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Reich und schön langweilig

Michael Cornelius ist im wirklichen Leben Textchef der reichlich textarmen Illustrierten "GQ - Gentlemen's Quarterly", in der es um Autos, edel bekleidete Männer und attraktive unbekleidete Frauen geht. Ferner hat er Bücher veröffentlicht mit Titeln wie "Setz dich hin und tue nichts - Das Buch der Entspannung", "Mit dem Herzen lächeln" oder "Den Bambus biegen - Meister Seos Anleitung zum Glücklichsein".

Von Hartmut Kasper | 03.08.2006
    Nun aber hat er offenbar beschlossen, dass genug Bambus gebogen, nichts getan und mit dem Herzen gelächelt worden ist, denn er hat seinen ersten Roman geschrieben. Und in diesem Roman geht es auch um Autos, edel bekleidete Männer und attraktive unbekleidete Frauen.

    "Der schönste Moment" ist die ziemlich kurz geratene Lebensgeschichte eines Ghostwriters, der sein Geld mit dem Verfassen von Autobiographien fremder Menschen verdient. Dieser Ghostwriter, der namenlose Ich-Erzähler der Geschichte, teilt so viele Lebensdaten mit dem Autor, dass man ihn als seinen literarischen Zwilling ansehen darf.

    Das schriftstellerische Gestalten andrer Leute Leben wie auch das Verfassen von Lebensratgebern voll asiatisch-mönchischer Weisheit hat den Helden zwar nicht weise, aber reich gemacht. Er tummelt sich weltweit an den malerischsten Orten und ist zwischenzeitlich mit einer Chinesin verheiratet gewesen, die er auf einer Reise durch Indien kennen gelernt hat.

    Nach kurzer Zeit in Deutschland aber hat die kluge Asiatin ihren deutschen Gatten durchschaut und diagnostiziert in schon erstaunlich flüssigem Deutsch einen Scheidungsgrund: "Du bist", sagt sie dem Geisterschreiber, "wie eine russische Schachtelpuppe (...), wenn man eine Matroschka hochhebt, steckt darunter ein neues Ich und wieder ein neues Ich."

    Ja, die vielen Ichs, die der Mietschreiber annehmen muss, sind ihm eine echte Plage. Denn diese seine Kunden, all diese gealterten Schauspielerinnen, diese Sportler, Regisseure, Mönche und Reinkarnationstherapeuten sind derart vermessen, narzisstisch, so dumm und von sich selbst eingenommen, dass es ihren Biographen schaudert.

    Nun soll er - und das füllt den Hauptteil des Romans - auch noch die Lebensgeschichte von und für Andreas Hopf schreiben; der ist Manager des Jahres und Gründer einer börsennotierten Internetfirma.

    Manager, Börse, Internet - man merkt, die vom Markt tyrannisierte Gegenwart erhebt ihr Haupt, und wer, wenn nicht der börsennotierte Internetmanager, sollte ihr Inbild sein?

    Tatsächlich spendiert der neureiche, großspurige Hopf seinem Gespensterbiographen einen neuen Mercedes, natürlich S-Klasse, denn auch er selbst rollt in einem Mercedes S Klasse mit Airmatic und Distronic auf der Überholspur zum Privatjet.

    Zur Grundausstattung des Jets gehört offenbar eine spärlich kostümierte Privatstewardess namens Heather, die ihrem Chef und bald auch dem Erzähler als Privatprostituierte zu Diensten ist. Als endlich Hopfs Autobiographie Buchpremiere feiert, bedient sich Hopf einer asiatischen Pornodarstellerin a.D. als Blickfang und enthüllt vor dem Publikum ihre blassen, "weißen Brüste". Ebenso blass wie ihre Brüste bleibt die ganze Figur, und nicht nur die: Das komplette Ensemble des Romans wirkt wie frisch aus dem Klischeeautomaten gezogen:

    Die Frauen sind, wenn sie sich nicht bald zum Ich-Erzähler als exotische, gekaufte Schönheit ins Bett gesellen, kindlich-naive Personen und in ihrem Beruf - als Lektorin oder als Pressedame des Verlags - schlichtweg untauglich.

