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Reform der Krankenversicherung
"Chancen zu Beitragssenkung"

Die geplante Absenkung des Krankenkassenbeitrags wird nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zu mehr Wettbewerb und damit "auch zur Preissenkung für die Versicherten führen". Der Arbeitgeberbeitrag werde stabil gehalten, weil "eskalierende Lohnnebenkosten" keine Arbeitsplätze vernichten dürften, sagte der CDU-Politiker im DLF.

Hermann Gröhe im Gespräch mit Dirk Müller | 26.03.2014
    Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, CDU
    Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, CDU (dpa / Daniel Naupold)
    Dirk Müller: Kann das denn wahr sein, fragt sich nicht nur die Opposition? Da geht es unseren Krankenkassen recht gut, da gibt die Große Koalition grünes Licht für höhere Beiträge, für höhere Kosten. Denn die schwarz-rote Koalition plant, den ungeliebten Zusatzbeitrag für die gesetzliche Krankenversicherung freizugeben. Das heißt, die Kassen entscheiden je nach Kassenlage, wie viel sie von ihren Mitgliedern eintreiben, und das je nach Einkommenslage. Wie viel hundert Euro im Monat wird das werden für jeden einzelnen? Auch die Pflege wird teurer werden, auch darin lässt die Regierung keinen Zweifel.
    Zusatzbeiträge freigeben und abhängig vom Einkommen machen – darüber sprechen wir jetzt mit Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Guten Morgen!
    Hermann Gröhe: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Herr Gröhe, wann werden wir alle wieder mehr bezahlen?
    Gröhe: Im Augenblick stellt sich diese Frage gar nicht. Wir haben 20 Millionen Menschen in Deutschland, die sind in einer Krankenkasse Mitglied, die heute so gute finanzielle Reserven hat, dass sie, wenn der bisherige Pflichtbeitrag von 0,9 Prozent durch einen kassenindividuell festgelegten Zusatzbeitrag ersetzt wird, mit weniger Geld auskommen würden, als sie heute den Versicherten abnehmen. Es wird Versicherte geben, die erleben, dass ihre Kasse mit weniger auskommt. Es wird welche geben, die genau diese 0,9 Prozent, die bisher Pflicht ist, weiterhin erheben werden. Es wird einige Kassen geben, die mehr brauchen, und dann gibt es ein Sonderkündigungsrecht der Versicherten, die dann in eine günstigere Kasse wechseln können. Es bleibt also bei einer wettbewerblichen Aufstellung, und das wollen wir, dass Kassen sich um eine qualitätsvolle und effiziente Versorgung ihrer Versicherten bemühen. Wettbewerb wird auch zur Preissenkung für die Versicherten führen.
    "Krankenkassen heute mit milliardenschweren Reserven"
    Müller: Wettbewerb haben wir auch in der Mineralöl-Industrie und da haben auch alle gesagt, wenn die gegeneinander mehr Wettbewerb machen, dann wird es billiger. Es ist teurer geworden.
    Gröhe: Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass Krankenkassen Prämien ausgeschüttet haben. Wir haben Krankenkassen heute mit milliardenschweren Reserven und es wird die Geschäftspolitik dieser Krankenversicherungen sein, ob sie sich entscheiden, jetzt etwa, weil sie mehr Mitglieder gewinnen wollen, Beiträge zu senken, oder die Beiträge stabil zu halten, denn natürlich ist es so, dass in einer älter werdenden Gesellschaft wir, jeder einzelne wie die Gesellschaft als Ganzes, eher mehr werden ausgeben müssen für unsere Gesunderhaltung im Krankheitsfall. Das ist auch eine Frage des medizinischen Fortschritts.
    Müller: Das ist ja auch die Begründung, die die privaten Krankenkassen bei Beitragserhöhungen, die regelmäßig kommen jedes Jahr, als Argument anführen: medizinischer Fortschritt. Das ist ein Totschlagsargument und der Patient, der Versicherte kann sich nicht dagegen wehren, muss dabei bleiben.
    Gröhe: Nein, der Versicherte kriegt dafür die modernste Medizin. Wir prüfen inzwischen sehr viel genauer als früher, wo beispielsweise bei Arzneimitteln, die neu sind, die teurer sind, ein wirklicher Zusatznutzen da ist. Da gibt es eine Bewertung und davon hängt dann ab, ob es dafür mehr Geld gibt. Aber es ist ja unbestreitbar, wenn wir in eine Fülle von medizinischen Gebieten sehen, dass wir eine deutliche Zunahme moderner Arzneimittel, Heilverfahren, Operationstechniken haben, die einerseits uns mehr Gesundheit bescheren, aber andererseits auch bezahlt werden müssen.
