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Regierungsbildung
"Ich kann mir mit Frau Merkel keine Minderheitsregierung vorstellen"

GroKo, KoKo oder Neuwahlen? Noch ist völlig unklar, wie eine neue Bundesregierung zustande kommen soll. Der Politologe Oskar Niedermayer hält eine von der SPD geduldete Minderheitsregierung für ebenso unwahrscheinlich wie eine sogenannte Kooperationskoalition. "Das kann nicht funktionieren", sagte er im Dlf.

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Martin Zagatta | 12.12.2017
    Porträtaufnahme von Oskar Niedermayer im November 2015
    Eine KoKo ist ja im Prinzip auch nicht viel anders als eine vertraglich geduldete Minderheitsregierung, erklärte der Politologe Oskar Niedermayer im Dlf (dpa / Julian Stratenschulte)
    Martin Zagatta: Zu – das wird betont – ergebnisoffenen Gesprächen mit der Union hat sich die SPD durchgerungen. Jetzt erwägt Parteichef Martin Schulz offenbar ein neues Koalitionsmodell: eine sogenannte Kooperations-Koalition. KoKo statt der bei der SPD so ungeliebten GroKo.
    Verbunden sind wir jetzt mit dem Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer. Guten Tag, Herr Niedermayer.
    Oskar Niedermayer: Ja, guten Tag.
    Zagatta: Herr Niedermayer, in der SPD gibt es große Vorbehalte gegen eine Neuauflage der Großen Koalition. Eine Minderheitsregierung oder eine von der SPD tolerierte Regierung ist der CDU-Führung offenbar zu unsicher. Ist da jetzt eine solche KoKo, eine sogenannte Kooperations-Koalition, wie sie die SPD jetzt ins Spiel bringt, ist das vielleicht der Königsweg?
    Niedermayer: Mich erstaunt immer wieder, auf welche seltsamen Gedanken die SPD kommt, um ein bisschen zu regieren, aber gleichzeitig auch zu opponieren.
    So eine KoKo ist ja im Prinzip auch nicht viel anders als eine vertraglich geduldete Minderheitsregierung und man sucht sich von der SPD aus die Rosinen heraus, wo man mit der Union kooperieren will. Das legt man dann vertraglich fest. Und bei den anderen Sachen – und dieser Vorschlag kommt ja von den Linken innerhalb der SPD -, da hält man sich offen, eine linke Mehrheit im Bundestag zu organisieren, gegen die eigene Regierung. Wie so was funktionieren soll, in einer Regierung zu sein und gleichzeitig Opposition zu spielen, das ist mir vollkommen unklar.
    "Man braucht zwischen den Regierungsparteien ein Grundvertrauen"
    Zagatta: Aber im Unterschied zu einer nur tolerierten Regierung würde sich die SPD bei der KoKo ja an der Regierung mit beteiligen müssen. Man könnte da einiges festlegen und man könnte vielleicht auch einiges bewegen. Warum ist das so falsch?
    Niedermayer: Beteiligen müssen ja nicht; beteiligen wollen. Das heißt, man will die Vorteile einer Koalition haben, nämlich die Ministerposten. Man will aber die Nachteile nicht haben, nämlich sich wirklich dann als Regierung präsentieren zu müssen, sondern man will sich die Möglichkeit eröffnen, dann auch Opposition und gleichzeitig Regierung zu sein. So was kann nicht funktionieren!
    Ich meine, klar: Es ist selbstverständlich das, was Gabriel sagt. Man kann nie in einem Koalitionsvertrag alles festlegen, was in den nächsten vier Jahren passieren kann. Das ist die eine Sache. Aber die andere Sache ist: Man braucht zwischen den Regierungspartnern ein Grundvertrauen, dass diese Regierung auch bestehen bleibt, auch wenn es mal hart auf hart kommt. Und ein solches Grundvertrauen kann mit so einem Modell einfach nicht hergestellt werden, wenn der Partner sagt, wir suchen uns mit dem Modell die Dinge raus, von denen wir denken, dass sie uns nützen, und die machen wir mit euch. Bei allem anderen müsst ihr euch eine Mehrheit suchen und wir versuchen dann – und das wollen die Linken in der SPD -, gegen euch eine Mehrheit zu organisieren.
    "Das ist selbstverständlich der große Haken"
    Zagatta: Wäre das aber nicht umgekehrt auch eine Chance für die Union? Die könnte ja umgekehrt dann auch einiges durchsetzen, einiges mit der SPD, was man vereinbart, und anderes vielleicht mithilfe der FDP, vielleicht auch dann mit Duldung der AfD? Oder ist das der große Haken für die Union bei dieser Geschichte?
    Niedermayer: Ja, das ist selbstverständlich der große Haken, denn es zeichnet sich ja jetzt schon ab, was passieren würde bei bestimmten Sachen, wie zum Beispiel restriktivere Flüchtlingspolitik, Asylgesetzgebung und so weiter. Da könnte man dann möglicherweise auf die FDP hoffen, aber würde gleichzeitig die AfD mit ins Boot holen, und man kann der AfD ja zum Beispiel nicht verweigern, zu einem Gesetzentwurf Ja zu sagen, wenn er in den Bundestag reinkommt. Und das will natürlich die Union nicht, denn dann würde sie sofort von der Linkspartei, den Grünen und auch von ihrem Kooperationspartner SPD vorgeworfen bekommen, sie kooperiert mit der AfD.
