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Reformation 500
Die Tschechen und Luther

Bei früheren Reformationsjubiläen - etwa vor 100 Jahren - wurde Martin Luther als Nationalheld gefeiert. Heute sehen Historiker die Reformation als europäischen Kommunikationsprozess. Bei tschechischen Protestanten kommt das gut an. Denn sonst könnten Reformationsbewegungen jenseits von Luther vergessen werden.

Von Peter Lange | 04.11.2016
    Wachsfigur des tschechischen Reformators Jan Hus.
    Wachsfigur des tschechischen Reformators Jan Hus. (picture alliance/ dpa / Roman Vondrous)
    Wenn in Tschechien der Name Martin Luther fällt, wird ein anderer Name immer gleich mitgedacht: Jan Hus, tschechischer Reformator einhundert Jahre vor Luther. Im vergangenen Jahr haben die Tschechen an den Initiator ihrer, der böhmischen Reformation erinnert, der vor 600 Jahren auf dem Scheiterhaufen in Konstanz starb. Luther selbst sah eine enge geistige Verbindung zu Hus. Wir sind alle Hussiten, sagte er, nachdem er die wichtigsten Schriften des Böhmen studiert hatte.
    "Luther war in Deutschland der, der im Grunde den Schriften von Jan Hus eine relativ breite Verbreitung ermöglicht hat und das befürwortet hat."
    Sagt Gerhard Frey-Reininghaus. Er ist seit 20 Jahren Ökumene-Referent der Evangelischen Kirche der böhmischen Brüder, der größten unter mehreren protestantischen Kirchen in Tschechien, die sich alle auf Jan Hus beziehen. 80.000 Mitglieder hat sie, weniger als ein Prozent der Bevölkerung, die überwiegend konfessionslos ist. Gerhard Frey-Reininghaus sagt:
    "Wir sehen diese Reformation auch als Teil unserer Geschichte. Im 16. Jahrhundert kamen auch die Lutheraner nach Böhmen und Mähren."
    Luther als Held instrumentalisiert
    Deshalb gibt es bis heute auch vier kleine lutherische Kirchen, vor allem im Nordosten, im tschechischen Teil von Schlesien. Und selbst in seiner eigenen Kirche bekennen sich einige Gemeinden dezidiert zu dem deutschen Reformator.
    Lange Zeit standen die Reformationen in Europa gleichrangig nebeneinander. Aber im 19. Jahrhundert wurden sie nationalisiert, erklärt Peter Moree, Professor für Kirchengeschichte an der Karls-Universität in Prag:
    "Hauptsächlich in Deutschland entsteht der Begriff der Vorreformation, alles fängt mit dem Helden an. Gut, es gab vorher etwas, aber nicht völlig, darum Vorreformation, die Erfüllung kam erst mit dem Helden."
    Und der hieß Martin Luther. Eine Auffassung, der die Tschechen natürlich widersprachen. Peter Moree:
    "Die hussitische und böhmische Reformation ist die erste Reformation, wurde gesagt. Sie seien die ersten, die eine Alternative zum Kirchenbegriff der römisch-katholischen Kirche gefunden haben. Bei uns fing es an, und bei Luther ging es weiter."
    Böhmische Reformation ist mehr als nur Vorreformation
    Gerhard Frey-Reininghaus meint, dass die Evangelische Kirche Deutschland ihr Lutherjahr inzwischen um einen europäischen Blick erweitert hat, nachdem die ersten Ansätze doch zu sehr auf die Person Martin Luther konzentriert waren.
    Tschechische und deutsche Protestanten sind nach seiner Auffassung auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis der Reformationen als gleichrangige Ereignisse, die zueinander in Beziehung stehen. Gerhard Frey-Reininghaus sagt:
    "Für uns ist es wichtig, dass man nicht sagt, die böhmische Reformation ist die Vorreformation, die deutsche ist die Reformation. Es sind zwei Reformationen, vielleicht die frühere hier in Böhmen und die etwas spätere Reformation in Deutschland. Aber wir denken, es ist wichtig, das ganze europäisch zu sehen und da sind wir gern dabei."