Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Reformation und Film
Der stumme Luther

Ein Lutherfilm ist aus den Tiefen der Archive wieder auferstanden. Genauer: der Film "Luther" von Hans Kyser. Ein Stummfilm, uraufgeführt im Februar 1928. Nach katholisch-bayerischen Protesten wurde der Film 40 Mal verändert und gekürzt. Jetzt wird er wieder im Original gezeigt. Nur ist das noch der Luther, den wir heute sehen wollen oder sollten?

Von Thomas Klatt | 23.01.2017
    Eine Mitarbeiterin des Filmarchivs Berlin, einer Abteilung des Bundesarchivs, restauriert einen beschädigten Stummfilm auf Nitrobasis für die Umkopierung auf Sicherheitsfilm.
    Der Stummfilm "Luther" von Hans Kyser aus dem Jahr 1928 ist aus den Tiefen des Bundesarchivs auferstanden (picture alliance / ZB / Hubert Link)
    "Es ist ein wunderbarer Beginn des Luther-Jahres, weil es eben dieses historische Dokument ist, die Sicht auf Luther von 1927."
    Schwärmt der Stummfilm-Musiker Stephan Graph von Bothmer, der den Luther-Film von Hans Kyser nun auf seiner deutschlandweiten Tournee aufführt.
    "Und es gibt einen Kritiker der Premiere damals 1928, der hat es eine religiöse Revue genannt."
    Für Katholiken brisant
    Erste Szene: Magister Martin Luther befreit die Schüler in Eisleben aus den Fängen des strengen und den Rohrstock schwingenden Latein-Lehrers. Der Bergmannssohn zupft die Laute für die fröhlich singenden Kurrende-Knaben. Vater und Mutter Luther danken es mit süßem Kuchen. Später dann zecht er sich mit seinen Kommilitonen durch das Erfurter Studentenleben. Erst allmählich entwickelt sich der sympathische Held zum großen Reformator. Das aber stieß vor 90 Jahren beim Publikum nicht nur auf Begeisterung, so er der katholische Theologe Reinhold Zwick aus Münster:
    "Man kann sich heute schwer in die damalig aufgeheizten Zeiten zurückversetzen. Die bayrische Staatsregierung, das Innenministerium hat ja argumentiert, der Film wäre geeignet, den konfessionellen Frieden zu stören und damit letztlich auch die öffentliche Ordnung zu gefährden."
    Ein für Katholiken damals brisanter Film, in dem Luther im Gewitter schwört, in ein Kloster zu gehen, dann in tiefe Glaubensdepressionen verfällt und als Pilger nach Rom reist. Reinhold Zwick, der auch Mitglied der Katholischen Filmkommission, erinnert daran, für wen der Film gemacht war:
    "Er ist klar ein Film für die protestantische Gemeinde, die hier ihren Helden findet, und das stieß auf Unbehagen, weil von der katholischen Seite doch sehr viel und sehr einseitig die negativen Entwicklungen herausgestellt wurden."
    "Antikatholische Propaganda, aber visuell toll"
    Die katholische Kirche kommt in diesem 90 Jahre alten Luther-Film denkbar schlecht weg. Das sieht dann so aus: Kaum in der ewigen Stadt angekommen, werden dem Augustiner-Eremiten-Mönch Martinus die Augen geöffnet über den wahren Zustand der katholischen Kirche.
    "Ich denk die Treppenszene in Rom, wo es um die Wallfahrer geht, die eine riesige Treppe hochrutschen auf den Knien, dann von den päpstlichen Soldaten runter gedrängt werden und dann ergießt sich eine Flut von Würdenträgern, Nonnen, Mönchen usw. von oben über die Treppe und das hört und hört nicht auf, bis endlich der Papst kommt auf einem Thron mit Pfauenfedern usw. usw. Das ist rhetorisch eine Glanzleistung, so antikatholisch die Propaganda auch ist, aber visuell ist es toll."
    Diese Szene - ein Highlight des Stummfilms von 1927, findet Karsten Visarius, Film-Experte im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik in Frankfurt. Eine Szene mit großem Statisten-Aufwand, die auch an die berühmte Treppe von Odessa aus Sergej Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" erinnert.
