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Regierungsbildung
"Ein Kooperationsmodell halte ich für besonders problematisch"

Bei der SPD gab es zuletzt Vorbehalte gegen eine Neuauflage der Großen Koalition. Von Alternativen wie einer loseren Kooperations-Koalition halte er nicht viel, sagte Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, SPD, im Dlf. Das sei besonders problematisch, da es im Bundestag eine Mehrheit rechts von der SPD gebe.

Wolfgang Thierse im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.12.2017
    Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse spricht in der Bundespressekonferenz
    Die Fortsetzung der Großen Koalition stoße auf viel Widerstand, so der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (picture-alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Jasper Barenberg: Ein großes Geheimnis wurde im Vorfeld um das erste Spitzentreffen von Union und SPD gemacht. So heikel ist der Versuch, nach dem Scheitern von Jamaika doch wieder ein Regierungsbündnis auf den Weg zu bringen, und so offensichtlich schwertut sich die SPD damit, das kategorische Nein hinter sich zu lassen und Gespräche mit der CDU und der CSU einzugehen.
    Mitgehört hat Wolfgang Thierse, der frühere sozialdemokratische Präsident des Bundestages. Schönen guten Morgen, Herr Thierse.
    Wolfgang Thierse: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    "Man kann nur um Verständnis bitten"
    Barenberg: Hand aufs Herz: Sind Sie im Moment geradezu froh, dass Sie nicht in der Haut von Martin Schulz stecken und den anderen Mitgliedern der Spitze der SPD?
    Thierse: Ehrlich gesagt, ja.
    Barenberg: Das ist zweifellos schlicht ein Dilemma für die SPD?
    Thierse: Das ist so. Es ist wirklich eine schwierige Situation, weil alle Möglichkeiten mit besonderen Risiken verbunden sind, für die SPD durchaus problematisch sind. Es war ja kein Fehler, dass die SPD-Führung nach der Wahl am 24. September gesagt hat, wir verstehen die Wähler, wir haben, sowohl SPD wie auch, was immer mal vergessen wird, CDU/CSU, eines der schlechtesten Ergebnisse überhaupt bescheinigt. Das ist keine Ermunterung zur Fortsetzung der Großen Koalition. Also war diese Entscheidung konsequent. Zumal ja auch im Wahlkampf vorher sichtbar war, dass zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen viel größere Nähen sich entwickelt hatten. Umso bestürzender war ja die Entscheidung, Jamaika scheitern zu lassen, was wir wohl vor allem der FDP und Herrn Lindner zu verdanken haben, wenn man die Berichte richtig verstanden hat.
    Wir stehen jetzt wirklich vor einer schwierigen Situation und deswegen kann man nur um Verständnis bitten, dass die SPD an dieser Stelle mit sich ringt und das sehr, sehr ernst nimmt und nicht ganz locker von heute auf morgen etwas anderes zu tun bereit ist.
    "Kein schlechtes Zeichen für eine Volkspartei"
    Barenberg: Ich denke, Verständnis dafür gibt es durchaus. Ein bisschen ist die Frage, Herr Thierse, wie lange wir dieses Verständnis haben können, wenn mehr und mehr der Eindruck entsteht, die SPD weiß schlicht nicht, welchen Weg sie einschlagen möchte.
    Thierse: Was heißt hier wissen? – Dass man darüber debattiert, auf dem Parteitag viele Stunden leidenschaftliche, ernsthafte Debatten, das ist doch kein schlechtes Zeichen für eine Volkspartei, dass sie miteinander streitet, weil ja die Möglichkeiten in jedem Fall problematisch sind. Die Fortsetzung der Großen Koalition stößt auf viel Widerstand, und wie gesagt, das Wahlergebnis war an dieser Stelle schon auch zu interpretieren als eine Absage an die Fortsetzung der Großen Koalition. Die Duldung einer Minderheitsregierung hat bestimmte Probleme. Was jetzt ins Spiel gebracht wurde, ein sogenanntes Kooperationsmodell, das halte ich für besonders problematisch, weil es ja schließlich im Bundestag, im Parlament eine Mehrheit rechts von der SPD gibt, die alles, was die SPD will und sagt, konterkarieren kann. Insofern ist es eine schwierige Situation und es hängt wirklich davon ab, ob CDU/CSU bereit ist und ernsthaft wieder eine Koalition will. Dann muss sie auch inhaltlich sagen, in welchen Schritten sie auf die SPD zugeht, damit die SPD überhaupt Ja sagen kann zu einer neuen Großen Koalition.
