dem Euro für Griechenland, weil dann ist ganz klar, dass all das, was an notwendigen Maßnahmen unternommen werden müsste, um die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands wieder herzustellen, um die Schuldentragfähigkeit wieder herzustellen, um Griechenland zu einem soliden Partner zu machen, nicht politisch getragen wird in Griechenland. Insofern: Ein Nein wäre der Grexit.
    Klein: Ein Abschied aus dem Euro, für den es aber - darauf beharrt ja auch die griechische Regierung - keine gesetzliche Grundlage gibt.
    Graf Lambsdorff: Das ist auch richtig. An dem Punkt kann man der griechischen Regierung nicht widersprechen. Rechtlich gesehen ist das Ganze schwierig. Nur: Ökonomisch gesehen - und wir reden hier über eine Währungsunion und sind nicht in einem Rechtsseminar; ich glaube, das ist der Punkt, den Herr Varoufakis noch nicht so erfasst hat -, rechtlich gesehen ist es so wie er sagt. Ökonomisch gesehen ist es so, wenn die griechische Regierung ihre Rentner, ihre Beamten, ihre Soldaten nicht mehr bezahlen kann, weil sie keine Euros hat, dann wird sie zu einer Parallelwährung übergehen müssen. Sie wird dann entweder Schuldscheine ausstellen müssen, oder sie wird Drachmen einführen müssen. Sie wird mit anderen Worten eine zweite Währung in den Kreislauf einbringen müssen und dann haben wir ökonomisch einen Grexit, unabhängig von der rechtlichen Situation.
    "Ein Ja müsste den Rücktritt Tsipras bedeuten"
    Klein: Zweites Szenario: Das Volk stimmt mit Ja; dann ist alles gut, auch mit einer Tsipras-Regierung?
    Graf Lambsdorff: Frau Klein, schon in Ihrer Frage klingt ja mit, dass das wohl nicht so sein dürfte. Wenn tatsächlich die griechische Bevölkerung mit Ja stimmt, sich also gegen ihre aktuelle Regierung stellt, dann ist kaum denkbar, dass diese Regierung weitermacht in der schwierigen Staatskrise Griechenlands. Dann wird es vielleicht den Weg zu Neuwahlen geben. In meinen Augen müsste das den Rücktritt jedenfalls bedeuten. Wenn eine Regierung massiv sich politisch exponiert und ganz klar sagt, die Bevölkerung möge doch bitte mit Nein stimmen, um ihre Linie zu bestätigen, und die gesamte Bevölkerung oder eine spürbare Mehrheit der Bevölkerung stellt sich gegen die Regierung, dann bleibt ihr eigentlich nur der Rücktritt übrig. Unglaubwürdig in jedem Fall ist das, was hier Varoufakis in der letzten Woche verkündet hat, dass dann die Regierung alles annehmen würde, was IWF, EZB und Kommission verlangen, und dass man das dann nach Treu und Glauben umsetzen würde. Das glaubt hier in Brüssel kein Mensch.
    Klein: Schauen wir noch mal grundsätzlich auf dieses Referendum. Wir haben ja inzwischen gelernt, dass der Europarat beklagt, dass damit gegen mehrere Punkte der Europaratsregularien verstoßen wird. Es ist einerseits zu kurzfristig angesetzt, es ist nicht klar genug formuliert. Sehen Sie das auch so und wenn ja, bleibt das ohne Konsequenzen? Oder ist es eigentlich egal, was der Europarat dazu sagt?
    Graf Lambsdorff: Der Europarat ist eine wichtige Institution und ich glaube, er hat völlig Recht, wenn er darauf hinweist, dass hier Standards unterlaufen werden. Das Ganze ist ja übers Knie gebrochen worden. Am Freitagabend letzter Woche wurde plötzlich bekannt, dass es acht Tage später ein Referendum geben soll. Die Frage habe ich mir durchgelesen. Die ist für die griechischen Normalbürger, wenn man das so sagen darf, wirklich nicht zu verstehen. Dort geht es darum, ob er einer bestimmten Programmvariante, die die Institutionen vorgelegt haben, zustimmen möchte in zwei Dokumenten. Diese Dokumente werden in der Frage dann benannt, einmal auf Griechisch, aber dann auch auf Englisch. Das Ganze ist in der Tat nicht nachzuvollziehen für den Normalbürger. Insofern: Der Europarat hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass das nicht die Standards erfüllt. Andererseits ist Griechenland souverän, das so zu machen wie es will. Ich glaube, das ist eher eine Debatte, die für die Zukunft wichtig ist. Wenn man in Zukunft Referenden abhalten will, dann sollte man auf den Europarat vielleicht vorher hören.
