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Regierungsbildung in Berlin
Die FDP bricht die Jamaika-Sondierungen ab

Mit diesem harten Schritt dürfte außer der FDP niemand gerechnet haben: FDP-Chef Christian Lindner sagte gestern die Teilnahme seiner Partei an einer möglichen Jamaika-Koalition ab. Er sehe zu viele faule Kompromisse. Eine Einigung wäre möglich gewesen, beteuern dagegen Union und Grüne.

Von Paul Vorreiter | 20.11.2017
    FDP-Chef Lindner gibt das Scheitern der Jamaika-Sondierungen von CDU, CSU, FDP und Grünen in Berlin bekannt.
    So wollte seine Partei nicht. Christian Lindner erklärte gestern kurz vor Mitternacht, eine Jamaika-Koalition unter den bislang verhandelten Bedingung werde es mit der FDP nicht geben. (dpa/Bernd von Jutrczenka)
    Wenige Minuten vor Mitternacht kam die Überraschung. Christian Lindner, FDP-Chef ist vor die Presse getreten:
    "Nach Wochen liegt aber heute unverändert ein Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor und dort, wo es Übereinkünfte gibt sind sie erkauft mit viel Geld der Bürger oder mit Formelkompromissen."
    Soll heißen, die FDP sollte aus ihrer Sicht über den Tisch gezogen werden. Zu wenig von ihren Trendwenden, mit denen sie im Wahlkampf geworben hatte, habe man im gemeinsamen Abschlusspapier wiedergefunden. Finanzpolitik, Bildung, Migration, hier hätte es keinen Konsens gegeben, sagte FDP-Präsidiumsmitglied Volker Wissing.
    Rückzug kam überraschend, auch für manchen Verhandler
    Der Rückzug kam für die Beobachter überraschend. Gut eine Stunde vor dem Abbruch der Gespräche hatte CSU-Politiker Hans Michelbach noch verkündet, dass man sich auf eine schrittweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags bis 2021 geeinigt hätte.
    Wenige Minute später twitterte FDP-Generalsekretärin Nicola Beer, dass das nicht stimmt. Eine Stunde später dann trat die FDP-Delegation vor die Landesvertretung von Baden-Württemberg, um das Ende der Gespräche zu verkünden.
    Das ließ Spekulationen auftauchen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen sei. CDU-Vize Julia Klöckner nannte das auf Twitter eine gut vorbereitete Spontaneität der FDP. Rainhard Bütikofer von den Grünen ging noch weiter: Seiner Ansicht nach wollte die FDP bereits am Morgen die Gespräche abbrechen, fand dafür aber keine Unterstützung bei der Union.
    Unterhändler: Einigung wäre möglich gewesen
    Ein kalkulierter Coup also? Selbst die krisenerprobte Kanzlerin zeigte sich überrascht und zog folgendes Fazit:
    "Ich glaube, ich kann für die CDU und CSU sagen, dass wir nichts unversucht gelassen haben, um doch eine Lösung zu finden. Wir haben dabei vieles erlebt, sehr unterschiedliche Kulturen von Verhandlungsstilen und bei den Grünen durchaus bei aller Sympathie manchmal etwas gewöhnungsbedürftig, bei der FDP sehr entschieden, aber wir glauben, dass wir auf einem Pfad waren, auf dem wir eine Einigung hätten erreichen können."
    Klima, Finanzen, Migration. Diese drei Themen galten als die schwierigsten. Vor allem letzteres, Migration: In der Frage etwa nach dem Familiennachzug von eingeschränkt schutzberechtigten Flüchtlingen hatte man lange Zeit den größten Knackpunkt gesehen: CSU-Chef Horst Seehofer:
    "Ich sage ausdrücklich, auch in der ganz schwierigen Frage der Zuwanderung, eines Regelwerks für die Zuwanderung, das alle Aspekte umfasst, von der Bekämpfung der Fluchtursachen, bis zur Begrenzung der Zuwanderung wäre eine Einigung möglich gewesen."
    Verhandlungsparteien sortieren sich
    Wochenlang hatten Beobachter vor allem zwischen Grünen und CSU Bruchlinien gesehen. An diesem Abend dagegen eher Signale des Schulterschlusses:
    "Gerade bei den so zentralen Themen, bei denen wir am ende doch näher beieinander waren, als wir dachten, bei der Menschheitsfrage Klimaschtz, bei der Frage der Landwirtschaft, ja selbst bei der frage der Migration, glaube ich, wäre es gelungen, nicht nur dass sich diese Partner einigen, sondern dass sie auch dazu beitragen können, dass dieses land wieder zusammenwächst, gemeinsam weiter vorankommt", sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt.
    Wie man nun vorankommt, ist die entscheidende Frage des heutigen Tages. Kanzlerin Merkel will um 11 Uhr in einer Telefonkonferenz mit dem CDU-Vorstand die weiteren Schritte beraten.
    Zuvor wird damit gerechnet, dass sie den Bundespräsidenten wie bereits angekündigt über den Ausgang der Sondierungsgespräche unterrichtet.
    SPD bleibt bei Absage
    Ihm käme eine große Rolle zu, sollte es zu Neuwahlen kommen. Zuvor müsste Kanzlerin Merkel mit relativer Mehrheit im Bundestag wiedergewählt werden.
    Die SPD hat bereits erneut signalisiert, dass sie sich nicht auf eine Große Koalition einlassen wolle.
    Am Nachmittag wollte sie ursprünglich über ihren weiteren Reformprozess berichten. Nun wird es vor allem darum gehen, wie die Sozialdemokraten mit den Sondierungen umgehen.
    Auch die Grünen-Spitze will die weiteren Schritte beraten. CSU-Chef Horst Seehofer wird heute noch in München erwartet. In Berlin trifft sich derweil die Bundestags-Landesgruppe.