Samstag, 20. April 2024

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Reihe: In den Hinterzimmern des Kulturbetriebs
Teppiche, Strohballen und Rasen für die Bühne

In den Hinterzimmern des Kulturbetriebs arbeiten viele Dienstleister, von denen man als Theaterzuschauer oder Museumsbesucher nie etwas erfährt. Eine kleine Weberei in Crimmitschau beliefert beispielsweise Bühnen weltweit mit nie welkendem Rasen und Strohballen, die nicht auseinanderfallen.

Von Iris Riedel | 29.08.2014
    US-Tenor Paul Groves spielt in Jules Massenets "Werther" in Straßburg.
    Saftig grüner Kunstrasen bei der Aufführung von "Werther" 2009 in Straßbrug. Solche Produkte stellt eine Weberei in Crimmitschau her. (AFP / Patrick Hertzog)
    "Die verkaufte Braut" in der Staatsoperette Dresden. Böhmische Bauernjungen und -mädchen tanzen vor einem riesigen Stapel Strohballen. Sie wälzen sich über die Ballen und werfen sie in die Höhe: "Wir erschrecken da ja manchmal, wenn wir sehen, was dann wirklich damit gemacht wird," sagt Heike Schönfeld, Geschäftsführerin der C.G.G. Design-Teppich-Manufaktur Schönfeld im westsächsischen Crimmitschau.
    Täuschend echte Bühnentextilien sind das Spezialgebiet der Designerin. Aus den Naturfasern Sisal und Jute entstehen in der kleinen Manufaktur Rasen, Waldböden, Stoppelfelder, Schneelandschaften, aber auch künstliche Tierfelle und Bäume.
    "Am ungewöhnlichsten war eigentlich bisher ein Misthaufen. Dass richtig solche Fladen auch hergestellt wurden, das heißt, beim Umschaufeln auch immer mal was rausfallen soll."
    Heike Schönfeld ist eine zierliche, zurückhaltende Frau Ende 40. Sie sitzt an einem großen Holzwebstuhl und schiebt routiniert das Schiffchen durch das Fadengewirr:
    "Ich habe das schon als Ferienarbeit als kleines Kind gemacht."
    Das klassische Weberhandwerk wird gepflegt
    Heute ist sie diplomierte Mode- und Textildesignerin und Innenarchitektin. 1997 übernahm sie die Weberei, die ihr Vater Gottfried Schönfeld 1952 gegründet hatte:
    "Es war ja eher so eine Produktion von den Dingen, die es nicht gab, also es waren Tischdecken, Läufer, Bekleidung wurde ziemlich lange gemacht und dann eben Decken. Später wurden die aus Mohair hergestellt und das ist ein Produkt, das es bis heute noch in dieser Form gibt, weil das auch etwas ist, das nicht industriell gewebt werden kann."
    In der Design-Teppich-Manufaktur wird das klassische Weberhandwerk gepflegt. Möglich ist das nur durch die Spezialisierung auf Sonderanfertigungen nach Kundenwunsch. Die Produktpalette setzt sich aus Bühnentextilien, Designteppichen und Mohairdecken zusammen, wobei die Bühnenteppiche das Gros der Produktion ausmachen. Die Idee dazu entstand in den 70er Jahren:
    "Von dem Sisal wurden erst Wandbehänge gemacht. Und als auf der Leipziger Messe meine Eltern das vorgestellt haben, kam vom Theater jemand und meinte: Das in Groß für die Bühne, das wäre das Richtige."
    Für die Bühnenteppiche entwickelten die Crimmitschauer einen Webstuhl mit zwei Ketten. Eine der zwei Ketten besteht aus Sisal, einer Faser, die aus Agaven gewonnen wird:
    "Ich habe dieses Fach, wo ich dann nur eine Stange einlege und das als Schlaufe lege und weiterwebe. Und das wird dann aufgeschnitten. Sieht richtig stoppelig aus wie ein abgeerntetes Getreidefeld. Und das Sisal hat natürlich das Bestreben, weil es so starr ist, auch zu stehen."