    Klein: Aber de facto noch mal nachgefragt. Konsequenzen hat das nicht? Das heißt, selbst wenn es gegen Regularien des Europarates verstößt, wird das Ergebnis des Referendums anerkannt in der EU?
    Graf Lambsdorff: Das sind keine Regularien im Sinne von rechtlich bindenden oder gesetzlichen Vorschriften, sondern das sind Standards, das sind Empfehlungen. Das hat insofern, da haben Sie Recht, keine Konsequenzen, wenn die Griechen es so machen, wie sie es jetzt machen.
    "Man kann Europa nicht über Referenden führen"
    Klein: Okay, es sind Empfehlungen. - Herr Lambsdorff, Herfried Münkler, der Politikwissenschaftler, hat gestern Morgen bei uns im Programm gesagt: Wenn wir anfangen, über die Europapolitik Referenden abzuhalten, dann ist das europäische Projekt tot. Damit hat er zurückgewiesen das Argument, dass damit ein hohes Maß von Basisdemokratie verbunden ist. Hat er Recht?
    Graf Lambsdorff: Er hat zumindest in Teilen Recht. Es mag europapolitische Fragen geben, bei denen ein Referendum geeignet ist, zum Beispiel, wenn in Großbritannien jetzt gefragt wird, rein oder raus. Das ist eine so klare Frage, die kann man auch in einem Referendum entscheiden. Aber die Frage, welches Programm in welchem Stand angenommen werden soll oder nicht, die ist so komplex, die ist so schwierig. Die eignet sich derartig für Desinformation und Missbrauch, dass in so einem Fall ein Referendum sinnvoll nicht durchzuführen ist. Abgesehen davon - und das ist wirklich eine Frage, die wir auch in der FDP sehr intensiv diskutiert haben: Wo kommen wir denn da hin, wenn wir in der Eurozone tatsächlich mit 18, 19 Mitgliedern anfangen, in jeder Phase irgendwelche Referenden abzuhalten? Dann ist natürlich die Führung einer solchen Eurozone, die Governance, wie das auf Englisch oder auch auf Neudeutsch heißt, nicht gewährleistet. Dann werden Länder gegeneinander gestellt, gegeneinander ausgespielt. Nehmen wir mal an, in Finnland gäbe es ein Referendum - Finnland ist ein Geberland -, oder noch dramatischer vielleicht in Estland und der Slowakei, wo die Leute deutlich ärmer sind als in Griechenland, trotzdem sich an der Stabilisierung beteiligen. Mit anderen Worten: Der Ruf nach Referenden klingt erst mal gut. Frau Wagenknecht hat sich ja auch da entsprechend geäußert. Aber das Ganze führt natürlich in den Abgrund, wenn man tatsächlich Europa nur über Referenden führen möchte.
    Klein: Das heißt aber im Umkehrschluss praktisch auch: Europa in der gegenwärtigen Form ist im Zweifel nur gegen die Bevölkerungen durchzusetzen?
    Graf Lambsdorff: Nein, aber es gibt Situationen, wo sie Entscheidungen treffen müssen, die relativ kompliziert sind und wofür die Institutionen der repräsentativen Demokratie, das heißt die Parlamente da sind. Die sind diejenigen, die geeignet sind, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Ich wundere mich auch, dass die Regierungen nicht schon viel mehr gemacht haben, auch die Bundesregierung. Wolfgang Schäuble hatte zur Zeit der schwarz-gelben Bundesregierung zugesagt, Regeln für eine Staateninsolvenz beispielsweise zu entwickeln. Bis heute liegt dazu nichts auf dem Tisch. Was passiert mit den Schulden gegenüber öffentlichen Gläubigern? Was passiert mit den Schulden gegenüber privaten Gläubigern? Welche Automatismen in der Haushaltspolitik muss es im Fall einer Insolvenz geben? Das sind zum Beispiel sehr komplizierte Fragen. Die Bundesregierung ist hier in der Pflicht, etwas vorzulegen. So etwas können Sie nicht über ein Referendum machen. Wir warten noch darauf, dass Herr Schäuble sich dazu äußert.
    Klein: Alexander Graf Lambsdorff von der FDP, Vizepräsident des Europaparlamentes, zum Stand der Verhandlungen mit Griechenland an diesem Morgen und zum Referendum am Sonntag. Ich danke Ihnen für das Interview.
    Graf Lambsdorff: Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.