Riccardo Muti zum 80. Geburtstag

Maestro ohne Kompromisse

30:01 Minuten
Dirigent Riccardo Muti steht mit geöffneten Armen und leicht in den Nacken gelegtem Kopf am Dirigentenpult der Wiener Philharmoniker im Jahr 2021.
Riccardo Muti hat sechs mal das Wiener Neujahrskonzert dirigiert, auch 2021 vor einem leeren Saal. © www.imago / Xinhua
Von Kirsten Liese · 23.07.2021
Wenn der Dirigent Riccardo Muti dieser Tage 80 Jahre alt wird, blickt er auf eine Karriere voller glücklicher Zufälle und kompromissloser Momente zurück. Aber er sorgt sich in der Pandemie um das Opernerbe angesichts der geschlossenen Theater.
im Laufe seines Lebens hat der Dirigent Riccardo Muti viele Interviews gegeben. Daraus ergibt sich ein lebendiges Bild zum Jubiläum, zum 80. Geburtstag, den er am 28. Juli feiert. Er schaut auf eine lange, knapp sechs Jahrzehnte währende musikalische Laufbahn zurück.
Gefördert von dem 1989 verstorbenen Stardirigenten Herbert von Karajan, habe er großes Glück gehabt, schon in jungen Jahren mit berühmten Solisten, Dirigenten und Sängern arbeiten zu können, sagt Muti. Damals war sein Name noch gänzlich unbekannt und er hatte keine Erfahrung.

Zur richtigen Zeit die richtigen Musikpartner

Riccardo Muti sagt: "Zu meinen ersten Solisten zählten Svjatoslav Richter, Emil Gilels, Rudolf Serkin, Paul Tortelier und Sänger wie Maureen Forrester, Agnes Giebel, Richard Tucker oder Cesare Siepi, und das waren Künstler, die allesamt gut mit Herbert von Karajan bekannt waren, der mich als erster 1971 nach Salzburg einlud und zu den Berliner Philharmonikern." Diese Auftritte verschafften Muti den internationalen Durchbruch.
Riccardo Muti sitzt als junger Mann 1967 auf einem Sofa und hält ein Buch in der Hand, während er spontan zur Kamera schaut.
1967 macht Riccardo Muti mit seinem Sieg beim Guido-Cantelli-Wettbewerb international auf sich aufmerksam. © imago / Leemage
Muti ist gebürtiger Neapolitaner, verlebt aber seine Kindheit zusammen mit vier Geschwistern in der Hafenstadt Molfetta in Apulien, im äußersten Süden Italiens an der Adria. Sein Vater Domenico, von Beruf Arzt und mit einer schönen Tenorstimme gesegnet, schickt den Sohn schon in sehr jungen Jahren zum Geigen- und Klavierunterricht.

Von Bari nach Mailand

Seine professionelle musikalische Ausbildung startet Muti mit einem Klavierstudium am Konservatorium in Bari, wo er den Filmkomponisten Nino Rota kennenlernt, der sein großes Talent entdeckt und ein guter Freund von ihm wird. 1961 setzt Muti seine Studien in Mailand fort: Komposition bei Bruno Bettinelli und Dirigieren bei Antonino Votto, dem ersten Assistenten Arturo Toscaninis an der Mailänder Scala. Votto wird für Muti sein wichtigster Lehrer.
1967 gewinnt Muti den renommierten Dirigentenpreis des Guido Cantelli-Wettbewerbs. Ein Jahr später debütiert er beim italienischen Radio-Sinfonieorchester RAI in Rom. 1969 kürt ihn das Festival Maggio Musicale in Florenz nach einem gemeinsamen Auftritt mit dem Pianisten Svjatoslaw Richter zum musikalischen Leiter.
Er stellt sich der Herausforderung und führt bedeutende Orchester in der Nachfolge großer Dirigenten. 1972 übernimmt er für zehn Jahre von Otto Klemperer das Philharmonia Orchestra London, 1980 die Nachfolge von Eugene Ormandy beim Philadelphia Orchestra.
Eine Produktion von Mozarts "Cosí fan tutte" 1982 in Salzburg, deren musikalische Leitung ihm abermals Karajan anträgt, bietet dem Maestro die Chance, seinen Ruf als exzellenter Mozart-Interpret zu festigen.

