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Reihe: In den Hinterzimmern des Kulturbetriebs
Gießerei Noack formt Ikonen der Bildhauerei

Die Kundenliste liest sich wie das "Who-is-Who" der Skulpturengeschichte: Von Barlach, Baselitz über Kolbe, Kollwitz, Lehmbruck, Schmidt-Rottluff und Henry Moore. Und auch das Brandenburger Tor oder der Kreml wäre ohne die Gießerei Noack in Berlin nicht komplett.

Von Klaus Lockschen | 12.09.2014
    Flüssige Bronze wird in der Werkstatt der Bildgießerei Noack in Berlin in Formen gegossen.
    Flüssige Bronze wird in der Werkstatt der Bildgießerei Noack in Berlin in Formen gegossen. (dpa/picture alliance/Jens Kalaene)
    Dort, wo bis kurz nach der Wende noch riesige Berge Kohle für das Berliner Kraftwerk Charlottenburg am Spreeufer lagerten, ist vor vier Jahren das Bronzezeitalter angebrochen. Die Kunstgießerei Noack, Traditionsunternehmen in vierter Generation, übernahm das ein Hektar große Gelände und eröffnete dort hinter nüchtern grauer, doch attraktiver Funktionsarchitektur eine moderne Gießerei: Betonguss meets Bronzeguss. Der über 100 Jahre vertraute Standort mittenmang im Stadtteil Friedenau platzte aus allen Nähten, altersschwache Öfen fielen auseinander, die schmale Zufahrt brachte gehörige Transportprobleme - ein Ortswechsel war unumgänglich.
    1897 wagte der Ziseleur Hermann Noack den Schritt in die Selbstständigkeit. Es war die Zeit, in der die klassische Moderne aufkeimte. Statt an Kaisermonumenten zu werkeln, wollten Künstler fortan verstärkt ihre individuellen Ideen umsetzen.
    "Das war damals nicht so üblich in den anderen Gießereien", beim Urgroßvater aber schon, und das zog, erzählt Geschäftsführer Hermann Noack IV. Auch der Vorname gehört zur Firmentradition. Bronzegießeradel eben. Und mit vier Hermännern Unternehmensgeschichte auf dem Buckel liest sich die Werksliste wie ein Almanach der Kunstgeschichte. "Wir haben von der, also deutsche Künstler, von der klassischen Moderne eben Lehmbruck zu nennen, Kolbe, Gaul, Klimsch, Barlach..."
    Die Aufzählung, die der 48-Jährige in seinem mit zahlreichen Skulpturen ausgestatteten Büro liefert, mehr eine Augenweide von Galerie denn ein Arbeitsraum, ist damit noch lange nicht erschöpft. Auch die als "entartet" diffamierte Käthe Kollwitz ließ bei Noack gießen. Ebenso Karl Schmidt-Rottluff, Hans Arp, Gerhard Marcks.
    Die Quadriga nach Totalschaden wieder gegossen
    Ende der 1950er-Jahre kommt auf Empfehlung eines Londoner Galeristen der Kontakt mit Henry Moore zustande:
    "Mit dem war das eine richtige Freundschaft. Der hat immer zu mir gesagt: Herman. Aber ich hab ihn natürlich immer mit dem Nachnamen angeredet."
    Erinnert sich der 82-jährige Hermann Noack III.
    "Also Henry Moore war sicherlich einer der bedeutendsten Künstler - sowohl von der Bedeutung in der Kunstwelt, als auch vom Umfang her."
    Knapp 130 Modelle werden für den Briten gegossen, so auch die viele Tonnen schwere Plastik "large two forms" fürs ehemalige Kanzleramt in Bonn oder "butterfly" mit ihrer Oberfläche von 140 Quadratmetern vor dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Insgesamt wohl an die 1000 Plastiken.
    Nicht nur am Boden, auch hoch auf den Dächern haben die Friedenauer Bronzen ihren Platz.
