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Reformation 500
Luthers WG-Brüder

In Erfurt leben wieder Augustinermönche. Sie sind katholisch, aber irgendwie auch Nachfolger Luthers. Der Osten sei seelsorgerlich interessanter als der Westen, sagen sie.

Von Henry Bernhard | 25.07.2017
    Die vier Augustiner sitzen am Tisch in ihrer WG (Bild: Henry Bernhard)
    Wohnküche statt Refektorium - die vier Augustiner aus Erfurt machen es vor (Henry Bernhard)
    Bruder Pius singt: "Herr, erbarme Dich!"
    Die Gemeinde antwortet: "Herr, erbarme Dich!"
    In der evangelischen Erfurter Reglerkirche ist eine kleine katholische Gemeinde zusammengekommen: Die vier Augustinerbrüder Pius, Jeremias, Jakob und Matthias, vier Ursulinen-Schwestern, elf Frauen und drei Männer als Laien dazu. Bruder Pius feiert die tägliche Messe.
    Er sagt: "Ich glaube, es ist spürbar, dass wir sehr viel Wert darauf legen, abwechslungsreich Gottesdienst zu gestalten und die Möglichkeiten, die von der Liturgie her geboten sind, auch irgendwie auszuschöpfen, dass nicht jeden Tag die gleichen Gebete dran sind; es gibt ja Angebote genug. Und wir versuchen auch, die Teilnehmer einzubeziehen in die Gestaltung des Gottesdienstes."
    Und Bruder Jeremias ergänzt:
    "Es dauert länger bei uns, weil und ich merke, dass die Menschen diese Zeit mitbringen und gerne auch noch zusammenbleiben am Ende des Gottesdienstes und lange reden, so dass es also oft unmöglich ist, ganz schnell die Kirche wieder zuzuschließen. Und da denke ich mir: Genau das will ich! Ich will nicht, dass alles irgendwann 08/15 wird und einfach Routine wird. Solange ich das selber so spüre, bin ich total glücklich."
    "Der Letzte macht das Licht aus" - das ist keine gute Stimmung
    Drei der Brüder sind seit drei Jahren in Erfurt. Ein vierter, Matthias, ist vor einer Wochen dazu gekommen. Zuvor war er fünf Jahre in Rom, davor in Afrika. Sie leben nicht im Kloster, sondern in einer WG, putzen und kochen selber. Sie stammen alle aus dem Westen Deutschlands. In den Osten sind sie ganz bewusst gegangen, erzählt Bruder Jakob.
    "Wir haben seit 50 Jahren nicht mehr neu gegründet, sondern haben immer nur Häuser geschlossen, weil auch wir weniger werden. Und irgendwann merkt man mal, da kommt so eine Stimmung auf: Der Letzte macht das Licht aus. Und das ist keine gute Stimmung. Und da kam einfach bei uns der Gedanke hoch: Wir müssen mal wieder irgendwo neu ansetzen? Haben wir dazu noch die Kraft? Wenn wir weiter leben wollen und auch noch anziehend bleiben wollen für Menschen, die auch noch in einen Orden eintreten, mit uns mitarbeiten, mitleben möchten, dann müssen wir auch in der Lage sein, noch mal neu anzufangen. Und dann war natürlich klar, wenn wir noch mal neu ansetzen und anfangen, dann auch wieder bei unserem Ursprünglichen ansetzen, bei dieser Sonderseelsorge, der außerpfarrlichen Seelsorge. Und wir haben selbst auch stark den Osten im Blick gehabt, weil er auch seelsorglich interessanter ist noch mal als der Westen. Warum dann nicht Erfurt? Und wir haben hier Wurzeln im alten Augustinerkloser, in dem auch Martin Luther gelebt hat. Zugleich haben wir aber hier jetzt nicht eine direkte jüngere Geschichte, die uns hier wieder festschreiben würde auf bestimmte Rollen, waren also frei, wirklich neu zu beginnen."
