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Reihe "Einheitscheck"
Wo Adel im Osten wieder Fuß fasst

Von Christoph Richter | 04.09.2014
    Christoph von Katte, der Vertreter eines 800 Jahre alten altmärkischen Adelsgeschlechts, residiert auf einem alten Backsteingut in Hohenkamern. Wieder. Denn 1945 wurde die 35-köpfige Familie aus dem romantischen Elbe-Havel-Winkel – dem sogenannten Katte-Winkel, wie die Gegend noch heute heißt - vertrieben. Ein Kapitel, das mit dem Mauerfall sein Ende fand.
    "Und dann kam für uns die Frage, gehen wir in die alte Heimat zurück."
    In die östliche Altmark im nördlichen Sachsen-Anhalt. Dort wo Elbe und Havel zusammenfließen, dort, wo auf fast jedem Friedhof oder jeder Kirchenbalustrade der Name von Katte zu finden ist.
    "Und dann rief der Bürgermeister an, ihr Haus steht hier. Es ist fast leer. Wollen sie zurückkommen? Oder sollen wir da ein Hotel draus machen? Dann rief die Kirche an, Herr von Katte wollen Sie zurückkommen? Und dann bin ich mit meinem alten Vater, der da noch lebte, rübergefahren, und hier positiv aufgenommen worden."
    Der 65-Jährige ist kein feiner Herr mit leerem Gesicht. Eher der Typ Anwalt mit Jagdleidenschaft. Sandfarbene Leinenhosen, braune Weste mit Eichhornknöpfen, am Finger trägt er mehrere Siegelringe. Christoph von Katte geht auf die Menschen zu, mit jedem will er reden.
    "Mein Vater lebte noch, ihn kannten viele noch im Dorf. Sie haben sich gefreut, dass er da ist: Otto, du bist wieder zurückgekommen. Wir haben die Ländereien für dich treuhänderisch gehalten. - Andere Nachbarn haben uns Land geschenkt. Kostenlos. Das meinem Vater damals weggenommen worden ist. Also, es war eine ganz positive Stimmung."
    Der Familie von Katte – so erzählt man - ging es nach 1990 nie um die rohe Inbesitznahme alter Güter; nie um die Wiederbelebung eines aus der Zeit gefallenen Lebensstils. Nie um die Vertreibung alter Bewohner, die nach dem Krieg in die Herrenhäuser eingezogen und über Jahrzehnte darin lebten. Stattdessen wollte man - unterstreicht Christoph von Katte - von Anfang an seinen ganz persönlichen Anteil zum Aufbau Ost beitragen. Die friedliche Revolution: Sie sei schlicht ein Glücksfall gewesen.
    "Endlich waren wir da, wovon die Eltern 40 Jahre gesprochen haben. Wir haben die schönsten Jahre unseres Lebens hier in den Aufbaujahren in den 90er-Jahren mitgemacht."
    Das wiederholt Christoph von Katte immer und immer wieder. Die Augen strahlen vor großem Glück. Das auch nicht dadurch getrübt wird, dass man tief in den Schulden steckt, weil man seit 1991 den einst enteigneten Familienbesitz zurückkaufen muss; für das eigene Elternhaus man gar 50.000 Mark hinblättern musste. Trotzdem: Aus seinem Munde ist keine einzige Silbe des Gejammers zu hören.
    "Die Deutsche Einheit – auch für meine Eltern, die das noch 20 Jahre miterlebt haben – ist das größte Geschenk meines Lebens."
    Zu DDR-Zeiten war das Herrenhaus in Hohenkamern Schule und Sitz der Zivilverteidigung und völlig runtergekommen. Alles was an die alten Zeiten erinnerte, wurde von den SED-Genossen ausgelöscht. Sogar die vier steinernen Katzen, das Wappentier der von Kattes, die auf jeder Hausecke thronten – wurden entfernt. Dinge, die dann Christoph von Katte irgendwie doch schmerzen. Umstände, die ihn aber nicht daran hinderten den Schritt in die Altmark zu wagen. Der ihm soviel wert war, dass der frühere niedersächsische Ministerialreferent und Braunschweiger Polizeipräsident auf sämtliche Pensionsansprüche verzichtet hat. Nur, um wieder in der alten neuen Heimat zu sein.
    "Wir haben mit vier Kindern gemeinsam in einem einzigen kleinen Zimmer auf sechs Betten der Zivilverteidigung geschlafen. Das haben wir später nie wieder erlebt. Diese Zeiten, wo wir in einem Raum zusammengelebt haben, das hat auch zusammengeschweißt."
    "Wir sind hierher gekommen, weil es unsere Heimat ist und weil wir unsere Heimat auch entwickeln wollen. Und wir wollen für unsere Heimat da sein. Und wir durften es über 50 Jahre nicht."
    Gesellschaftliche Teilhabe nennt es Vetter Hennig von Katte von Lucke. Als Reminiszenz an die alte Heimat wurde er Ende der 1960er-Jahre im fernen Westen mit Elbwasser getauft. Heute wohnt der Verwandte – ebenso Jurist - in einem neoklassizistischen Bau genau mit Blick auf den Stendaler Dom, einem der prächtigsten Kirchen des frühen Mittelalters.
    "Es geht uns ganz massiv dadrum, natürlich hier in der Region etwas für die Region zu tun. Und letztlich auch die Basis für die Menschen hier und natürlich unsere Familien hier zu schaffen."
    Man sieht sich als Teil einer Gemeinschaft. Bei der letztjährigen Flut, als das Dorf Hohenkamern wochenlang von der Außenwelt abgeschlossen war, hat der langjährige CDU-Kreistagsabgeordnete und das Gemeinderatsmitglied Christoph von Katte fest mit angepackt.
    "Es ist auch so, dass man oft um Rat gefragt wird, was kann man machen, was sollen die Kinder studieren, welche Ausbildung würden sie vorschlagen. Wo kann man im Krankheitsfall helfen."
    Und sein Vetter ergänzt:
    "Ich glaube, wir vertreten hier alle, wie wir sind und wie ich sie alle kenne – zumindest die alt eingesessenen Familien."
    Wie die von Bismarcks, die von Bredows oder von Wulffens. Namen, wie aus einem Fontane-Roman. Nachfahren preußischen Adels.
    "Wir vertreten die Werte, die uns von unseren Vätern gegeben worden sind, um sie auch fortzuleben. Und das im besten Sinne. Wir wollen nicht die schnelle Mark machen. Wir wollen hier in 100 Jahren immer noch sein und immer noch gegrüßt werden."
    Und während andere seit dem Mauerfall Sachsen-Anhalt verlassen, sind sie, die von Kattes, mit dem Mauerfall gekommen. Um zu bleiben.