    Das heißt nicht, dass demgegenüber die Männer als Lichtgestalten erscheinen. Sie sind - wie Manager Hopf - eitel, überheblich und sexbesessen, oder Heulsusen; denen die Frau mit dem Chef durchbrennt; oder schlicht durchgeknallte Typen, die sich mit dem Plan tragen, der Menschheit eine Pferdereligion zu stiften.

    Man mag in solchen Gestalten den Ansatz für eine Karikatur erkennen. Doch bei der Karikatur sollte zur Lust an der Denunziation auch noch ein gewisser Witz, eine irgendwie überraschende Pointe, eine Erkenntnis hinzu kommen. Die Figuren im "Schönsten Moment" dagegen sind witzlose, lieblos skizzierte Gestalten.

    Selbst der Ich-Erzähler macht da keine Ausnahme, und das, obwohl er zweifellos der Bezugs-, Dreh- und Angelpunkt dieses egozentrischen Romans ist. Wenn ein Sprinter dem Ghostwriter erklärt, dass es eine Schallmauer gebe, die kein menschlicher Läufer je durchbrechen könne, fragt er sich, ob es nicht auch in seinem Leben eine Schallmauer gebe. Wenn es um die Regenwürmer geht, die anstelle eines vernünftigen Kopfes nur einen Kopflappen haben, dann grübelt der Erzähler, ob es nicht am besten wäre, wenn auch er "nur einen Kopflappen hätte". Und wenn der Dalai Lama von Neurologen in die Magnetröhre geschoben wird, wo seine Hirnströme gemessen werden, um dem Geheimnis seiner Selbstversenkung auf die Spur zu kommen, möchte der Ich-Erzähler lieber wissen, was wohl passieren würde, wenn man sein Gehirn in die Magnetröhre schöbe.

    Schlachtet der Ghostwriter einmal nicht irgendein Detail als Allegorie in eigener Sache aus, dann sondert es Sätze ab wie: "Der Himmel über dem Starnberger See ist nicht blau. Es ist unsere Seele, die blau ist". Das ist fein beobachtet, und solche Gedanken ereilen den Menschen wohl, wenn er mal wieder auf dem Starnberger See segelt.

    Vieles von dem, was der Ich-Erzähler erlebt, wirkt weniger erlebt als ergoogelt, schmeckt nach Second Hand und Reiseführern. Nun muss kein Autor das, wovon er schreibt, selbst erlebt haben. Aber als Leser mag man doch hin und wieder den leichten Beigeschmack von Authentizität, von Glaubwürdigkeit und Originalität im Denken und im Schreiben.

    Hier aber gewinnt man den Eindruck, der Autor habe im Zettelkasten gestöbert und breite seine Fundsachen ungeordnet aus. So werden bei Gelegenheit mit lexikalischer Genauigkeit Themen abgehandelt wie der Wassertod König Ludwigs, die literarische Manufaktur von Alexandre Dumas, die Regietricks von Fritz Lang oder die zehn alt-japanischen Kategorien für das weibliche Geschlechtsteil.

    "Wäre es nicht schön", fragt der Ich-Erzähler einmal sich und uns, "wenn alles in der Welt so leicht wie Nescafé wäre?" Das Schreiben von Romanen zum Beispiel, die dann aber auch Gefahr laufen, etwas dünn und nach Instant Kaffee oder anderem Fast Food zu schmecken.

    All das brav referierte Wissen beglückt den Leser so wenig wie den Ich-Erzähler selbst. Immer unzufriedener wird er mit seiner Existenz, seinem Leben, das aus der Jugendzeit auch noch beladen ist mit düsteren Geheimnissen. Nicht nur hat der Ghostwriter als junger Mann Käfer aufgeknackt, um sich an dem Duft ihrer Eingeweide zu laben; nicht nur hat er Regenwürmer mit der Schere zerlegt, den Panzer einer Schildkröte aufgebohrt und den Goldfisch seines Bruders Ameisen zum Fraß vorgeworfen - nein, auch der kleine Bruder selbst ging im Zuge eines vom Erzähler angestifteten Versteckspiels im Wald für immer abhanden und lauert ihm nun in seinen Träumen auf.

    Angetrieben von der Nichtigkeit seiner Existenz, stürzt sich der Ich-Erzähler am Ende vom Dach eines Hochhauses und entzieht sich so jedem weiteren Erzähltwerden. So kommt für den Leser "Der schönste Moment" dieses Buches: Er kann es schließen.