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Reform der Pflegeausbildung
"Wenn ich gleich ausbilde, muss ich auch gleich bezahlen"

Bei der geplanten Reform der Pflegeberufe bleibe die Qualität auf der Strecke, sagte NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) im DLF. Das dringendste Problem seien nach wie vor fehlende Ausbildungsplätze. Zudem müssten Alten- und Krankenpfleger in Zukunft gleich bezahlt werden und vergleichbare Arbeitsbedingungen vorfinden.

Barbara Steffens im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 30.01.2016
    Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne).
    Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne). (dpa/picture alliance/Federico Gambarini)
    Großen Änderungsbedarf bei der Reform der Pflegeberufe sieht die Gesundheitsministerin von Nordrhein-Westfalen im Bereich der Ausbildung. Vorgesehen ist, dass Kinder-, Alten- und Krankenpfleger eine gemeinsame Ausbildung durchlaufen sollen. Die Aufgaben von Kinderkrankenpflegern seien jedoch nicht deckungsgleich mit denen von Alten- und Krankenpflegern, sagte Barbara Steffens (Grüne) im DLF: "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen." Durch die Reform könne es aber sein, dass zukünftige Kinderkrankenpfleger nur zweimal 180 Stunden Praxis in der Ausbildung durchliefen und davon vielleicht noch die Hälfte in einer Kinderarztpraxis. "Da bleibt Qualität auf der Strecke, das geht so nicht."
    Zudem forderte Steffens, die Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege anzugleichen. Auch die Arbeitsbedingungen und -Belastungen müssten vergleichbar werden. "Da sind wir noch lange nicht", so die NRW-Gesundheitsministerin. Auch bei der Pflegeversicherung brauche es perspektivisch Ehrlichkeit, wie viel Geld die Gesellschaft für eine würdige Pflege im Alter benötige. Wenn die Pflegeversicherung in ihrem heutigen Umfang nicht ausreiche, müsse die Politik den Mut haben, sie geringfügig anzuheben.
    Zwar werde die Reform von Gewerkschaften und Verbänden kritisch gesehen. Die politischen Akteure signalisierten jedoch, dass die Reform wie geplant umgesetzt werde. Laut Steffens hat das damit zu tun, dass die Finanzierung der gesamten Reform nicht mehr funktioniert, sobald eine Stellschraube verändert werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Wir brauchen mehr Pflegekräfte! Wenn man diesen Satz in Deutschland sagt, dann sagen fast alle: Ja, das brauchen wir. Wir brauchen eine bessere Qualität in der Pflege, auch dieser Satz ist sicherlich mehrheitsfähig und es ist dringend notwendig, dass sich da etwas tut. Die Bundesregierung hat jetzt eine sogenannte Reform der Pflegeberufe auf Kiel gelegt und sie will sie durchsetzen. Es soll eine Ausbildung geben und dann sollen Jugend-, Altenpfleger und auch Krankenpfleger gemeinsam ausgebildet werden, das ist die Antwort der Bundesregierung. Da gibt es jetzt allerdings auch Kritik und darüber wollen wir reden, und darüber möchte ich reden mit Barbara Steffens, der Gesundheitsministerin aus Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Frau Steffens!
    Barbara Steffens: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Auf den ersten Blick ist das doch logisch: Im Krankenhaus müssen die Pfleger auch sich um Demenzpatienten kümmern und in den Altenheimen müssen sich die Pflegerinnen und Pfleger auch um Menschen mit starken gesundheitlichen Problemen kümmern. Wenn sie dann gemeinsam ausgebildet werden, spricht das doch erst mal dafür, dass das so richtig ist? Mache ich da einen Gedankenfehler?