    Große Posen, großes Kino
    Ein paar Filmminuten weiter: Luthers 95 Thesen verbreiten sich in Windeseile im Land. Zwischentext im Film: Dem römischen Gänsekiel werde Luther schon die deutsche Adlerfeder entgegenhalten!
    "Das ja sehr deutsch-national ist und es ist rein zentriert auf einen nationalen Rahmen. Es kommen die Heroen der deutschen Geschichte vor, Hutten, Dürer und andere, Hans Sachs und so weiter, also alle diese Heroen, die in irgendeiner Beziehung zu Luther zu bringen sind."
    Große Posen, großes Kino. Der Reformator zieht zum Ende des Films von der Wartburg kommend sogar eine hellglänzende Ritterrüstung an, um die religiösen Eiferer um Karlstadt von Kirchenplünderungen und Bilderstürmerei abzuhalten.
    Luther selbst, meint der evangelische Filmbeauftragte Karsten Visarius, hätte wahrscheinlich keinen Gefallen an diesem Luther-Film von 1927 gefunden.
    "Da ist ja eine große Distanz zu dem historischen Luther, der gewettert hat gegen die Heiligenverehrung, das mochte er nicht, und diese Ikonisierung der kirchengeschichtlichen Figuren. Und genau das macht ja der Film hier wieder. Er verklärt ihn, er macht ihn zu einem Helden oder Heiligen. Luther hätte es so nicht gemocht, weil er es abgelehnt hat: diese Art der Verehrung."
    "Protestantisch-nationalkonservatives Zeitdokument"
    Insofern müsse man den Luther-Stummfilm eben als ein protestantisch-nationalkonservatives Zeitdokument der Weimarer Republik betrachten. Die Theologie und Kirche von heute würde anders als damals Luther viel mehr im europäischen Kontext verstehen. Daher tauge der Luther-Stummfilm auch nicht für den heutigen Religionsunterricht, meint zumindest der Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen.
    "Nein, man kann ihn nicht mehr direkt einsetzen. Man kann ihn sich angucken und auch diskutieren, weil man viel lernt über die Konstruktion von Geschichtsbildern und von Heldenbildern. Aber Konfirmanden, die armen Kinder, die sollten so was nicht direkt gucken. Aber mit Studenten und interessierten Erwachsenen: So werden Geschichtsbilder gemacht und so werden Geschichtsbilder konstruiert."
    Im Grunde seien aber alle Luther-Bilder der letzten fünf Jahrhunderte Konstruktionen der jeweiligen Epoche. Und umgekehrt gilt: Ohne die Bildkonstruktionen der letzten 500 Jahre würde es die evangelischen Kirchen heute in ihrer jetzigen Form so nicht geben, räumt Theologe Claussen ein:
    "Das ist die große Paradoxie des Protestantismus. Wir wollen nur das Wort gelten lassen, aber Luther war ja der meist gemalte, gezeichnete Mensch überhaupt in seiner ganzen Epoche. Also Luther war sozusagen als Bildikone total präsent. Ohne die Bilder hätte der Protestantismus nicht so stark werden können."
    Was nun also machen mit dem neu entdeckten Luther-Stummfilm von 1927? Der evangelische Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen rät zu aufgeklärter Gelassenheit, mit der man sich das Werk vergnüglich anschauen sollte.
    "Das ist für uns heute wichtig, dass wir Luther differenziert betrachten, keine einfache Heldenverehrung, aber auch keine Totalverdammung, sondern eben eine historische Gestalt, die vieles ausgelöst hat, was uns immer noch betrifft. Und da muss man eben differenziert schauen. Man darf sie sich anschauen, nur man muss die Bilder aus dem Kopf wieder kriegen, das diskutieren und nicht einfach konsumieren."
    Das ganze Reformationsjahr über wird der Luther-Stummfilm nun in deutschen Kinos und Kirchen aufgeführt. Und es gibt ihn beim Filmarchiv des Bundes als DVD: den neu entdeckten, alten Luther-Stummfilm.