    "Die SPD ringt ernsthaft mit sich"
    Barenberg: Nun ist, wenn ich das recht sehe – viel haben wir ja nicht erfahren über das Gespräch gestern Abend -, das Fazit danach: Die Union will, bietet ernsthafte Gespräche an, und die SPD sagt, wir müssen noch überlegen, am Freitag beraten die Gremien. Sie werden das nicht gern hören, aber Ihr früherer SPD-Chef und späterer Linken-Vorsitzender Oskar Lafontaine wird heute Morgen zitiert mit dem Satz, dass er die SPD für orientierungslos hält, dass er sie als ängstlich erlebt und unsicher, weil sie nicht weiß, welchen Weg sie gehen soll. Noch mal die Frage: Muss sich die SPD jetzt nicht zügig, wie es die Unions-Politiker sagen, zusammenreißen und sich klar äußern, ob sie mit der Union verhandeln will, und zwar über eine formale Koalition?
    Thierse: Die Begleitmusik, egal ob von Politikern a la Lafontaine oder Dobrindt, ist das eine. Die meinen es ja nicht gut mit der SPD, sondern sie wollen nur schäbige Äußerungen über sie machen. Etwas anderes ist, dass die SPD ernsthaft mit sich ringt. Soll man das einer Partei übel nehmen, die ja bestimmte Erfahrungen mit der Großen Koalition gemacht hat? - Zwei haben wir hinter uns. Bei der letzten war sichtbar, dass die SPD-Minister besonders gut waren, dass die SPD viel durchgesetzt hat, aber die Wähler haben es nicht belohnt. Das ist doch etwas, woran eine Partei laboriert. Und wenn man dann noch denkt, dass Große Koalitionen ohnehin demokratietheoretisch nicht das Gelbe vom Ei sind, sondern durchaus problematische Seiten haben, dann wird doch erklärlich, warum die SPD mit sich ringt. Das ist nicht orientierungslos, sondern das ist ein echtes – Sie haben es selber gesagt – Dilemma, eine Konfliktsituation, wo nicht ein Parteichef oder eine engere Parteiführung wie in CDU/CSU sagen kann, hoppla-di hoppla, wir machen das so, sondern wo man ernsthaft miteinander ringt, der Parteivorstand am Freitag darüber noch mal streitig debattieren wird und man dann sagen wird, gut, wir gehen in solche Gespräche, weil wir dann erst herausfinden, wozu CDU/CSU bereit sind, ob sie bestimmte Vorleistungen erbringen, etwa Dinge, die bereits im letzten Koalitionsvertrag vereinbart waren, die die CDU/CSU aber am Schluss blockiert haben, etwa das Verbot sachgrundloser Befristung, oder eine Erleichterung, von Teilzeit in Vollzeit zu gehen, und ähnliche Dinge. Da gibt es ja einige Punkte, wo man sagen kann, das sind vertrauensbildende Maßnahmen, das ermöglicht der SPD, in einer schwierigen Situation zu sagen, ja, diese Große Koalition könnte inhaltlich eine neue Chance sein. Und vor allem, finde ich, muss man sich verständigen über etwas, was bei Jamaika wohl absolut nicht gelungen ist, nämlich darüber: Gibt es ein überwölbendes Thema? Gibt es ein großes visionäres Wort, unter dem sich diese künftigen Koalitionäre vereinbaren können, dass man sagen kann, das ist das, was wir für unser Land in den nächsten Jahren tun wollen? Wenn das gelingt, dann wird man sich auch in Einzelheiten, denke ich, einigen können.
    "Immer noch Möglichkeit einer Minderheitsregierung"
    Barenberg: Sie haben vorhin ja schon angedeutet, dass natürlich auch in der SPD über verschiedene Modelle diskutiert wird, wie so ein Bündnis aussehen könnte. Da gibt es etwas lockerer, etwas festerer. Die SPD legt ja Wert darauf, vor allem ergebnisoffen zu reden. Nun kann man heute Morgen dieses Fazit auf Unions-Seite so interpretieren, dass sie im Grunde nur zu Gesprächen über eine stabile Regierung bereit sind. Ich interpretiere das so, dass sie nur eine förmliche, alt bekannte Große Koalition auf dem Tisch haben will als Option. Kann sich die Option darauf, sollte sich die SPD darauf einlassen?