    Müller: Aber es gibt ja auch bessere Autos, ohne dass die per se teurer werden. Die Argumentation, Herr Gröhe, verstehe ich nicht ganz.
    Gröhe: Aber Sie werden verstehen, dass es einen Unterschied gibt, ob ich eine Tablette schlucke oder eine komplizierte Operation habe. Der Vergleich mit dem Auto hinkt dann denn eben doch. Wir sehen doch, in welchem Umfang man heute Krankheiten erfolgreich zuleibe rücken kann, bei denen das früher unmöglich war. Und noch einmal: Wir haben ganze Tätigkeitsbereiche, wo wir ja auch seit Jahren stabile Ausgaben haben, und wir unternehmen da auch Schritte. Wir werden gerade zum 1. April eine Gesetzgebung in Kraft setzen, die ein Preismoratorium für Arzneimittel verlängert um vier Jahre. Das spart den Versicherten ungefähr 650 Millionen im Jahr. Das heißt, natürlich ist die Politik zu beidem gefordert: wettbewerbliche Ausrichtung der Krankenkasse, Ringen um Effizienz und Qualität, deswegen das neue Qualitätsinstitut, aber wir halten auch Kosten in Schach.
    Müller: Drei Viertel der Medikamente, die Sie da ansprechen, bekommen wir in den USA, dort in Supermärkten gekauft, hier müssen wir sie teuer in der Apotheke bezahlen. So einfach ist es ja in dem Punkt jetzt auch nicht, dass Sie sagen, vier Jahre Moratorium.
    Gröhe: Nein, aber so einfach, wie Sie es sich mit dem Vergleich machen, ist es auch nicht, weil es natürlich schon darum geht, dass wir weiterhin - Deutschland war mal die Apotheke der Welt – hoch moderne Arzneimittel haben wollen. Dass dort es enorme Entwicklungskosten gibt rechtfertigt, dass dies in der Zeit des Patentschutzes auch wieder eingespielt werden muss. Aber noch einmal: Wir haben ein Gesetz beschlossen, dass der Pharmaindustrie, die darüber sehr klagt, vier Jahre weiterhin ein Preismoratorium auferlegt, die Preise von 2009. Das zeigt, wir meinen es sehr ernst damit, die Kosten in Schach zu halten.
    Müller: Aber Sie argumentieren ja auch so wie die Krankenkassen und die privaten Krankenkassen, die gesetzlichen und auch wie die Pharmaindustrie. Das heißt, bessere Medizin kostet mehr Geld. Das heißt unter dem Strich, wir werden in den kommenden Jahren mehr Geld für die Gesundheit bezahlen!
    Gröhe: Nein, das stimmt auch nicht. Es gibt durchaus innovative Medizin, die zum Beispiel hilft, dass ein stationärer Aufenthalt nicht erforderlich ist. Dann kostet die Medizin vielleicht mehr als ein früheres Präparat, aber verhindert einen weit teureren Krankenhausaufenthalt. Aber dass in Summe der erfreuliche Umstand, dass wir gute Chancen haben, wesentlich älter zu werden als vorangegangene Generationen, und wir erleben, dass uns viele gute Jahre geschenkt werden und keineswegs nur eine Verlängerung einer Leidensphase, zeigt, der medizinische Fortschritt ist da und Deutschland ist eines der wenigen Länder der Welt, wo dieser medizinische Fortschritt nicht nur den Reichen einer Gesellschaft, sondern allen, auch den gesetzlich Versicherten zugutekommt.
    Müller: Herr Gröhe, reden wir noch einmal über die Kosten. Sie sagen, das muss nicht teurer werden, wobei Sie gleichzeitig sagen, wenn man älter wird, muss man auch länger bezahlen beziehungsweise wird alles teurer. Pflege wird teurer, um mindestens 0,3 Prozent. Können wir das schon mal festhalten?
