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Reform der Entsenderichtline
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am selben Ort

Wer in einem anderen EU-Land arbeitet, der bekommt häufig weniger Lohn. Die geplante Reform der Entsenderichtlinie soll ausländische Arbeitnehmer vor Lohn- und Sozialdumping schützen und damit einen fairen Arbeitsmarkt in Europa schaffen. Doch nicht alle EU-Mitgliedsstaaten sind von der Neuregelung begeistert.

Von Karin Bensch | 24.10.2017
    Eine Landkarte Europas, auf einer rote Linie die Wanderung von Arbeitern symbolisiert. Drei verteilte Figuren stellen Arbeiter da.
    Künftig sollen Arbeitnehmer und Arbeitnehmer besser vor Lohndumping in Europa geschützt sein. (imago/Blickwinkel)
    Es geht Hunderttausende Beschäftigte. Pflegerinnen aus Polen, Bauarbeiter aus Rumänien oder Fleischer aus Bulgarien, die in Deutschland oder anderen europäischen Ländern arbeiten. Für Unternehmen und Kunden erledigen sie dort preiswert Aufträge, für ihre Heimatländer sind sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
    Doch Gewerkschafter kritisieren: Diese Beschäftigte werden häufig ausgebeutet. Mindestlohnsätze würden untergraben. Überlange Arbeitszeiten würden verlangt, aber nicht bezahlt.
    Die meisten entsendeten Beschäftigten verdienen meist nicht einmal halb so viele wie ihre einheimischen Kollegen, sagt die EU-Kommission. Wir wollen gleiche Bezahlungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort, fordert der estnische Arbeitsminister Jevgeni Ossinovski.
    Schärfere Regelungen gefordert
    Die Regeln für die Entsendung sollen verschärft werden, um Arbeitnehmer in Europa besser vor Lohn- und Sozialdumping zu schützen. Wir wollen einen fairen Arbeitsmarkt mit sozialen Rechten, die alle Mitgliedsländer in der Europäischen Union einhalten, sagt Marianne Thyssen, die in der EU-Kommission für Arbeit und Soziales zuständig ist.
    Entsendungen sollen in Zukunft im Durchschnitt nicht länger als zwölf Monate gelten, in Ausnahmefällen 18 Monate. Künftig sollen für Entsandte und Einheimische grundsätzlich die gleichen Regeln zur Vergütung gelten. Also nicht mehr nur Mindestlohn, sondern auch Weihnachtsgeld, Prämien oder Schlechtwettergeld. Das Transportgewerbe bleibt allerdings zunächst von den neuen Regeln ausgenommen.
    Bisher keine einheitlichen Regelungen
    Das Grundproblem ist: Löhne und Sozialstandards sind in den einzelnen EU-Ländern sehr unterschiedlich. In Dänemark zum Beispiel liegen die Arbeitskosten pro Stunde bei etwa 42 Euro. In Bulgarien sind es dagegen nur rund 4,40 Euro. Deshalb können Unternehmen aus Ländern mit geringen Löhnen und Sozialbeiträgen die Preise für Dienstleistungen in reicheren Staaten unterbieten.
    Hier sollte die europäische Entsenderichtlinie gegensteuern, die es seit gut 20 Jahren gibt. Sie schreibt vor, dass zum Beispiel Mindestlöhne im Aufnahmeland auch für entsandte Arbeitnehmer gelten.
    Gewerkschafter beklagen Schlupflöcher
    Gewerkschafter beklagen jedoch Schlupflöcher und Missbrauch. Ausländische Arbeitnehmer würden oft ausgebeutet und örtliche Sozialstandards damit ausgehöhlt. Die Reform der Entsenderichtlinie soll genau das ändern. Der neue Kompromiss ist ein klares Zeichen für ein gerechteres und sozialeres Europa, meint EU-Arbeitskommissarin Thyssen.
    Dennoch gehen die Interessen zwischen den einzelnen EU-Ländern weit auseinander. Die Reform der Entsenderichtlinie war vor allem vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron gefordert worden, um einheimische Beschäftigte in Frankreich vor Lohndumping zu schützen. Deutschland, die Beneluxstaaten und weiteren Länder unterstützen ihn. Ungarn, Litauen, Lettland und Polen lehnten den Kompromiss dagegen ab. Vor allem osteuropäische Länder kritisierten, dass westliche Staaten ihre Arbeitsmärkte abschotten wollen.
    Großbritannien, Irland und Kroatien enthielten sich aus Bedenken, dass die Reform ihren Transportsektor belasten könnte. Viele Länder trugen den Kompromiss also letztlich nicht mit.
    Die Erklärung soll Mitte November bei einem EU-Gipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und den anderen Staats- und Regierungschefs in Göteborg unterzeichnet werden. Zustimmen muss auch noch das Europaparlament, das voraussichtlich noch eigene Änderungsvorschläge machen wird.