    Steffens: Nein, das ist genau so. Also, gerade im Bereich Altenpflege und Krankenpflege gibt es eine große Schnittmenge der Aufgaben der zu Versorgenden, wir haben immer mehr Menschen mit medizinischem Versorgungsbedarf im Pflegeheim, mehr Menschen, die alt sind im Krankenhaus. Da gibt es eine große Schnittmenge, deswegen, in der Richtung der Zusammenlegung oder zumindest der gemeinsamen Ausbildung in ganz großen Teilen gibt es hier auch keinen Dissens. Die Frage ist immer: Wie setzt man das um? Setzt man das so um, dass wir einerseits das Ziel, qualitativ gute Pflegefachkräfte auszubilden, erreichen, und andererseits auch das Ziel erreichen, quantitativ sehr viele Auszubildende zu erreichen? Und beim zweiten Punkt, glaube ich, hinkt die Reform massiv. Und Sie haben eingangs schon gesagt, es geht nicht nur um die Altenpflege und Krankenpflege, sondern es geht auch bei dieser Reform um die Kinderkrankenpflege. Und wir alle wissen, Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, und wenn man dann sich ansieht, wie viele Ressourcen, wie viele Möglichkeiten haben wir überhaupt, um in der Praxis Menschen als Kinderkrankenpfleger auszubilden, dann kommt bei der Reform am Ende heraus, dass diejenigen, die hinterher unsere Kinder in der Klinik versorgen, doch vielleicht dann nur zweimal 180 Stunden Praxis haben und davon vielleicht noch die Hälfte in der Kinderarztpraxis. Da haben wir zu wenig Ressourcen, damit alle, auch die Altenpfleger in der Kinderkrankenpflege ausgebildet werden, da bleibt dann auch die Qualität auf der Strecke, das geht meines Erachtens so nicht.
    Zurheide: Was würden Sie verändern wollen? Es gibt ja noch einen anderen Hinweis: Wenn alle die gleiche Ausbildung haben, wenn aber deutlich unterschiedlich bezahlt wird. Also, wir alle wissen, dass in der Altenpflege weniger gezahlt wird als meinetwegen im Krankenhaus, und wenn die alle gleich ausgebildet sind, dann erreichen wir vielleicht das Gegenteil, dann gehen diejenigen, die gleich ausgebildet sind, lieber ins Krankenhaus als zur Altenpflege. Ist das nicht auch eine berechtigte Sorge, die da gelegentlich geäußert wird?
    Steffens: Klar, man müsste in einem ersten Schritt hingehen und müsste überhaupt, wenn man eine solche Generalistik umsetzen will, sagen: Wenn ich gleich ausbilde, muss ich auch gleich bezahlen. Das heißt, zuerst müsste mal die Bezahlung in der Altenpflege und in der Krankenpflege auch wirklich gleichgeschaltet werden, es müssten auch die Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen vergleichbar sein. Da sind wir noch lange nicht. Wir haben aber bei dieser Reform ein viel größeres Problem, wir haben das Problem, dass wir es in Nordrhein-Westfalen geschafft haben ... 2010, als ich angefangen habe, hatten wir gerade mal noch knapp 10.000 Ausbildungsplätze in Nordrhein-Westfalen, 9.200, und haben dann angefangen, eine Umlage einzuführen, sodass wir gesagt haben, alle müssen in den Topf zahlen und daraus bekommen dann auch alle, die ausbilden, die vollen Kosten für die Ausbildung erstattet. Und dieses System der Umlage führte dazu, dass wir bis heute auf 17.500 Schulplätze gekommen sind. Das heißt, wir haben eine Steigerung von über 70 Prozent Ausbildungsplätzen. Und gerade wenn wir wissen, wie dringend wir die Kräfte brauchen, ist das ein massiver Erfolg, den wir erreicht haben. Trotzdem haben wir auch in Nordrhein-Westfalen noch immer einen Fachkräftemangel und uns fehlen Altenpfleger, uns fehlen Gesundheitspfleger. So, diesen Erfolg haben wir erreicht, weil bei uns auch die ambulanten Pflegedienste gesagt haben, okay, wir bilden aus. Und die haben früher nicht ausgebildet, weil ... Wenn man sich das vorstellt, dass ein ambulanter Pflegedienst mit dem Wagen herumfährt, dann von Patient zu Patient, von Pflegebedürftigem zu Pflegebedürftigem, dann kann der Auszubildende ja noch gar nichts machen, der kann nur mitlaufen. Das heißt, das Unternehmen hat nichts von diesem Auszubildenden, und trotzdem geht der Bund jetzt hin und sagt, dieser ambulante Pflegedienst, der einen Auszubildenden hat, hat selber einen Gewinn, nämlich eine 23-prozentige Wertschöpfung, und die wird ihm angerechnet. Das heißt, wenn ich nichts von dem Auszubildenden habe, ihn aber als Kostenfaktor habe, überlege ich mir dreimal, ob ich ihn ausbilden soll. Das heißt, wir haben die große Gefahr, dass uns von unseren 17.500 Ausbildungsplätzen, von den ambulanten Ausbildungsdiensten, aber auch kleinere Ausbildungsdienste im stationären Bereich verlorengehen. Und wenn ich am Ende statt 17.500 wieder nur 12.000 habe, dann habe ich mit dieser Reform massiv verloren. Ich möchte gern, dass die Bundesregierung diese Risiken, die da sind, sich damit intensiver auseinandersetzt und nicht als Schnellschuss das übers Knie bricht. Weil, ich finde das mehr als riskant, was da gerade passiert.
