Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Reihe: Woher kommt die Energie?
"Prometheus reflektiert den Kampf um Ressourcen"

Dem Mythos nach hat Prometheus uns mit dem Feuer das Licht, die Wärme und, ganz allgemein, die Energie geschenkt. Für die Literaturwissenschaftlerin Ursula Renner ist er deshalb so eine "Kultfigur" und auch heute noch relevant.

Ursula Renner im Gespräch mit Dina Netz | 21.08.2017
    DIe Prometheus-Statue des Künstlers Paul Manship im Rockefeller Center in New York.
    Prometheus "braucht etwas, um diese Figur, die er da bastelt, zu dem zu machen, was wir heute als Menschen ansehen - und das ist dieser göttliche Funke" - die Kulturwissenschaftlerin Ursula Renner. (imago / Meuser)
    Dina Netz: Prometheus war der Legende nach für die Menschen ein Hoffnungsträger: Um uns das Feuer zu bringen, legte er sich mit dem Göttervater Zeus an und stahl ihm das Feuer. Prometheus ist das bekanntlich nicht gut bekommen, er wurde für sehr lange Zeit an den Kaukasus gekettet, ein Adler fraß seine ständig nachwachsende Leber. Wir Menschen sind ihm aber ewig dankbar, denn Prometheus hat uns mit dem Feuer das Licht, die Wärme und, ganz allgemein, Energie geschenkt. Der Prometheus-Mythos ist deshalb unverzichtbar in unserer Reihe über kulturelle Energien in diesem Sommer.
    Die Literaturwissenschaftlerin Ursula Renner hat zusammen mit Claus Leggewie und Peter Risthaus ein Buch darüber herausgegeben: "Prometheische Kultur. Wo kommen unsere Energien her?" heißt es. Ich habe Ursula Renner gefragt: Im Grunde war das Thema Energie im Mythos ja schon dasselbe wie heute: Wer die Energie-Ressourcen hat, der hat die Macht. Und mit dem Diebstahl des Feuers hat Prometheus den Menschen also auch ein Stück Unabhängigkeit geschenkt. Damit ist die Prometheus-Sage ein überraschend moderner Mythos, oder?
    Ursula Renner: Ja, das würde ich unterschreiben. Ich glaube, dass tatsächlich der Prometheus-Mythos eine Schlüsselgeschichte ist für das Thema Energie. Der Kern ist wirklich, das: Er reflektiert sozusagen den Kampf um Ressourcen - oder man könnte auch sagen: was gehört den Göttern und was gehört den Menschen. Damit kommt so eine grundsätzliche Unterscheidung hinein, diese Vertikale, oben sitzen irgendwo die Götter und haben alles, haben alle Energien - so ist eigentlich die Ausgangslage -, und was haben denn die Menschen und wer könnte dafür sorgen, dass die Menschen mit ausreichender Energie versorgt sind. Da ist Prometheus die Schlüsselfigur, der Vermittler, auch der Anwalt der Menschen, könnte man sagen.
    Mensch als Energie produzierendes und verbrauchendes Wesen
    Netz: Bei Hesiod war Prometheus noch ein hinterlistiger Betrüger; heute ist er eine Ikone der Fortschrittsoptimisten aus eben diesem Grund, den Sie genannt haben. Welchen Wandel hat denn die Wahrnehmung dieses Mythos im Laufe der Jahrhunderte erfahren, Frau Renner?
    Renner: Die große Veränderung ist vielleicht, dass er in die Science Fiction Kultur und in die Trivial-Kultur abgewandert ist, und zwar eigentlich gekoppelt wurde mit so jemandem, seit der Romantik, könnte man eigentlich sagen, dem Menschen produzierenden Wesen. Heute würden wir sagen, das ist die Figur, die Roboter herstellt und die Roboter sich verselbstständigen. Das wäre der Frankenstein-Mythos folgende - bis hin zu Ridley Scott's Prometheus, ja ein ganz junger Film.
    Also mit anderen Worten: Was sich geändert hat ist vielleicht das ungeheuer Bedrohliche, was mit der Menschenproduktion hinzugekommen ist - und geblieben ist, glaube ich - aber in dem Mythos und im Kern - und deshalb ist er so eine Kultfigur -, dass es darum geht, wie gehen wir, der Mensch als Energie produzierendes und Energie verbrauchendes Wesen. Und diese ganze Tragik dieses Doppelpacks, da könnte man eigentlich sagen, das sind natürlich die Themen, die uns heute interessieren, so dass man sagen kann, dass immer noch eigentlich und damit grundlegende Kulturfragen im Spiel sind.
    Den Göttern mangelt es bei Goethe an Empathie
    Netz: Das Feuer, das Prometheus stahl, das ist ja noch ein Energieträger im eigentlichen Sinne, in dem Sinne, wie wir Menschen Energie verbrauchen. Aber es gibt auch dieses Konzept von kultureller Energie, von kreativer Energie, die der Mensch produziert. Seit wann ist das denn überhaupt aufgekommen?
