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Regisseur Paolo Sorrentino
"Ich werde wissen, wenn ich nichts mehr zu sagen habe"

Warum dreht Paolo Sorrentino immer wieder Filme über alte Männer, obwohl er selbst erst 45 ist? Man stelle sich dem Problem Altwerden wohl besser frühzeitig, verrät der italienische Oscar-Preisträger im Corso-Gespräch, und außerdem drehe er gerne Filme über etwas, das er noch nicht kenne.

Paolo Sorrentino im Corso-Gespräch mit Sigrid Fischer | 25.11.2015
    Photocall für Paolo Sorrentinos Film "Youth" beim 68. Filmfest von Cannes mit Jane Fonda, Harvey Keitel, Michael Caine, Rachel Weisz, Madalina Ghenea und Paolo Sorrentino.
    Photocall für Paolo Sorrentinos Film "Youth" beim 68. Filmfest von Cannes. (imago/Independent Photo Agency)
    Sigrid Fischer: Sie sind zu jung, um Filme über Männer jenseits der 70 zu drehen. "Ewige Jugend" ist nach "La Grande Bellezza" und "Il Divo" schon der dritte. Was ist für Sie so attraktiv an diesem Lebensabschnitt?
    Paolo Sorrentino: Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil ja doch jeder irgendwann mit dem Alter konfrontiert sein wird, da ist es besser, man stellt sich dem frühzeitig, und mit einem Film kann man zumindest versuchen, das Problem mit dem Altwerden zu lösen. Deshalb besser jetzt, als zu spät.
    "Mit dem hohen Alter kenne ich mich noch nicht aus"
    Fischer: Das heißt, Sie denken schon jetzt daran, wie es wohl sein wird, wenn Sie jenseits der 70 sind?
    Sorrentino: Ich drehe gerne Filme über etwas, das ich nicht kenne. Und mit dem hohen Alter kenne ich mich noch nicht aus. Ich male mir gerne aus, wie man wohl über das Jungsein denkt, wenn man alt ist. Weil ich glaube, dass man das Alter nur mit den Gedanken ans Jungsein aushalten kann. In seinem Körper kann man sich ja nicht jung fühlen, aber in Gedanken schon.
    Fischer: Sie zeigen uns ja zwei Strategien, mit dem Alter umzugehen: Die Michael-Caine-Figur, ein Dirigent, hat aufgegeben, will nie wieder dirigieren, und die Harvey-Keitel-Figur, der Filmregisseur, der nicht merkt, dass er besser aufhören sollte. Welche Strategie ist die bessere?
    Sorrentino: Ich denke, Michael Caines Weg ist der bessere. Und er hat eine sehr angenehme Distanz gegenüber dem Leben. Deshalb ist er auch besser vor Enttäuschungen geschützt.
    Fischer: Können Sie sich vorstellen, dass Sie - wie Michael Caine im Film - eines Tages sagen werden: Jetzt bin ich zu alt fürs Filmemachen, ich höre auf?
    Sorrentino: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Da ist so einiges von mir in der Figur von Michael Caine, zum Beispiel die Meinung, dass man bestimmte kreative Arbeiten nur machen sollte, wenn man jung ist, und nicht mehr, wenn man alt ist.
    Fischer: Ja, aber gerade, wenn man kreativ tätig ist wie Sie, Paolo Sorrentino, ist es doch schwer zu erkennen, wann man aufhören sollte. Und die Meisten tun es auch nicht. Claude Chabrol hat immer weiter gedreht, oder Woody Allen. Warum sollten sie auch aufhören?
    Sorrentino: Ja, ich weiß, jeder ist da anders, aber bei mir wird es so sein, dass ich wissen werde, wenn ich nichts mehr zu sagen habe. Und in dem Fall werde ich aufhören. Und ich glaube, ich stehe schon kurz davor, dass ich nicht mehr viel zu sagen habe [lacht], ein paar Filme noch, und dann ... Aber das ist okay.
    Meine Arbeit ist wunderschön, aber sie nimmt Geist und Körper 24 Stunden am Tag in Anspruch. Und jetzt, als erwachsener Mensch, habe ich oft das Gefühl, dass ich nicht lebe. Ich sehe die schöne Kathedrale da drüben, den Kölner Dom, aber ich kann nicht hin, weil ich hier sitzen muss beim Interview.
    Fischer: Sie sollten rüber gehen, wenigstens für zehn Minuten.
    Sorrentino: Ja ja, das mach ich.
    Drehbücher wie eine Komposition
    Fischer: Im Film geht es auch um Musikkomposition, Michael Caines Figur war wie gesagt Dirigent. Wenn ich mir Ihre Filme ansehe, Paolo Sorrentino, sehe ich auch viel Komposition, von Bild, Atmosphäre, Musik, mehr als bei anderen Regisseuren, und dafür erzählen Sie weniger eine Geschichte. Ist das für Sie vergleichbar, ein Musikstück und ein Film?
