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Reich verziertes Keltengrab

Die größte Keltenausstellung seit 30 Jahren verspricht das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart: Und die Exponate sollen ein neues Bild von den Kelten vermitteln, deren Gesellschaft zwischen 600 und 100 vor Christus einen enormen Umbruch erlebte.

Von Christian Gampert | 15.09.2012
    Im 19. Jahrhundert buddelten im schwäbischen Südwesten noch die Altertumsvereine keltische Knochen aus der Erde, heute überlässt man das den Profis. Die frühkeltischen Fürstensitze aus dem 5./6. Jahrhundert vor Christus, die ersten Stadtanlagen nördlich der Alpen, liegen zwischen Burgund und dem bayerischen Franken und sind mittlerweile einigermaßen erforscht – und doch gibt es gerade im Donauschwäbischen immer neue Grabungen mit zum Teil spektakulären Ergebnissen.

    Zum Beispiel die Heuneburg zwischen Herbertingen und Langenenslingen, am Oberlauf der Donau: In unmittelbarer Nähe dieser frühkeltischen Stadtanlage fand jetzt ein Archäologenteam ein Fürstinnengrab, reich ausgestattet mit feinziseliertem Goldschmuck, Bernsteinanhängern, Perlen. Frauen scheinen bei der Dynastiebildung dieser frühkeltischen Elite also eine durchaus anerkannte Rolle gespielt zu haben.

    Wichtig an diesem Grab aber war vor allem seine Anlage, so der Kurator und Grabungsleiter Dirk Krausse:

    "Das Besondere an diesem Grab ist, dass es auch von der Konstruktion erhalten ist. Also nicht nur die Beigaben aus Metall, sondern hier sind auch die Hölzer der Grabkammer erhalten. Das liegt daran, dass dieses Grab neben einem Bach liegt. Der Bach hat das 2600 Jahre immer wieder überschwemmt, feucht gehalten. Und wir haben jetzt die Bodendielen dieser Grabkammer, das sind dreihundertjährige Eichen, zum Teil auch Tannenholz, das ist erstmal was Besonderes vom Befund."

    Und das ermöglicht nun eine naturwissenschaftlich genaue Datierung der Grabkammer: 580 vor Christus. Der gesamte 80 Tonnen schwere Grabblock wurde im Dezember 2011 mit Schwerlastkränen aus dem Boden gehoben und wird jetzt im Labor untersucht. Ein 3D-Laser-Scan des Grabes in Originalgröße ist in der Stuttgarter Ausstellung zu sehen, die Funde sowieso: vom Grabungsfeld direkt ins Museum, das ist die Devise.

    Aber das ist kein Selbstzweck. Es geht darum, die Funktionsweise dieser frühen Gesellschaften zu verstehen und die durchaus pompös, in der wissenschaftlichen Darstellung dann aber ganz nüchtern inszenierte Stuttgarter Schau liefert einen Überblick auf neuestem Stand.

    Zwei Ausstellungsteile bietet das Stuttgarter Großunternehmen: Einmal zeigt man die frühkeltischen Machtzentren aus dem fünfte vorchristlichen Jahrhundert, denn deren Relikte liegen zumeist im heutigen Baden-Württemberg, in Hochdorf bei Ludwigsburg, beim Hohenasperg, am Oberlauf der Donau die Heuneburg. Zum anderen will man die Entwicklung der keltischen Kunst in rechte Licht rücken, deren von geometrischen Mustern inspirierte Verzierungssucht angeblich immer unterschätzt wurde – dabei hat sie bis in die irische Buchmalerei des frühen Mittelalters ihre Spuren hinterlassen. Unter dem Einfluss fremder, vor allem mediterraner Kulturen haben die Kelten, die zunächst vor der Menschendarstellung zurückschreckten, dann aber doch noch, innerhalb weniger Generationen, zur Figur gefunden – sagt Dirk Krausse.

    "Vorher Geometrie, vollkommen schlicht. Und dann, innerhalb weniger Generationen, knallt das so richtig. Und dann fangen die an, Ranken, Pflanzen, mythische Fabelwesen, die schlingen alle ineinander. Das ist natürlich die geistige Welt, die sich da erschließt, die dämonische Welt."

    Das wiederum hängt auch mit der Herausbildung der ersten städteähnlichen Zentren im 6. und 5.Jahrhunder vor Christus zusammen, wo Machtkonzentration, soziale Differenzierung, Know-How anzutreffen waren, kurz: wo eine höfische Gesellschaft entstand.

    Natürlich könnte man sich jetzt in einzelne, hochkarätige Exponate versenken: in das zum Teil rekonstruierte Trinkhorn aus Kappel am Rhein, in das Heidelberger Kopffragment oder in den Goldschmuck und den riesigen Kessel aus Hochdorf bei Ludwigsburg, alles 5.Jahrhundert vor Christus. Oder in den "Krieger von Hirschlanden", die älteste anthropomorphe Großplastik nördlich der Alpen, den "Zügelführungsring" aus Bulgarien, in dem sich ein Menschengesicht versteckt oder den "Kalender von Coligny", der die Schriftfähigkeit der Kelten beweist, der aber erst nach der römischen Eroberung der Keltengebiete, etwa 150 nach Christus, entstand.

    Wichtiger aber ist zu verstehen, dass zwischen 600 und etwa 100 vor Christus bei den Kelten ein ungeheurer Umbruch stattfand, dass die Nutzung von Eisen neue, machtbewusste Eliten hervorbrachte, dass kurz vor der Zeitenwende große Städte, Oppida, entstanden, dass die menschliche Figur fassbar wurde. Als die Römer kamen, waren die Kelten fast schon eine Hochkultur. Aber sie ging unter – in der schönen Stuttgart-Schau ist sie noch einmal en detail zu betrachten.