Freitag, 19. April 2024

Archiv

Vor 100 Jahren
Gründung der Ersten Ungarischen Republik

Zu spät und vergeblich versuchte der österreichische Kaiser Karl I. am Ende des Ersten Weltkrieges sein auseinanderbrechendes Reich zu retten. Auch im Königreich Ungarn, Teil der k. u. k. Doppelmonarchie, wollte man endlich raus aus der Fremdbestimmung. Nach Streiks und Demonstrationen war es am 16. November 1918 so weit.

Von Doris Liebermann | 16.11.2018
    Eine riesige Menschenmenge vor dem Parlament in der ungarischen Hauptstadt Budapest feiert die Proklamation der Republik Ungarn am 16. November 1918. |
    Kaum war die Doppelmonarchie mit Österreich beendet , wurde am 16. November 1918 in Budapest die Republik Ungarn ausgerufen (picture-alliance / dpa)
    "Die Stadt jauchzte. Jedermann schmückte sich mit weißen Herbstrosen. Wir hatten gesiegt und ohne Blut gesiegt. Das wollte die weiße Blume besagen." So erinnerte sich der oppositionelle Politiker Graf Mihály Karólyi an den Herbst 1918 und die "Asternrevolution" in Ungarn: "Ohne jeden Widerstand wurden hintereinander die Kommandostellen, die Kasernen, die Telefonzentralen und die Hauptpost besetzt! Das Volk ergriff die Macht und legte sie in die Hände des Nationalrates."
    Das Land war zu dieser Zeit noch Teil der kaiserlich- und königlichen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Diese hatte als Verbündete des Deutschen Kaiserreiches den Ersten Weltkrieg verloren. Ungarn, fast 400 Jahre fremdbestimmt, verlangte nach nationaler Selbständigkeit.
    Am 25. Oktober beschloss der neu gegründete Ungarische Nationalrat unter Vorsitz von Mihály Károlyi ein Zwölf-Punkte-Programm. Darin hieß es: "Die vollständige Unabhängigkeit Ungarns ist sicherzustellen."
    Viele Ungarn schlossen sich den Forderungen an, sie wollten Károlyj als Regierungschef. Als der König zwei Tage später aber den Grafen János Hadik zum Ministerpräsidenten bestimmte, kam es zur "Asternrevolution", zu Unruhen, Streiks und Demonstrationen im Land. Die Soldaten steckten sich weiße Astern an ihre Mützen, von denen sie das k. und k.-Emblem gerissen hatten. Der König war gezwungen, Mihály Károlyj zum Ministerpräsidenten zu ernennen.
    "Károlyj stammte aus einem der ältesten Adelsgeschlechter des Landes. Durch und durch Lebemann, war er gleichzeitig ein europäisch gebildeter, auch von den Ideen des modernen Sozialismus beeinflusster Aristokrat. An diesem Tiefpunkt der ungarischen Geschichte wurde er als Kriegsgegner mit früher guten Kontakten in Frankreich, Großbritannien und den USA schnell zum Hoffnungsträger der Nation."
    So beschreibt der Schriftsteller György Dalos den adligen Politiker, dessen Macht begrenzt war, weil sich sein Land in der Hand der Siegermächte befand.
    Am 31. Oktober beendete Ungarn die Realunion mit Österreich, und am 16. November 1918 rief Mihály Károlyj die Republik Ungarn aus. Dazu György Dalos: "Die Regierung nannte sich 'Volksregierung'. Denn das Volk sollte verstehen, dass es nicht einfach eine bürgerliche Republik ist."
    Im Strudel territorialer Fliehkräfte
    Im Januar 1919 wurde Mihály Károlyj zum Präsidenten gewählt. Doch das größte Problem der ersten Ungarischen Republik, so György Dalos "bestand darin, dass sie die Nachkriegsverhältnisse nicht wirklich im Griff haben konnte. Das hing damit zusammen, dass der allgemeine Zerfall der ehemaligen k. und k. Monarchie alle möglichen territorialen Fragen stellte "Kroaten und Slowaken hatten schon Ende Oktober 1918 ihre Loslösung von Ungarn erklärt", sagt Dalos. Das heißt, die Károly-Regierung sollte, um die territoriale Integrität zu schützen, über eine Armee verfügen. Aber einerseits verfügte sie nicht mehr über eine kampffähige Armee, andererseits sagte sogar der liberale Verteidigungsminister Béla Lindner: "Ich will keine Soldaten mehr sehen. Und die Soldaten wollten auch keine Soldaten mehr sehen."
    Nutznießer der desolaten Nachkriegszustände waren die Kommunisten um Béla Kun, der in russischer Kriegsgefangenschaft Anhänger der Bolschewiki geworden war. Mihály Károlyj musste im März 1919 die Macht an eine bald kommunistisch dominierte Räteregierung abtreten. Doch schon wenige Monate später wurde auch die Räteregierung gestürzt, als die rumänische Armee Budapest besetzte. Die Monarchie wurde wiederhergestellt, wenn auch nur mit einem "Reichsverweser" Miklós Horthy, nicht mit König und Thronfolger. Formal blieb das Land bis 1946 Königreich.