    Renner: Ja, das ist sehr interessant. Im Ausgangsmythos bei diesen zwei wichtigen Initiationsszenen, die der alte Prometheus-Mythos in sich hat, ist eine, dass Prometheus Menschen macht, und er muss sie irgendwie beleben. Und das tut er mit dem sogenannten "göttlichen Funken". Das heißt, er braucht etwas, um diesen Klos, um diese Figur, die er da bastelt, zu dem zu machen, was wir heute als Menschen ansehen - und das ist dieser göttliche Funke. Den stiehlt er sozusagen von Zeus, also von dem Göttervater, und diese Idee, die wird, ja man kann sagen, eigentlich mit der Renaissance, aber vor allen Dingen - und das wäre eigentlich der Schlüsseltext für mich - jedenfalls für diese kreative selbstsetzende Seite, die dieser göttliche Funke bewirkt hat -, das wäre die berühmte Prometheus-Ode von Goethe.
    Der junge Goethe, 1773, das ist Sturm und Drang, das ist diese junge Jugendbewegung, könnte man sagen, Goethe, Herdan, Lenz, die wirklich etwas Neues schaffen wollen. Und worum geht es eigentlich in dieser Ode: Zeus sitzt hinter Wolken, ist verschwunden, nimmt Opfersteuern ein, umnebelt sich, lässt sich feiern, lässt sich opfern, ist aber im Grunde genommen überhaupt niemand, der mehr Empathie mit den Menschen hat. Das ist das, was dieser junge Goethe einfordert, oder worum es ihm eigentlich geht, dass nämlich dieses "heilig glühend Herz", das in ihm ist, und das ist natürlich dieser göttliche Funke. Dieses "heilig glühend Herz", das ist das, was den Menschen auszeichnet vor den Göttern.
    Das ist fast so etwas wie eine Überbietungsfigur, denn die Götter erweisen sich als eine reine Projektion. Die sind, wenn man böse ist, Funktionäre geblieben, oder die sind jedenfalls das, was Menschen meinen, was sie zu verehren und zu bewundern haben, aber sie sind eigentlich nicht das Wesentliche, was genau Kreativität erzeugt, Empathie. Nach Goethe sind die Götter im Himmel überhaupt nicht empathisch. Die lassen den Menschen leiden, er hat Schmerzen, er ist allein oder ist abhängig davon, dass andere mit leiden, und er ist sozusagen ein kreatives Wesen. Das bezieht er aus diesem Funken, aber es sind überhaupt nicht mehr die Götter und vor allen Dingen nicht mehr die Institutionen der Götter, also nicht mehr Religionen etwa.
    Allenfalls könnte man sagen, es kommt aus der Natur: Woher gewinnt denn der kreative Mensch das? Und das ist schon so etwas wie eine Naturkraft. Kräfte sind nicht aus dem Spiel, auch nicht die energetischen Kräfte von Kreativität, aber sie sitzen im Herzen und das Herz wird Zentrum von energetischen Kräften, die ihm ungeheure Fähigkeiten, Möglichkeiten geben. Oder aber man kann natürlich sagen, es schützt ihn letztlich nicht davor - und das ist ja das Dilemma heute -, dass er zum Herrscher über Technik geworden ist, die sich dann verselbstständigt.
    "Wir müssen über diesen Mythos verhandeln"
    Netz: Das wollte ich Sie gerade fragen, Frau Renner. Was kann oder könnte denn dieses Herz, diese Kultur, diese Kreativität heute beitragen zu den Energiedebatten, die wir mit solcher Vehemenz führen?
    Renner: Ja. Jetzt haben wir natürlich heute das Dilemma und das wird ja allerorten diskutiert, dass wir - und da rückt der Mythos in die Frankenstein-Nähe oder die Rolle des Homo Fabers, des Technikers, des Technokraten, der Dinge, Wesen produziert, die ihm entgleiten. Und ich würde sagen, das ist das Schwierige oder das Interessante bei diesem Mythos, dass es eigentlich darauf ankommt - und deshalb ist er auch heute noch so aktuell und relevant -, dass wir genau über diesen Mythos eigentlich verhandeln müssen, und das bedeutet ja Kultur.
    Kultur heißt ja nichts weiter als Selbstverständigung. Das heißt, wir müssen uns darüber verständigen, was wir eigentlich produzieren, was wir mit der Energie tun, oder zum Beispiel, ob - und so sieht es ja aus - wir nicht im Grunde genommen in so einen Raubmodus getreten sind, denselben, den Prometheus, diesen Raubmodus, nämlich Energie von den Göttern, aber jetzt sind wir in einem Raubbau-Modus oder einem Raubmodus, wo wir eigentlich die Energien der Zukunft verbrauchen.
    Das heißt, wir berauben eigentlich unsere Kinder, Enkelkinder, unsere Ahnen. Das heißt, wir stehen nicht mehr wie Prometheus auf der Seite. Wir sind nicht mehr Anwalt der Menschen, sondern so steht zu befürchten, dass wir zum egoistischen selbstbedienenden Wesen geworden sind. Wir müssen unbedingt die Reflexion darüber voranschreiten lassen. Ich würde sogar sagen, die muss eigentlich auf ein angemessenes Niveau gehoben werden, damit wir zukunftsfähig bleiben und werden und damit wir nicht diesen ungeheuren Egoismus des Hier und Jetzt und Heute, diese hedonistische Seite, die der Mensch nun tatsächlich hat, damit die nicht überhandnimmt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.