    Nicht Gäste, sondern Mit-Hausherren
    Martin Luther ist nicht der einzige Bezug zum Protestantismus: Die vier Augustiner feiern nicht nur in einer evangelischen Kirche ihre Messe, sondern leben auch noch in einem evangelischen Pfarrhaus, als Untermieter der Reglergemeinde. Eigentlich waren sie nur zum Wohnen untergeschlüpft, weil sie ein Dach über dem Kopf brauchten und die katholischen Gemeinden nichts anbieten konnten. Aber Pfarrerin Gabriele Lipski will sie nun nicht mehr gehen lassen.
    Sie sagt: "Ich glaube, das ist was Einmaliges und nichts Ost- und nichts West-spezifisches. Das ist einfach die Bereitschaft zur Ökumene. Hat vielleicht mit uns Personen, mit uns Pfarrern zu tun, aber eben auch mit der Gemeinde. Auf jeden Fall haben wir uns mit denen immer besser verstanden und haben uns dann entschieden, den Mönchen mit ihrer Gemeinde Gastfreundschaft zu gewähren in besonderer Weise. Also so, dass wir sagen: Ihr seid jetzt nicht mehr Gäste, sondern mit uns Hausherren. Und seit dem 1. Advent, wo wir einen großen Versöhnungsgottesdienst miteinander hatten und uns auch erzählt haben, was wir für Kränkungen schon erfahren haben jeweils von der anderen Kirche, sind wir gemeinsam in unserer Gemeinde und versuchen auch, verschiedene Aktionen gemeinsam zu machen."
    Zum Beispiel einen wöchentlichen Bibelkreis für alle Interessierte in der Fastenzeit. Inzwischen gehören die Brüder mit ihren schwarzen Kapuzenkutten zum Stadtbild, ihr freundliches, aufgeschlossenes, undogmatisches Wesen hat sich herumgesprochen. Sie vertreten Pfarrer, helfen bei der "Lebenswende" aus – einer Art religiösem Übergangsritual für 14jährige Nichtchristen –, und kümmern sich um die, die durch alle Raster fallen: Areligiöse, Kirchenferne, Gemeindeferne, Zweifelnde und Suchende.
    Bruder Jakob erzählt: "Und das ist das Schöne, dass wir das "freie" auch als Seelsorgeangebot leben können, dass die Leute das auch so abrufen, wahrnehmen, finden können bei uns, dass wir eben nicht von vornherein – schwer zu formulieren – schon so in Routineaufgaben eingebunden sind fest. Haben eine ganze Reihe Leute, die regelmäßig zu uns kommen zu geistlicher Begleitung. Wir haben aber auch immer wieder Einzelne, die mal Rat suchen oder ein Gespräch suchen oder beichten möchten oder die einfach Betreuung, auch seelsorgliche Betreuung brauchen. Solche Leute haben wir immer wieder, die wenden sich auch sehr schnell an uns. Das ist interessant, wie schnell die Leute dann auch Ordensleute finden."
    Wie Stroh essen
    Den Osten als areligöses Gebiet, als Diaspora für alle Christen sehen sie eher als Herausforderung denn als Belastung.
    "Ich erlebe oft, dass die Menschen es interessant finden zunächst, meine Lebensform", erzählt Jeremias. "Nicht bei allen! Ein Freund von mir, der sagt immer, "Das, was ihr tut ist, das ist für mich, wie wenn ich Stroh essen müsste! Völlig ungewohnt und auch unverdaulich." Also es ist es für mich höchst spannend, weil ich das Gefühl habe, es geht nicht den Ostdeutschen, da gibt es auch ganz unterschiedliche Menschen, die auf der religiösen Suche sehr, sehr unterschiedlich vorgehen oder keine religiöse Suche erst mal zulassen und trotzdem auch ihrem Leben einen Sinn geben wollen. Die, die sozusagen "naturbelassen" sind uns ja auch bisher nichts vermissen in ihrer Lebenshaltung - das sind nicht die Massen, es ist es auch schwierig, sind so einzelne, die da kommen und was entdecken für sich … Und deswegen, glaube ich, brauchen wir eine Gemeinschaft, die dafür offen ist und auch eine Möglichkeit zum anderen bietet."
    Die vier Augustiner-Mönche haben sich gut eingerichtet im Lutherischen Pfarrhaus. Und es erscheint nur gerecht: Schließlich ist das Erfurter Augustinerkloster, in das der Katholik Luther 1505 eingetreten war, heute fest in evangelischer Hand.