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Reformation in Serie
Luthers Thesen - neu gelesen (18)

Die Historikerin Katharina Kunter, die katholische Theologin Johanna Rahner und der islamische Theologe Mouhanad Khorchide kommentieren Martin Luthers 18. These.

12.07.2017
    These 18: "Es scheint weder durch Gründe der Vernunft noch der Heiligen Schrift erwiesen zu sein, dass Seelen im Fegfeuer außerhalb eines Status von Verdienst oder Liebeswachstum sind."
    Katharina Kunter, Historikerin: "Hier formuliert Luther etwas, was er später – 1521 – gegenüber dem Kaiser auf dem Wormser Reichstag auch sagen wird, nämlich: Die Gründe der Vernunft und der Heiligen Schrift, das sind die einzigen beiden Autoritäten, die ihn bewegen können, einen Widerruf zu leisten."
    Johanna Rahner, katholische Theologin: "Als Professor an einer theologischen Fakultät sieht Luther seine Aufgabe darin, dem akademischen Brauch folgend zum wissenschaftlichen Disput aufzurufen. Während seine Gegner ihm Irrlehren nachweisen wollen, besteht Luther darauf, dass die Positionen theologisch offen sind. Wir erleben hier theologische Arbeit als work in progress, als Ringen um das bessere theologische Argument. Wer daher meint, dass Luther mit den Ablassthesen schon den Boden der katholischen Kirche verlassen hat, unterschätzt die Komplexität des Themas ebenso wie die Offenheit der damaligen theologischen Diskussion."
    Mouhanad Khorchide, islamischer Theologe: "Luther wollte das Fegefeuer – wenn wir es zugespitzt sagen – abschaffen. Im Islam gibt es unterschiedliche Schulen. Alle sind sich aber einig mehr oder weniger, dass es so etwas wie ein Fegefeuer nur für Muslime gibt. Also Muslime, die gesündigt haben, die kommen ja irgendwann in die ewige Glückseligkeit, ins Paradies, aber sie müssen zuerst ins Fegefeuer gehen. Ich habe ein Problem damit, dass es nach einer Überschrift geht. Also alle Nicht-Muslime haben keine Chance. Es gibt nur die Hölle für sie. Es gibt eine kleine Strömung innerislamisch - das waren die Mutaziliten damals im 8. / 9. Jahrhundert, die gesagt haben: auch sündige Muslime, sobald sie gestorben sind, gibt es kein Fegefeuer mehr für sie. Da gibt es nur das Feuer, das ewige Feuer."
    Konzeption und Realisierung: Christiane Florin, Andreas Main, Christian Röther, Simonetta Dibbern