Turbulenzen an der Mailänder Scala

Eine glanzvolle Ära von 19 Jahren, wenngleich auch durchsetzt mit so manchen Abenteuern und Krisen, erlebt Muti als Musikdirektor der Mailänder Scala. 1986 tritt er dort die Nachfolge von Claudio Abbado an.
Schon gleich bei seinem Einstand mit einer Premiere von Verdis "Nabucco" geht es turbulent zu: Der Tradition nach sind Wiederholungen als Zugabe in einer Opernaufführung nicht gestattet, das emphatische Publikum aber fordert sie nach dem Gefangenenchor "Va pensiero" mit Vehemenz ein.
Aufführungsgeschichte schreibt auch eine Premiere an der Scala, als das Orchester zur Saison-Eröffnung im Dezember 1995 streikt und sich Muti spontan entscheidet, den Orchesterpart für die anberaumte "Traviata"-Premiere auf dem Klavier zu spielen.
Riccardo Muti sitzt mit Brille am Klavier, den Startenor Luciano Pavarotti begleitend, der hinter einem Mikrophonpaar steht.
Riccardo Muti begleitet die Stars auch am Klavier: hier 1995 den Tenor Luciano Pavarotti.© imago / Leemage
Muti ist einer der großen Verdi-Experten. Keinem anderen Komponisten hat er sich mit einer vergleichbaren Hingabe und Akribie gewidmet. Insbesondere das Verdi-Requiem hat er immer wieder erfolgreich aufgeführt.
In seinem 2012 erschienenen Buch "Mein Verdi" begründet Muti seine besondere Liebe zu dem Komponisten damit, dass dieser wie kein Zweiter verstanden habe, Leidenschaften, Trauer und menschliche Schwächen vorzuführen und in Musik zu legen.

Vergessene Neapolitaner

Muti widmet sich auch immer wieder Werken von unbekannten, verkannten oder vergessenen neapolitanischen Komponisten, dies insbesondere in den Jahren 2007 bis 2011 als Künstlerischer Leiter der Salzburger Pfingstfestspiele. Hier präsentiert er Werke von Paisiello, Cimarosa, Jommelli und Mercadante, auch um zu zeigen, welchen Einfluss diese Komponisten auf Mozart hatten.
Riccardo Muti dirigiert beim XIII. Weihnachts-Konzert 2009 sein Luigi Cherubini Youth Orchestra im Plenarsaal des Senats der Republik in Rom.
© imago / Anan Sesa
Luigi Cherubini ist der Namenspatron des Orchesters für junge Studienabsolventen und Berufsanfänger, das Muti 2004 gründet, um junge Musikerinnen und Musiker zu formen und auf ihre berufliche Zukunft vorzubereiten.
Unter den internationalen Spitzenorchestern fühlt sich der Dirigent den Wiener Philharmonikern besonders stark verbunden, mit denen er seit 50 Jahren kontinuierlich zusammenarbeitet. Sechs Mal hat er das Neujahrskonzert dirigiert, auch 2021 vor leerem Auditorium.
Sehr nahe stehen ihm außerdem das Chicago Symphony, das er in Chefposition noch bis 2022 leiten wird und das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks.

Rückzug aufs Land

In seinem jüngsten Interview in der italienischen Zeitung "Corriere de la serra" kurz nach diesen Auftritten gibt sich der Maestro allerdings pessimistisch: Er sei müde vom Leben, die Sorge um das Opernerbe belaste ihn sehr angesichts der anhaltend geschlossenen Theater.
Aber der Maestro beklagt auch den Zeitgeist, den Mangel an menschlichen Beziehungen angesichts einer verstärkten Kommunikation in digitalen Medien sowie die verloren gehende Bildung, an der Muti auch dem Fernsehen die Schuld gibt. Aus dem Konzert- und Opernleben will sich der Künstler nun allmählich zurückziehen, auf einem Landgut in Apulien zu seinen Wurzeln zurückkehren.
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