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Bekriegen, behandeln, besingen

Um häusliche Gewalt kreist das französische Drama "Nach dem Urteil". Einen berühmten Ayurveda-Arzt stellt der Dokumentarfilm "Der Doktor aus Indien" vor. An den Liedermacher Gerhard Gundermann erinnert die Filmbiografie "Gundermann".

Von Jörg Albrecht | 22.08.2018
    Alexander Scheer als Gundermann im gleichnamigen Spielfilm, der am 23. August in die Kinos kommt.
    Alexander Scheer als Gundermann im gleichnamigen Spielfilm, der am 23. August in die Kinos kommt. (Buschfunk)
    "Gut, ich verlese jetzt das Protokoll der Anhörung von Julien, da wir den Termin dafür verschieben mussten."
    Alleiniger Schauplatz der ersten Viertelstunde von "Nach dem Urteil" ist das Büro einer Familienrichterin. Anwesend sind die Richterin, die geschiedenen Eheleute Miriam und Antoine sowie deren Anwältinnen. Verhandelt wird Antoines Besuchsrecht für den gemeinsamen Sohn Julien, der bei seiner Mutter lebt. Der Elfjährige ist vom Gericht vorher nach seinem Verhältnis zu beiden Elternteilen befragt worden.
    "Meine Eltern sind seit einem Jahr getrennt, ich lebe bei meiner Mama und meiner Schwester. Aber ich darf nicht vor dem Haus oder im Garten spielen, denn wir haben Angst, dass der Alte auftaucht."
    Die Gesichter der anwesenden Personen sprechen Bände. Sowohl Miriam als auch Antoine sitzen mit versteinertem Blick da. Eindeutig aber auch die Mimik der Richterin: Sie lässt deutlich erkennen, wie mühsam es ist, eine Entscheidung zu fällen, wenn eine der Parteien, vielleicht aber auch beide, die Unwahrheit sagen. So beschuldigt Miriam ihren Ex-Mann, unberechenbar zu sein und die gemeinsame, mittlerweile erwachsene Tochter geschlagen zu haben.
    "Monsieur!"
    "Meine Tochter hat sich das Handgelenk in der Schule verstaucht. Beim Sport. Was soll ich Ihnen sagen?"
    "Ich kann nicht beurteilen, wer von Ihnen Beiden mehr lügt."
    Nüchterne Inszenierung und beklemmende Intensität
    Welche Entscheidung die Richterin getroffen hat, zeigt sich zu Beginn des zweiten Akts. Antoine sitzt in seinem Auto vor dem Haus der ehemaligen Schwiegereltern, in dem sich Julien aufhält. Jedes zweite Wochenende darf er Julien sehen. Der steigt widerwillig und wortlos zu seinem Vater ins Auto.
    Szenen wie diese, die das Kind als Kollateralschaden von Trennungen präsentieren, gehen unter die Haut. Die großartigen Schauspielerleistungen und die betont nüchterne Inszenierung sorgen für beklemmende Intensität in diesem aufwühlenden Familiendrama, für das Regisseur Xavier Legrand 2017 den Regiepreis bei den Filmfestspielen in Venedig bekommen hat.
    "Nach dem Urteil": empfehlenswert
    Er sei Vasant Lad und habe hier früher gewohnt. Ob sie ihn nicht erkenne, fragt er die Frau, die vor dem Haus seiner Familie im indischen Pune sitzt. Ihre Augen seien schlecht, entschuldigt sie sich.
    Ob Vasant Lad auch eine ayurvedische Therapie gegen Sehschwäche im Alter hat, erfahren wir an der Stelle nicht. Dafür bekommen wir im Dokumentarfilm "Der Doktor aus Indien" von Jeremy Frindel einen Einblick in die Arbeit des – nach Meinung der von Frindel befragten Personen – bedeutendsten lebenden Ayurveda-Arztes.
    Ayurveda sei eine sehr einfache Heilkunde. Gesundheit sei das Gleichgewicht von Vata, Pitta, Kapha. Diese Begriffe fallen oft im Film von Jeremy Frindel, der den Arzt während seiner Sprechstunden und bei seinen Vorträgen zeigt. Darüber werden die Grundlagen von Ayurveda vermittelt, in deren Zentrum die Pulsuntersuchung steht. Auf der Suche nach Alternativen zur Schulmedizin vor allem in der westlichen Welt trifft auch dieser Film den Puls der Zeit. Schade nur, dass die interessanten Einblicke fast durchweg von einer schlimmen Musiksülze untermalt werden.
    "Der Doktor aus Indien": akzeptabel
    "Gibt es noch Fragen?"
    "Ja, ich hätte da mal eine Frage, Genosse. Erst mal wüsste ich gern, warum du hier mit einem Westwagen anrollst, wo wir doch alle bloß Trabi fahren. Und kannst du mir zweitens bitte mal sagen, was ihr für langfristige Konzepte in der Energiepolitik habt?"
    Frei Schnauze: so das Motto von Gerhard Gundermann. Er ist einer, der fragt und sagt, was er denkt. Auch gegenüber Parteifunktionären der SED. Das hat dem Baggerfahrer im Braunkohlebergbau schon in jungen Jahren immer wieder Ärger eingebracht. Dieser Gundermann baggert aber nicht nur, er macht auch Musik, schreibt und singt Lieder über Dinge, die ihn bewegen. In der Nachwendezeit wird er zu einem Sprachrohr der Ostdeutschen.
    Unprätentiös erzählt
    Gerhard Gundermann ist die perfekte Figur für einen Film von Andreas Dresen, dem deutschen Filmemacher mit dem größten Herzen für Geschichten der sogenannten kleinen Leute. Und noch perfekter wird sein Protagonist mit den Widersprüchen in seinem kurzen Leben. Denn Gerhard Gundermann hat als Spitzel für die Staatssicherheit gearbeitet.
    "Ich bin echt nicht stolz auf die Stasi-Nummer."
    "Gerhard, wenn du dich entschuldigen willst ..."
    "Na ja, dann müsste ich ja erst mal wissen wofür."
    Gerade durch ihre Zwiespältigkeit entfaltet die Titelfigur einen enormen Reiz, steht sie doch stellvertretend für die Biografien vieler Ostdeutscher. Andreas Dresen nähert sich dem mit seiner gewohnt unprätentiösen Handschrift. Weder moralisiert er, noch urteilt er über den Musiker und Baggerfahrer, den Alexander Scheer nicht nur perfekt verkörpert. Scheer singt auch sämtliche Lieder selbst.
    "Gundermann": empfehlenswert