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Reformpapier oder Wahlprogramm?

Am 15. Januar 2010 hat FIFA-Präsident Joseph Blatter seinen bis dahin wichtigsten Mitarbeiter entlassen: Der Franzose Jérôme Champagne musste als Direktor für internationale Beziehungen gehen, weil er nicht nur Blatter, sondern auch den damaligen FIFA-Mächtigen Mohamed Bin Hammam und Jack Warner zu einflussreich geworden war. Exakt zwei Jahre später meldet sich Champagne mit einem nicht sensationellen, aber doch bemerkenswerten Reformpapier zurück.

Von Jens Weinreich | 16.01.2012
    Zwei Jahre war Jérôme Champagne an seinen Auflösungsvertrag gebunden. Zwar hat er in dieser Zeit dezent Sportpolitik betrieben und war etwa für Palästina tätig, doch nur einmal, auf der Konferenz Play the Game im vergangenen Oktober in Köln, hat er sich mit einem Vortrag lautstark an die Öffentlichkeit gewagt. Seine Zurückhaltung hat der bestens vernetzte und in der Branche flächendeckend akzeptierte Champagne nun abgelegt. Sein umfangreiches Reformpapier, das auf den im Oktober vorgestellten Überlegungen basiert, kommt zur rechten Zeit. Denn FIFA-Präsident Joseph Blatter gerät immer mehr unter Druck, etwa durch Dokumente der Vorteilsnahme und Korruption, die sein ehemaliger Vizepräsident Jack Warner vorlegt. Warner und Bin Hammam, die Champagne einst abgesägt haben, sind nicht mehr in der FIFA. Und das so genannte Reformprogramm, das vor allem zur Machterhaltung Blatters dient, kommt nicht so recht in Schwung.

    Für Schwung sorgt nun aber Champagne, der keine Fundamentalkritik übt, schon gar nicht an Blatter, für den er elf Jahre tätig war. Auch fordert er nicht die Aufarbeitung der kriminellen Machenschaften und etwa die sofortige Veröffentlichung zahlreicher brisanter Unterlagen. Aber Champagne, der zu den herausragenden Figuren der olympischen Sportwelt zählt, die bisher mehr im Hintergrund werkelten, legt ein eng beschriebenes Papier von 25 Seiten vor, das auf den Erhalt der bisherigen Strukturen konzentriert ist, wenngleich ergänzt durch Forderungen nach Transparenz, Demokratie, Ethik und Modernität. Champagne will sowohl die FIFA-Administration und den Präsidenten stärken, als auch die 208 Nationalverbände - und er plädiert für mehr Mitsprache von Ligen, Klubs und Spielern.

    Bemerkenswert ist sein Konzept vor allem deshalb, weil er es am Montag an alle Nationalverbände verschickt hat. Beobachter sehen darin eine Bewerbung für den FIFA-Vorstandsposten. Präsidiabel wäre der langjährige Diplomat Champagne, 53, im Vergleich zu Blatter, 75, allemal. Nach den Entwicklungen der vergangenen Monate wird in der Szene davon ausgegangen, dass Blatter noch vor Ende seiner Amtszeit das Feld räumen muss - also vor 2015. Neben UEFA-Präsident Michel Platini steht nun also auch Champagne bereit, noch ein Franzose. Auch wenn er sagt, dass sein Papier nichts mit präsidialen Ambitionen zu tun habe, sondern dass er sich allein um die FIFA sorgt und Blatters Diskussionsangebot aufgreife.

    Champagne ist rhetorisch geschult, er spricht die Sprache der FIFA, die im Wahlvolk ankommt, so gut wie außer Blatter kaum jemand. Zudem sollte man seine Arbeit über lange Jahre mit den vielen kleinen Nationalverbänden nicht unterschätzen. Champagne kennt sie alle. Und er hat als Troubleshooter viele Probleme auf allen Kontinenten gelöst. Dabei hinterließ er nicht nur Feinde, sondern sehr viele Wahlberechtigte, die ihm bis heute dankbar sind.

    Und es sind immer noch die 208 Verbände, die einen FIFA-Präsidenten wählen. Das wird auch nach Verabschiedung diverser Statutenänderungen auf den kommenden beiden FIFA-Kongressen so bleiben.