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Regierungsbildung
Steinmeier spricht mit Chefs von Grünen und FDP

Bundespräsident Steinmeier kam am Nachmittag im Schloss Bellevue zunächst mit den Grünen-Bundesvorsitzenden Cem Özdemir und Simone Peter zusammen. Später folgte ein Gespräch mit FDP-Chef Christian Lindner. Steinmeier will die Politiker dazu bewegen, doch noch einmal einen Anlauf zur Regierungsbildung zu unternehmen.

21.11.2017
    FDp-Chef Christian Lindner kommt nach einem Gespräch mit Bundespräsident Steinmeier aus dem Schloss Bellevue in Berlin.
    FDP-Chef Lindner kommt nach einem Gespräch mit Bundespräsident Steinmeier aus dem Berliner Schloss Bellvue (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Einzelheiten der Gespräche wurden nicht bekannt. Der Bundespräsident hatte die Treffen gestern in einer Ansprache angekündigt. Dabei hatte er auch weitere Anstrengungen zur Regierungsbildung gefordert. Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewerbe, der dürfe sich nicht drücken, wenn er sie in den Händen halte, sagte er. Morgen will Steinmeier mit CSU-Chef Horst Seehofer sprechen, am Donnerstag dann mit dem SPD-Vorsitzenden Martin Schulz.
    Kanzleramtschef Altmaier (CDU) unterstütze die Forderung des Bundespräsidenten. Er sagte im ZDF, nach so einer Wahl dürfe man sich nicht einfach in die Büsche schlagen. "Ich glaube, wir müssen imstande sein, in den nächsten drei Wochen Klarheit darüber zu schaffen, ob es auf der Grundlage des bisherigen Wahlergebnisses eine stabile Regierung gibt." Das wäre ihm zufolge weitaus besser als ein erneuter Wahlkampf mit einer Regierungsbildung erst im Sommer.
    Alle Parteien seien gefordert, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinen Bemühungen zu unterstützen, eine "staatspolitisch verantwortliche Lösung" zu finden. Einer Minderheitsregierung steht Altmaier skeptisch gegenüber. Am späten Sonntagabend waren die Sondierungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen gescheitert.
    In der SPD gibt es inzwischen erste Stimmen für eine Neuauflage der Großen Koalition. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Bernd Westphal, sagte dem "Handelsblatt", die SPD müsse dafür klare Bedingungen formulieren und die Union "Gelenkigkeit" beweisen. Sein Parteikollege Michael Frenzel betonte in der Zeitung "Die Welt", aus Verantwortung für das Land sei er für Gespräche mit CDU und CSU.
    Schäuble: "Kompromisse sind kein Umfallen und keine Profilschwäche"
    Auch Bundestagspräsident Schäuble (CDU) rief die Parteien nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen zu Kompromissbereitschaft auf. Es handle sich um eine "schwierige Gratwanderung", politische Verantwortung zu tragen und für mehrheitsfähige Kompromisse auch in Teilen vom eigenen Wahlprogramm abzurücken, sagte Schäublein in einer Rede im Bundestag. "Das ist kein Umfallen, auch keine Profilschwäche." Zum Scheitern der Jamaika-Sondierungen meinte er, es sei eine Bewährungsprobe, aber keine Staatskrise.
    Der FDP-Bundestagsabgeordnete Vogel äußerte sich skeptisch, dass sich nach diesem Gespräch etwas ändern werde. Dafür fehle ihm die Phantasie, nachdem man sich vier Wochen lang immer wieder im Kreis gedreht habe, sagte Vogel im Deutschlandfunk. Die FDP habe wochenlang ernsthaft gerungen. Am Ende habe die Vertrauensgrundlage mit CDU, CSU und Grünen gefehlt. "Wir wissen nicht, wie es weitergeht", sagte Vogel. "Der Ball liegt jetzt beim Bundespräsidenten."
    Die FDP hatte am späten Sonntag Abend die Sondierungsgespräche mit CDU, CSU und Grünen platzen lassen. Lindner widersprach in der ARD der Darstellung, man sei kurz vor einer Einigung gewesen: "Wir haben nach 50 Tagen noch 237 Konflikte gehabt", sagte er. Im ZDF sagte er, Jamaika wäre das Programm der Großen Koalition mit etwas "grünem Schnittlauch" gewesen.
    In einem Brief an die Parteimitglieder warb Lindner am Dienstag um Unterstützung. Das Experiment der Vierparteienkoalition sei leider gescheitert, heißt es darin. Die FDP werde ihre Wähler nicht im Stich lassen, indem sie eine Politik mittrage, von der sie nicht überzeugt sei.
    Schon kurz nach dem Scheitern der Sondierungen hatte sich die FDP gegen Vorwürfe gewehrt, man habe sich lange auf den Abbruch der Gespräche vorbereitet - und schon entsprechende Grafiken für soziale Netzwerke in den Schubladen gehabt.