    "Bei der Pflege mehr Geld in die Hand nehmen"
    Gröhe: Ja, und dazu haben wir uns auch bekannt. Wir haben in den nächsten Jahren, in 15 Jahren einen Anstieg der Pflegebedürftigen in Deutschland um eine Million. Jeder, der Pflegeeinrichtungen kennt, der ambulanten Pflegediensten einmal zugehört hat, weiß, welche harte Arbeit dort geleistet wird. Und wir haben bereits vor der Wahl gesagt, während wir in anderen Bereichen die Lohnzusatzkosten stabil halten, werden wir bei der Pflege mehr Geld in die Hand nehmen müssen. Wir werden in zwei Schritten dann in Summe 0,5 Prozent Beitragssteigerung haben. Wir werden fünf Milliarden mehr dann pro Jahr für die Pflege pflegebedürftiger Menschen zur Verfügung stellen können, bessere Betreuung in den Pflegeeinrichtungen, bessere Hilfen für die pflegenden Angehörigen und bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte. Eine Gesellschaft macht sich in ihrer Humanität gerade daran fest, wie wir mit Pflegebedürftigen in diesem Land umgehen, und da ist ein echter Kraftakt angesagt und dafür erhält man viel Zustimmung bei den Menschen, die wissen, was in Pflegeeinrichtungen geleistet wird, die auch wollen, dass pflegende Angehörige nicht allein gelassen werden.
    Müller: Wenn die Kosten bei den gesetzlich Versicherten steigen, sind die Arbeitgeber, die Unternehmen außen vor. Haben die bei Ihnen einen Heiligenstatus, oder warum ist das so?
    Gröhe: Überhaupt nicht, und die deutliche Beitragssteigerung, die Sie eben beklagt haben bei der Pflege, wird paritätisch finanziert, von Arbeitgebern wie von Arbeitnehmern.
    Müller: Ich war wieder bei den Zusatzbeiträgen. Arbeitgeber werden ausgeschlossen!
    Gröhe: Ja. Trotzdem darf ich es ja, weil Sie es in einen Zusammenhang stellen, auch erklären. Das eine steigt paritätisch. Wir sagen, gute Beschäftigungslage, gut bezahlte Arbeitsplätze sichern ein solidarisches Gesundheitswesen. Wir haben heute 30 Milliarden Plus in der gesetzlichen Krankenversicherung, weil der Arbeitsmarkt sich so toll entwickelt hat. Und deswegen, richtig, halten wir den Arbeitgeberbeitrag stabil, weil wir nicht wollen, dass eskalierende Lohnnebenkosten Arbeitsplätze vernichten und damit die Grundlage eines solidarischen Gesundheitswesens untergraben. Aber auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt es in einer Fülle von gesetzlichen Versicherungen die Chancen zur Beitragssenkung und keineswegs zur Beitragssteigerung.
    "Einfrierung des Arbeitgeberbeitrages" bleibt
    Müller: Aber Sie sprengen die Parität. Ist das richtig?
    Gröhe: Wir sprengen sie nicht.
    Müller: Sie heben sie auf.
    Gröhe: Sie ist vor Jahren mit großer Zustimmung damals gerade aller Fraktionen im Deutschen Bundestag aufgehoben worden. Und dabei bleibt es, bei der Einfrierung des Arbeitgeberbeitrages, denn wir brauchen Menschen in Lohn und Brot, damit wir ein solidarisches Gesundheitswesen sind.
    Müller: Na ja. Aber wenn dieser Lohn und dieses Brot dann wieder aufgefressen wird durch höhere Zusatzbeiträge, ist das ja zumindest ein Rechenspiel. Das heißt, Sie haben da kein …
    Gröhe: Nein, es ist kein Rechenspiel!
    Müller: Herr Gröhe, Sie haben da kein schlechtes Gewissen, dass die Arbeitgeber demnächst außen vor sind, wenn die Gesundheitsbeiträge steigen?
    Gröhe: Das stimmt ja gar nicht, dass Sie sagen, demnächst. Wir halten an einer seit Jahren bestehenden Regelung fest. Und wer sein Lohn und Brot bei einem mittelständischen Betrieb verdient, der ist darauf angewiesen, dass es sichere Arbeitsplätze gibt, und deswegen ist es richtig, dass wir Lohnzusatzkosten stabil halten. Noch einmal: Bei der Pflege werden auch die Arbeitgeber in Deutschland 2,5 Milliarden Euro mehr Beitrag zu zahlen haben. Es ist also keineswegs die Rede davon, dass wir insgesamt an der Parität in der sozialen Sicherung rütteln.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Gröhe: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.