    Zagatta: Auf der anderen Seite würde die Union das der SPD mit der Linkspartei genauso vorwerfen. – Wenn man so etwas vereinbart, könnte man nicht sagen, okay, wir bringen was Vernünftiges ein in den Bundestag, und wenn die FDP oder die AfD da mitmachen, dann ist das deren Sache?
    Niedermayer: Ja, das könnte man machen, wenn man die AfD als normale Partei ansehen würde wie alle anderen Parteien auch. Das tut man ja aber nicht, und zwar durchaus auch mit guten Gründen, und deswegen sagt man ja, man schließt eine Kooperation welcher Art auch immer mit der AfD von vornherein aus, was ich auch durchaus für sinnvoll halte.
    Aber das kann man dann nicht, wenn man sich für jede Geschichte, die im Koalitionsvertrag nicht drinsteht, neue Mehrheiten suchen muss. Wie soll man sich das denn im außenpolitischen Bereich vorstellen, oder bei der Europapolitik? Will man da tatsächlich alles im Koalitionsvertrag festlegen? Das wird schon mal ein riesen Problem werden, weil in der Union ja die Vereinigten Staaten von Europa von Schulz überhaupt nicht goutiert werden.
    Was sollen denn die SPD-Minister machen in einer solchen Koalition, die ja eigentlich eigenverantwortlich ihren Bereich führen sollen, aber dann bei jedem Gesetzesvorhaben aus ihrem Haus erst mal gucken müssen, ist das im Koalitionsvertrag drin, oder dürfen wir jetzt gar nichts machen, weil die Sache dann offen ist, die wir da jetzt machen wollen.
    "Das ist kein rein taktisches Manöver"
    Zagatta: Sie haben am Anfang gesagt, Sie wundern sich, auf welch seltsame Gedanken die SPD-Führung da kommt. Ist das für Sie ein rein taktisches Manöver und ist es klar, dass die Union das auf keinen Fall mitmacht?
    Niedermayer: Nein, das ist kein rein taktisches Manöver, denn der linke Flügel der SPD, für den könnte es ja nichts Besseres geben.
    Zagatta: Die meinen das ernst.
    Niedermayer: Man pickt sich die Rosinen raus, und der Vorschlag kam ja vom linken Flügel der SPD. Das darf man ja nicht vergessen. Er kam nicht von Schulz. Der linke Flügel ist ja durchaus der Meinung, man kann sich einiges mit der Union vorstellen, aber andere Dinge in einer Linksverbindung, und die möchte man sich offenhalten.
    Das ist nicht taktisch, sondern das wäre eigentlich das Optimale, was man sich von dieser Seite vorstellen könnte. Aber ich kann mir andererseits überhaupt nicht vorstellen, dass Frau Merkel, die ja sehr stabilitätsorientiert ist, in einer Regierung sich so was antun will.
    Zagatta: Können Sie sich denn vorstellen, wenn die Große Koalition scheitert, die Neuauflage – dagegen gibt es ja großen Widerstand in der SPD -, dass sich dann Frau Merkel auf eine Minderheitsregierung einlassen würde? Entsprechende Forderungen gibt es ja beispielsweise schon aus dem CDU-Wirtschaftsrat. Oder der CDU-Politiker Jens Spahn, der hat gesagt, wenn es mit der SPD nicht geht, dann machen wir es eben alleine. Können Sie sich das vorstellen, eine Minderheitsregierung?
    Niedermayer: Ich kann mir mit Frau Merkel eine Minderheitsregierung nicht vorstellen. Bei allem, was sie jetzt in den letzten Wochen gesagt hat, ist sehr deutlich geworden, dass sie das ablehnt, weil sie das für eine instabile Regierung hält, was es ja auch ist. Und wenn sie dazu gezwungen würde, dann steht ihr ja vollkommen offen, diese Minderheitsregierung sofort wieder zu beenden. Denn wenn sie mal gewählt ist, auch mit einer Minderheitsregierung, dann ist sie ja nicht mehr geschäftsführend im Amt, sondern sie ist dann ganz normal im Amt und kann zum Beispiel dann auch eine Vertrauensfrage stellen und die verlieren, und dann müssten Neuwahlen kommen.
    "Dazu gehören zwei"
    Zagatta: Das heißt, Neuwahlen, oder die SPD muss doch noch mitmachen bei einer Großen Koalition? Was anderes bleibt eigentlich realistisch aus Ihrer Sicht gar nicht übrig.
    Niedermayer: So würde ich das sagen, denn bei allen Vorschlägen, die die SPD jetzt macht, erweckt sie immer den Eindruck, als könnte sie das entscheiden, wie die Form der Regierung aussehen soll. Nur dazu gehören zwei, und das ist das Problem.
    Zagatta: … sagt der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer. Herr Niedermayer, danke für die Kooperation heute Mittag.
    Niedermayer: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.