    Zurheide: Jetzt wird ja im Bundesrat darüber geredet, die Ausschüsse beschäftigen sich ab der kommenden Woche damit. Den Veränderungsbedarf haben Sie gerade geschildert, aber welche Chancen sehen Sie, dass Sie mit Ihren Argumenten durchdringen? Oder haben Sie das Gefühl, da ist alles fest zementiert?
    Steffens: Also, es gibt weit über 70 Änderungsanträge, es tagt extra der Unterausschuss, das heißt, es gibt sehr viele kleine Detailsachen. Das Problem ist, das ist eine von diesen Reformen, wo sich die Bundesregierung fest vorgenommen hat, wir machen die Reform, und wie auch im Gesundheitswesen sind das Reformen, die sind komplett durchgerechnet. Das heißt, wenn man an einer Stellschraube was verändert, klappt die Finanzierung an der anderen Seite nicht. Deswegen sind die Signale bisher auf Bundesebene von allen Akteuren, diese Reform geht so rein und muss auch so rausgehen, weil, alles andere würde dazu führen, dass es das gesamte Finanzkonzept in Frage bringt. Nur, ich muss sagen, an der Stelle, wenn es es in Frage bringt, aber am Ende die Pflege sichert, wäre das ein richtiger Schritt und wäre das auch eine notwendige Größe und Reformbereitschaft, die die Bundesregierung braucht. Noch bin ich nicht so ganz sicher, ob uns das gelingen wird.
    Zurheide: Welche Unterstützung haben Sie von den Verbänden oder von den großen Organisationen? Die Caritas, wenn ich das richtig sehe, begrüßt zum Beispiel die Reform. Haben Sie da irgendwelche Verbündete?
    Steffens: In der Breite gibt es sehr viele, die die Reform sehr kritisch sehen. Das sind die Gewerkschaften DGB und ver.di, die dem sehr kritisch gegenüberstehen, es sind die privaten Anbieter, es sind aber vor allen Dingen diejenigen, die in der Praxis unterwegs sind. Das heißt, es sind auch dann von AWO, aber auch von Caritas und Diakonie gibt es die Einrichtungsträger, es gibt die Fachseminare, die sagen, so wird es nicht funktionieren. Und es sind an der Stelle auch zum Teil Krankenhausgesellschaften. Aber mehr sind es diejenigen auch aus der Pflege und da formiert sich, ich sage mal, die Kritik jetzt langsam deutlich, weil, der Entwurf dafür liegt ja erst seit Dezember auf dem Tisch. Und letztendlich die genauen Details, also wie viele Stunden muss jemand wohin, wie viele Stunden bleibt der im eigenen Betrieb, die liegen ja noch gar nicht auf dem Tisch. Denn die Verordnung hat die Bundesregierung bisher noch gar nicht vorgelegt. Das heißt, bisher sind auch diejenigen, die es begrüßen, noch diejenigen, die ein Stück weit die Katze im Sack kaufen und noch gar nicht wissen, was da wirklich an riesigen Problemen auf sie zukommen wird.
    Zurheide: Um in diesem Teil des Gesprächs noch mal darauf zu kommen: Im Bundesrat muss irgendwann ja abgestimmt werden, Sie gehören auch einer rot-grünen Landesregierung an, dann werden Sie als Grüne sagen: Stimmen wir nicht zu?
    Steffens: Also, wenn es keine massiven Änderungen an diesem Gesetz gibt, kann ich das für Nordrhein-Westfalen nicht verantworten, diesem Gesetz zuzustimmen.
    Zurheide: Das ist der eine Teil, der ist klar. Kommen wir noch mal auf den grundsätzlichen Teil, ich habe es eingangs gesagt: Auf der einen Seite wissen wir alle, dass wir deutlich mehr Personal brauchen und im Prinzip auch besser qualifiziertes Personal in diesem ganzen Bereich, über den wir gerade reden. Was steht denn da als gesellschaftliche Aufgabe noch vor uns, und ist das schon ausreichend angekommen? Sie haben gesagt, Sie haben die Plätze erhöht, die Ausbildungsplätze. Aber reichen wird das ja auch noch nicht, bei aller Anstrengung, die da schon gemacht worden ist.