    Rasen darf nicht entflammbar sein
    Aus dem grauen Grundgewebe staksen nun widerspenstige grüne Fäden von etwa zehn Zentimetern Länge:
    "Bei dem Sisalgewebe ist es so, dass diese Fernwirkung so stark ist, also weil man von den Rängen das noch erkennen soll, dass das wirklich Rasen ist und dann helle und dunkle Fäden meist, dass einfach noch eine Tiefe in dem ganzen Rasen drin liegt."
    Schön aussehen ist nur das eine. Bühnentextilien müssen noch eine ganze Reihe anderer Anforderungen erfüllen. Der künstliche Rasen darf nicht flusen, er darf sich nicht elektrostatisch aufladen, keine Hautreizungen hervorrufen, keine giftigen Dämpfe abgeben und vor allem darf er nicht entflammbar sein:
    "Reibecht muss es auch sein, weil wenn die Schauspieler in weißen Catsuits sich gegenseitig über diesen Rasen ziehen, dann kriegt man schon ein bisschen Angst, ob da der Po jetzt auch wirklich nicht grün ist, wenn die aufstehen."
    Zwischen Holzwebstühlen stehen uralte Schär- und Spulmaschinen, die immer noch in Betrieb sind. Sie stammen aus den Glanzzeiten der Stadt, als Crimmitschau noch ein Zentrum der Textilindustrie war.
    Norman Pilz, Schönfelds Lebensgefährte, ist eigentlich Bauingenieur, springt bei großen Aufträgen aber immer wieder ein. Gerade steht er vor einem aufgespannten groben grünen Stoff und schießt mit einer bohrerähnlichen Maschine Fäden in verschiedenen Grünnuancen ins Gewebe, sodass auf der anderen Seite kleine Büschel entstehen:
    "Die kann ich ganz locker noch rausziehen. Da kommt also ein synthisches Latex hinten drauf, welches transparent auftrocknet und die Fäden im Gewebe hält und gleichzeitig aber das Gewebe noch flexibel ist, dass man es rollen kann oder zusammenlegen kann."
    Kunden mit Rang und Namen
    Tuften nennt sich die Technik, mit der hier ein Rasen für den Rigoletto im Theater Regensburg entsteht. Getuftete Rasen sind günstiger als gewebte Sisal-Teppiche, weil sie aus Jute bestehen und schneller hergestellt werden können. Zehn Quadratmeter können am Tag getuftet, aber nur drei bis vier Meter gewebt werden. Ein Meter gewebter Stoff kostet etwas unter 100 Euro.
    "Für den SWR, ja, Baden-Baden, Staatsoperette, das waren halt die Strohballen, für Graz, ja genau Jenůfa, ach ja, da war voriges Jahr Sesamstraße und da haben wir dieses Jahr nachgeliefert."
    Heike Schönfeld und Norman Pilz blättern in den Produktionsplänen der vergangenen Monate. Die Referenzliste der Crimmitschauer Manufaktur liest sich wie das Who is Who der Theater- und Fernsehwelt:
    "Werther für Straßburg. Tannhäuser in Bayreuth. Das Burgtheater Wien. Teilweise wird es auch für Fernsehen gemacht, also ‚Wetten dass?' hatte es auch schon."
    Die Auslastung sei gut, sagt die Geschäftsführerin. Der zweikettige Webstuhl und die sicherheitstechnische Ausrüstung der Bühnentextilien, die über Jahre entwickelt und verfeinert wurde, sowie die Möglichkeit für die Kunden, jedes Detail selbst zu bestimmen, sorge dafür, dass es praktisch keine Konkurrenz gebe. Gerade wird das Hinterhofgebäude erweitert und dann soll das Team aus Mutter Schönfeld, Heike Schönfeld, ihrem Lebensgefährten und einer gelernten Weberin auch Verstärkung bekommen.