    Thierse: Na ja. Das ist die Position CDU/CSU. In Verhandlungen zählt ja auch die Position der anderen. Und wenn die SPD-Führung sagt, das ist noch nicht ausgemacht, wir wollen in den weiteren Gesprächen mal inhaltlich prüfen, wo wir wirkliche Übereinkünfte, feste Übereinkünfte erreichen, wenn das gelingt, dann fällt es auch leichter zu sagen, wir wollen eine Große Koalition. Wenn das weniger gelingt, dann bleibt immer noch die Möglichkeit einer Minderheitsregierung. Von dem Modell einer Kooperations-Koalition halte ich nicht so viel, wie gesagt, weil es ja eine Mehrheit rechts von der SPD im Parlament gibt und dann plötzlich Entscheidungen dieser rechten Mehrheit dazu führen können, dass sozialdemokratische Minister etwas ausführen müssten, wogegen sie entschieden politisch sind. Das halte ich für kein so gutes Modell.
    Barenberg: Nun haben wir alle in den letzten Tagen, Wochen, Monaten erlebt, wie deutlich der gegenseitige Überdruss inzwischen ist, wie groß das Misstrauen geworden ist, auch die Unwilligkeit, sich noch mal auf einen Partner einzulassen – Sie haben das angesprochen -, der einen in der einen oder anderen Frage enttäuscht hat, sich nicht an Absprachen gehalten hat. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie es jetzt möglich sein soll, wieder neues Vertrauen gegenseitig zu fassen, zumal mit neuen Beteiligten, Martin Schulz etwa?
    Thierse: Ja das geht nur, wenn man tatsächlich feste Vereinbarungen erreicht und ein gemeinsames Ziel zu definieren in der Lage ist. Deswegen ist das, was da vertrauensbildende Maßnahmen seitens der CDU/CSU genannt wird, schon wichtig, dass die CDU/CSU zeigt, wir wollen nicht so wie in der vergangenen Großen Koalition Vereinbarungen treffen, aber im Laufe der vier Jahre sagen wir dann, nein, nein, nein, das haben wir nicht so ernst gemeint. Verlässliche Vereinbarungen, Signale, dass CDU/CSU es tatsächlich auch ernst meinen mit einer solchen möglichen Koalition, die wären schon eine Voraussetzung dafür, dass der Parteitag, der Sonderparteitag Ja sagt und dass am Schluss, wenn es denn zu Koalitionsverhandlungen und Ergebnissen kommt, dann eine Mitgliederbefragung dazu Ja sagt.
    Europas Entwicklung und Modernisierung Deutschlands
    Barenberg: Herr Thierse, wenn für Sie so wichtig ist, dass es ein überwölbendes gemeinsames Thema geben kann, und die SPD ein ums andere Mal sagt, ein weiter so wie bisher – und das ist ja immer auch inhaltlich gemeint – darf es nicht geben, haben Sie denn einen Vorschlag für ein solches Thema, für einen Punkt, einen Gedanken, wo man sagen kann, das könnte beide Seiten doch wieder in eine sinnvolle Zusammenarbeit bringen?
    Thierse: Ich glaube, es gibt zwei ganz große Herausforderungen, die im Zentrum stehen müssen. Das Erste ist die Zukunft Europas. Wenn Deutschland nicht auf Macron und seine Ideen antwortet, und sagt, das sind unsere Vorstellungen dafür, wie Europa sich weiterentwickeln kann und welche Rolle die deutsche Politik dabei spielt, dann macht eine solche Koalition keinen Sinn. Das ist eine ihrer wichtigen politischen Herausforderungen.
    Die zweite ist ohne Zweifel ein großer Modernisierungsauftrag, der von Bildung über Digitalisierung über Investitionen in Forschung und Infrastruktur hinausgeht. Das, glaube ich, sind die beiden Schwerpunkte, ein europäisches und ein wirkliches modernes Deutschland, das dabei die Fragen der sozialen Gerechtigkeit, des sozialen Ausgleichs, der Sicherung des Sozialstaates nicht vergisst.
    Barenberg: Wolfgang Thierse, der frühere Parlamentspräsident im Bundestag, heute Morgen hier live im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch.
    Thierse: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.