Woody Allen über „Ganz nebenbei“

Filmregisseur statt professioneller Schwindler

06:35 Minuten
Der Filmemacher Woody Allen lehnt sich an die Wand in einer Zimmerecke.
Der Regisseur Woody Allen findet, dass er großes Glück im Leben gehabt hat. © dpa / MAXPPP / Arnaud Journois
Von Tobias Wenzel · 18.05.2020
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Woodys Allens Autobiografie „Ganz nebenbei“ hat für viel Wirbel gesorgt. Wir haben mit ihm über das Buch, sein Leben und die Missbrauchsvorwürfe gesprochen.
Woody Allen hat große Angst vor dem Coronavirus, erzählt er am Telefon. Die Wirklichkeit ist ja auch seine Erzfeindin, entnimmt man seiner Autobiografie. Darum schnell noch die Frage hinterhergeschoben, ob sich aus Corona nicht eine Komödie machen lasse:
"Ich vermute, eines Tages ja. Wenn entsprechend Zeit vergangen ist. Ein großer Geist hat einmal gesagt: 'Tragödie plus Zeit ist gleich Komödie.' Wie jedes andere Thema wird auch die Coronakrise irgendwann, ob von mir selbst, weiß ich nicht, aber von Komödienautoren, Filmemachern und Schriftstellern als komischer Stoff verwendet werden."
Sein eigenes Leben hat er nun in seiner Autobiografie komisch und berührend geschildert. Woody Allen, 1935 in New York City geboren, wächst in Brooklyn auf:
"Mein Vater hat mir Gute-Nacht-Geschichten erzählt, in denen es um Gangster ging: um das Valentinstag-Massaker oder um den berühmten US-amerikanischen Gangster John Dillinger. Diese Geschichten waren natürlich viel spannender als die über Goldlöckchen und Schneewittchen."

Kino statt Schule

Der Vater, der sein Geld in illegalen Lotterien ausgibt und "schief rollende Golfbälle" kauft, um seine Freunde übers Ohr zu hauen. Ein Familienmitglied skurriler als das andere. Was für eine Kindheit!, denkt man begeistert bei der Lektüre dieser Autobiographie. Allen schwänzt regelmäßig die Schule, um ins Kino zu gehen.
"Wenn ich weniger Zeit im Kino verbracht und mich mehr auf die Schule konzentriert hätte, wäre ich besser in der Schule gewesen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dann jemals Kinofilme gemacht hätte."
Als Jugendlicher schreibt Allen Witze für Zeitungen, arbeitet Stand-up-Comedians zu, wird später selbst einer, dann Schauspieler und Filmregisseur.

Keine Anklage wegen Missbrauch

In seiner Autobiografie unterbricht er die Schilderung dieser abenteuerlich steilen Karriere, um zu den Missbrauchsvorwürfen Stellung zu beziehen.
1992 trennen sich Woody Allen und Mia Farrow. Denn Farrow ist hinter das Verhältnis ihrer volljährigen Adoptivtochter Soon-Yi Previn, Allens heutiger Ehefrau, mit dem Regisseur gekommen. Es folgt ein Sorgerechtsstreit um die gemeinsamen Kinder.
Teil dessen wird die Anschuldigung, Woody Allen habe seine damals sieben Jahre junge Adoptivtochter Dylan sexuell missbraucht. Er bestreitet das und behauptet, Mia Farrow habe Dylan manipuliert.
Zwei unabhängige, monatelange Untersuchungen kommen zu dem Schluss, das Kind sei nicht missbraucht worden. Der Staatsanwalt erhebt keine Anklage. Seit 2013 wiederholt die nun erwachsene Dylan Farrow aber den Missbrauchsvorwurf. Ihr Bruder Moses Farrow stützt Allens Version und spricht von einem Racheakt Mia Farrows.

"Die Anschuldigungen bleiben an einem hängen"

Ronan Farrow, Mia Farrows und eventuell auch Allens leiblicher Sohn, ergreift dagegen Partei für Dylan.
Woody Allen sagt dazu:
"Sie ist nie von mir missbraucht worden. Aber aus welchem rätselhaften Grund auch immer kann diese falsche Anschuldigung wie jede andere Anschuldigung an einem hängen bleiben und ein Eigenleben führen. Ich habe gelernt, dass unhaltbare Gerüchte eine Ausdauer haben, die Menschen als prickelnd empfinden."
Obwohl unbewiesen und von den Untersuchungsbehörden als nicht zutreffend bewertet, hatten die Anschuldigungen in jüngster Zeit, im Zuge von MeToo, schwerwiegende Folgen für Allen: Amazon hat die Zusammenarbeit mit ihm beendet. Sein letzter Film "A Rainy Day in New York" war in den USA nicht zu sehen. Schauspieler bereuen nun öffentlich, mit ihm zusammengearbeitet zu haben.
Im Buch erzählt Allen, einige hätten ihm gesagt, sie seien von seiner Unschuld überzeugt, müssten sich aber von ihm öffentlich distanzieren, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Da fragt man sich, ob das alles Woody Allen erst recht zum Misanthropen gemacht hat: "Nein. Ich war ja schon lange davor misanthropisch. Für mich ist diese Sache immer lächerlicher Unsinn gewesen."

Glückliches Leben mit Alternativen

Im Buch betont Allen trotzdem, er habe großes Glück im Leben gehabt. Allerdings bedauert er, dass ihm mit keinem Film ein großer Wurf gelungen sei: "Wahre Größe, die Größe von Regisseuren wie Kurosawa, De Sica, Fellini und Bergman, steckt einfach nicht in mir."
Statt des Filmemachers Woody Allen wäre er deshalb, verrät er in seiner Autobiographie, gerne der Autor Tennessee Williams gewesen. Oder – Frage – ein Gangster?
"Auf der anderen Seite des Gesetzes wäre ich wohl eher ein Schwindler geworden. Ich hätte andere mit Kartentricks betrogen. Ich hätte mit Würfeln gespielt und Roulette. Ich hätte auf Rennpferde gewettet. Und wenn sich eine Gelegenheit zum Schummeln ergeben hätte, wäre ich dafür offen gewesen."
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