    "In Berlin zum Beispiel haben wir die Quadriga vom Brandenburger Tor gemacht. Die ist auch hier hergestellt worden. Totalschaden im Krieg. Neuanfertigung 1958."
    Auch in der russischen Hauptstadt ist ein Guss an exponierter Stelle zu bewundern.
    "Die haben damals in den 1990er-Jahren den Kreml restauriert: oben den Heiligen Georg, das Wahrzeichen von Moskau. Das ist bei uns gegossen worden."
    Und bei widrigem Wetter aufgestellt:
    "Ich hab den dann oben im Winter bei minus 20 Grad montiert."
    Heute geben sich Künstler wie Baselitz, Fetting, Meese und besonders zahlreich aus Skandinavien die Charlottenburger Klinke in die Hand. Aufträge für kleine Skulpturen oder Riesenstücke wie die zehn Meter hohe Eichenbaum-Säule von Vera Röhm. Unterm Strich beschert das einen Jahresumsatz von vier Millionen Euro.
    300 Kilo Bronze bei 1250 Grad
    Bronzeguss ist schweißtreibendes Handwerk. Die beiden Gießer haben gerade ihre aluminiumbeschichtete Schutzkleidung übergestülpt, Kopf und Gesicht sind gesichert durch Helm und verspiegeltes Visier. Wie ein Ritterkostüm, von der Berufsgenossenschaft vorgeschrieben. Und statt mit einem Lichtschwert wird mit einem glühenden Schmelztiegel mit 300 Kilogramm Inhalt hantiert. Es ist ein mystischer Moment, wenn der Behälter per Kran aus der Brennkammer gehoben wird: Gleißend hell, und auch über viele Meter hinweg bespringt die Wärmestrahlung den ganzen Körper.
    "Gegossen wird bei 1250 Grad."
    Sagt der 28-jährige Gießer Martin Hanschmann. Kranassistiert wird die weißglühende Bronze in eine der oberen Öffnungen der hüfthohen Gips-Schamottformen gegossen. Randvoll. Heute sind es welche für eine Skulptur von Baselitz.
    "Das ist technisch alles für den Baselitz für die 3-Mädels, Teile."
    Schon nach jeweils fünf, sechs Sekunden ist der Gießvorgang beendet. Die Formen brauchen nun einige Tage zum Abkühlen, bevor sie mit Brachialgewalt aufgebrochen werden und der Bronzeinhalt entnommen wird.
    "Man nennt das verlorene Form. Bedeutet: eine Gießform, ein Guss, Form kaputt."
    Auf allen Werkbänken liegen Teile zur Weiterverarbeitung, mitunter wie ein Puzzle ausgebreitet: Es wird geschweißt, gesandstrahlt und geflext – und ganz filigran gearbeitet: Ziseliert, mit kleinen Meißelchen punziert, poliert oder vergoldet. 30 bis 35 Tonnen der teuren Bronze gehen jährlich durch die Hände der 40 Mitarbeiter, darunter vier Azubis.
    Patina macht das Finish
    Mit der Patinierung wird der Skulptur der Rest gegeben. Säure und Gasflamme bestimmen den Farbton. Wie heiß und wie oft mit dem Pinsel aufgetragen werden muss, sind Erfahrungswerte. Die Oberfläche soll leben: Tiefe in den Augen, Faltenwurf im Kleid. Viele Farben sind möglich. Oder einfach schwarz wie Asche, wie bei den Skulpturen von Baselitz.
    "Im Moment gießen wir viele Figuren für Baselitz, die alle schwarz patiniert werden. Die sollen aussehen, als ob sie verkohlt sind, weil das Original immer aus Holz besteht."
    Alles andere als schwarz sieht die Zukunft der Gießerei aus. Gerade wurde der Bau eines weiteren Gebäudes beschlossen. Darin untergebracht werden unter anderem auch Künstlerateliers und eine Galerie.