    Sorrentino: Ja, vielleicht ist das so bei mir, ich schreibe Drehbücher auf eine Art, die der Komposition eines Musikstücks näher kommt, als dass sie eine Geschichte erzählen. Ich glaube, ich stehe irgendwo dazwischen. Ich mache Kino, aber etwas denke ich auch wie ein Musikkomponist. Ich arbeite wie an einer Sinfonie und deshalb vergesse ich manchmal die Schönheit einer Story, aber für mich ist das okay.
    Fischer: Ja und dafür mögen die Leute Ihre Filme ja auch. Für die Komposition in "Ewige Jugend" wählen Sie eine Wellness-Kulisse, gedreht im ehemaligen Schweizer Sanatorium Schatzalp, das Inspiration für Thomas Manns "Zauberberg" war, warum diese Umgebung für Ihre Figuren?
    Sorrentino: Mir haben einige Freunde, die an solchen Orten waren, sehr merkwürdige und witzige Geschichten über die Gäste dort erzählt. Und einige der Geschichten habe ich in den Film eingebaut. Außerdem bietet dieser Ort viele Elemente, die ich mag: Doktoren, Wasser, Nacktheit, das zusammen finde ich gut. Diese Welt da eignet sich sehr gut, in einem Film dargestellt zu werden.
    Fischer: Harvey Keitel, der Filmemacher im Film, sagt: Um im Dschungel Filmbusiness zu überleben, musst du mit den Wölfen heulen. Ich glaube, das gilt für Sie nicht, oder? Sie machen, was Sie wollen, habe ich recht?
    Sorrentino: Ja, Sie haben recht. Was Harvey Keitel im Film sagt, das habe ich von Kollegen gehört. Ich habe sehr viel Glück in meinem Job. Ich muss diesen Satz nicht sagen.
    Das Filmland Italien nach der Ära Berlusconi
    Fischer: Sie widmen Ihren Film "Ewige Jugend" Francesco Rosi. Ihren Oscar-Gewinnerfilm "La Grande Bellezza" haben alle mit Fellini verglichen, Rosi und Fellini - das war die große Zeit im italienischen Kino. Wie ist Italien als Filmland heute?
    Sorrentino: Ich finde Italien befindet sich in einer guten Situation. Wir sind ein kleines Land, aber wir haben interessante und gute Regisseure, einige unserer Filme gehen um die Welt. Es ist vielleicht nicht der beste Augenblick der italienischen Filmgeschichte, aber ein guter.
    Fischer: Man hatte den Eindruck, die Berlusconi-Ära hat viel zerstört vom kulturellen Leben in Italien, auch in Sachen Filmproduktion. Hat sich das Land davon schon erholt?
    Sorrentino: Ja, die Berlusconi-Ära ist vorbei und damit auch dieses allgemeine Klima von kulturellem Desinteresse. Und jetzt sind wir dabei, die interessanteren und wichtigeren Dinge wieder zu entdecken. Das hoffe ich jedenfalls. Es ist noch zu früh, um das zu beurteilen.
    Fischer: Jetzt drehen Sie, Paolo Sorrentino, eine Serie für HBO, "Il giovane papa". Jude Law spielt den jüngsten Papst aller Zeiten, und den ersten amerikanischen. Was ist das Besondere an diesem Papst?
    Sorrentino: Es ist ein Papst, der auf den jetzigen folgt, und insofern wird er das komplette Gegenteil vom aktuellen Papst sein.
    Fischer: Konservativer?
    Sorrentino: Ja, konservativ, absolut rechts und sehr verschlossen. Aber trotzdem auch sehr modern. Denn der Papst, von dem wir da erzählen, ist erst 45 Jahre alt.
    Kino vs. TV-Serie
    Fischer: Gerade Sie sind jemand, der Kinofilme dreht, die die Bezeichnung auch verdienen, gerade Sie, und jetzt eine Fernsehserie, auch alle Ihre Kollegen sind im Serienfieber. Wird das Kino irgendwann vergessen sein?
    Sorrentino: Ich glaube, das kann beides nebeneinander existieren. Ich bin kein so großer Serienfan, ich habe erst zwei oder drei gesehen, das ist nicht viel bei der Menge an Serien, die gezeigt werden. Aber ja, ich finde, es geht beides und für einen Filmemacher ist es interessant, eine Serie zu drehen. Über die Länge einer Serie kann ich wie in einem Buch erzählen und muss nicht alles in zwei Stunden packen. Die Fernsehserie kann eine wunderschöne Summe aus Kino und Literatur sein.
    Fischer: Aber in der Serie müssen Sie stringent eine Geschichte erzählen.
    Sorrentino: Ja, ja, das muss ich, das ist auch eine Herausforderung für mich. Aber jetzt versuche ich es, denn vier Stunden ohne Story, da würde ja jeder abschalten.