    Steffens: Nein, und ich finde, das macht es deutlich. Wenn man sieht, dass wir von 10.000 auf 17.500 hoch sind, dann kann man sagen, trotzdem haben wir auch in Nordrhein-Westfalen einen massiven Fachkräftemangel. 2014 fehlten uns noch anderthalbtausend Fachkräfte in der Altenpflege, 2.400 in der Krankenpflege und noch mal 250 in etwa in der Kinderkrankenpflege. Also, das heißt, wir haben auch hier einen Fachkraftmangel trotz dieser massiven Anstrengung von etwas über 4.000 Pflegefachkräften. Und wir wissen, wenn wir uns die Prognosen angucken, dass dieser Fachkraftmangel nicht weniger wird, sondern da wird kontinuierlich mit der Vergrößerung der Zahl der Pflegebedürftigen steigen künftig dann einen Pflegebedarf, der variiert zwischen wir brauchen zusätzlich 220.000 bis 270.000 Pflegefachkräfte, die einfach beschäftigt sein müssen, weil wir einfach bis 2050 eine Verdopplung der Pflegebedürftigen haben. Das heißt, wir brauchen jetzt eigentlich eine Reform, die wirklich dafür sorgt, dass wir in der Pflege einen massiven Anstieg der Auszubildenden haben, und da sind wir halt wie gesagt noch lange nicht. Dafür brauchen wir andere Rahmenbedingungen in der Pflege, bessere Bezahlung in der Pflege, und dafür brauchen wir eine Ausbildung, die alle Ausbildungsträger, kleine, große, ambulante, stationäre motiviert und mit in die Pflicht nimmt auszubilden. Und wie gesagt, dazu trägt diese Reform bisher noch gar nicht.
    Zurheide: Sie haben einen Punkt angesprochen, den will ich zum Schluss dann auch noch mal adressieren: Natürlich die Tarifbedingungen müssen sich ändern. Jetzt wissen wir, im Krankenhaus ist das eine oder andere passiert, aber in der Altenpflege eben bisher noch viel zu wenig. Auf wen setzen Sie denn da in diesem natürlich gewerkschaftlich auch schwierigen Bereich?
    Steffens: Na ja, wir haben sogar noch ein zweites Problem dazu, wir haben jetzt in der Altenpflege mit dem Pflegestärkungsgesetz II ein Gesetz, wo langsam von der Bundesregierung versprochen worden ist, wir brauchen mehr Pflegekräfte am Menschen, die Menschen haben zum Teil mehr Ansprüche erhalten, weil der Pflegebedürftigkeitsbegriff verändert worden ist. Aber wir haben diese verbindliche Personalbemessung noch nicht wirklich. Die soll erst 2020 greifen. Aber die Menschen haben schon Anspruch auf mehr Leistung. Das heißt, man erwartet, dass es jetzt mehr Personal gibt, aber dem folgt noch nicht mal mehr Geld über die Pflegesätze. Und ich sage mal, das, was wir brauchen, ist: Wir brauchen perspektivisch eine Ehrlichkeit, wie viel Geld brauchen wir in dieser Gesellschaft für eine würdige Pflege im Alter? Und dann muss Politik auch den Mut haben zu sagen, gegebenenfalls reicht die Pflegeversicherung in dem Umfang heute immer noch nicht, sondern das, was wir unter würdiger Pflege im Alter verstehen, muss halt auch das entsprechende Geld nach sich ziehen, und gegebenenfalls muss die Pflegeversicherung dann noch geringfügig ansteigen, damit auch das wirklich passiert. Verbündete, klar, das sind die Gewerkschaften an der Stelle, die stehen natürlich hinter den Pflegefachkräften und fordern seit Langem auch, dass wir hier eine andere Finanzierung brauchen. Aber das ist wie in anderen Bereichen auch: Pflege ist ein klassischer Frauenberuf und da ist das immer mit dem schnellen Ändern, mit dem schnellen Druck sehr schwer, anders als eine Gewerkschaft Cockpit können die Frauen und die wenigen Männer, die in der Pflege beschäftigt sind, nicht mal eben streiken, weil, dann leiden die Menschen, dann geht wirklich die Würde der Menschen den Bach runter. Und deswegen ist das eine leise Berufsgruppe an der Stelle, die deswegen nach wie vor nicht zu den Erfolgen kommt, die sie gerade bezüglich der Tarifstrukturen eigentlich bräuchte.
    Zurheide: Barbara Steffens war das, die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin zu den Veränderungen, die es in der Pflege geben muss, geben wird. Ich bedanke mich um 7:28 Uhr für das Gespräch, danke schön!
    Steffens: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.