    Grünen-Politiker Habeck: "Gemeinsam gescheitert"
    Der Grünen-Politiker Habeck, Mitglied der Sondierungsgruppe, sagte gestern Abend im ZDF, es sei "erbärmlich, was wir abgeliefert haben". Die miese Stimmung bei den Sondierungen sei eine Gemeinschaftsleistung gewesen. Allerdings habe er sich von dem Verhalten der FDP "verkackeiert" gefühlt.
    Bundeskanzlerin Merkel sagte gestern Abend im ARD-Fernsehen, sie sei im Falle von Neuwahlen bereit, wieder als Kanzlerkandidatin der Union anzutreten. Sie stehe aber auch für Gespräche mit der SPD zur Verfügung.
    Union mit Offerten an SPD
    Bei den Abgeordneten der Union sei die Ankündigung auf große Unterstützung gestoßen, berichtete Fraktionschef Kauder. CDU-Vize Klöckner sagte im Deutschlandfunk, in der Partei gebe es über die Personalie Merkel überhaupt keine Diskussion. Die CDU-Chefin und Kanzlerin habe die Sondierungs-Gespräche sehr besonnen und richtig geführt. Auch jetzt sei sie ein Anker der Stabilität in unruhigen Zeiten. Klöckner machte zugleich deutlich, dass sie weder eine Minderheitsregierung noch Neuwahlen als gute Option ansieht. Alle Parteien seien aufgefordert, sich die Worte von Bundespräsident Steinmeier zu Herzen zu nehmen. Dies gelte insbesondere auch für die SPD, so Klöckner.
    SPD will weiterhin keine Große Koalition
    Der SPD-Vorsitzende Schulz kritisierte in mehreren Fernsehinterviews, dass Merkel bereits ihre Kandidatur verkünde, bevor die Gespräche Steinmeiers mit den anderen Parteien überhaupt stattgefunden hätten. Zugleich bekräftigte er, dass die SPD nicht mit der Union über eine Koalition verhandeln werde.
    Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Schäfer-Gümbel geht davon aus, dass es nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen zu Neuwahlen kommt. Er bekräftigte zugleich, dass seine Partei für eine große Koalition nicht zur Verfügung steht. Dies sei nicht nur eine Frage der Arithmetik, sagte Schäfer-Gümbel im Deutschlandfunk. Zugleich warf er Bundeskanzlerin Merkel einen verheerenden Führungsstil vor. Sie sei in der Verantwortung, zu sagen, woran die Sondierungen gescheitert seien.
    Nahles schließt Tolerierung von Minderheitsregierung nicht aus
    Die SPD-Fraktionsvorsitzende Nahles sieht die Verantwortung bei Kanzlerin Merkel. Nahles sagte im ZDF: "Sie hat den Regierungsauftrag". Die Situation sei nun schwierig, aber keine Krise. Zeitdruck machen dürfe man sich nun nicht. Nun müsse ein Prozess gestaltet werden, der das Land in eine neue, stabile Regierung führe. Dabei kämen eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen in Frage - die große Koalition hingegen sei abgewählt worden, so Nahles.
    EU-Politiker: Macron fehlt nun Partner, um Europa nach vorne zu bringen
    Der österreichische Europapolitiker und Sozialdemokrat Swoboda äußerte sich angesichts der politisch unklaren Situation in Österreich besorgt, was Fortschritte in der Europäischen Union angeht. Deutschland sei für die EU wichtiger als die meisten anderen Länder. Europa sei stark, aber "für Veränderungen, für Reformen, für Schritte nach vorne braucht man eine entscheidungsfähige Regierung in Berlin", sagte Swoboda im DLF (Audio-Link).
    Fast alle in Europa würden hoffen, dass Kanzlerin Merkel nicht ausfalle, damit gewisse Dinge in der EU vorbereitet werden könnten. Von einer möglichen Neuwahl versprach sich Swoboda wenig, vor allem, wenn "die Wahl nicht dramatisch anders ausgeht" und "wenn die SPD nicht mitmacht".
    AfD erfreut über Scheitern
    Die AfD hatte sich über das Scheitern der Sondierungen erfreut gezeigt - Jamaika wäre eine Koalition des "Weiter-so" gewesen, sagte der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Gauland. Dem Vorstandsmitglied Poggenburg zufolge komme eine Tolerierung einer schwarz-gelben Minderheitsregierung durch die AfD in Frage - allerdings nur für den Fall, dass diese nicht von Kanzlerin Merkel angeführt werde, so Poggenburg.
    Der Politikwissenschaftler Falter sagte im DLF (Audio-Link), er gehe davon aus, dass eine Minderheitsregierung kommen und es in absehbarer Zeit Neuwahlen geben werde. In diesem Szenario werde Merkel vom Bundespräsidenten mit der relativen Mehrheit im Rücken zur Kanzlerin ernannt. "Dann regiert man ein bisschen so mit Ach und Krach und dann stellt man irgendwann die Vertrauensfrage", so Falter. "Die geht schief und dann gibt es Neuwahlen. Da ist man aber Kanzler oder Kanzlerin." Merkel hätte dann den Vorteil des Amts. Neuwahlen würden ihm zufolge vermutlich dann passieren, wenn die Umfragen besonders günstig stehen.
    (mg/vic)