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Reinders: Bildung von Migranten hängt auch vom sozioökonomischen Status ab

Beim Thema Migranten und Bildungsabschlüsse sei der sozioökonomische Status ein wichtiger Faktor, sagt Heinz Reinders. Gegenwärtig habe sich die Bildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund leicht verbessert. Ausschlaggebend sei unter anderem wie viel Deutsch in der Familie gesprochen werde, so Reinders weiter.

Heinz Reinders im Gespräch mit Manfred Götzke | 26.06.2012
    Manfred Götzke: Letzten Freitag haben Bund und Länder ihren Bildungsbericht 2012 präsentiert. Ein Kernbefund: Es gibt immer mehr höhere Bildungsabschlüsse, mehr Abiturienten und Studierende. Der andere nicht so tolle: es gibt einen Sockel der Abgehängten, der etwa 20 Prozent der Schüler ausmacht. Unter ihnen viele Jugendliche aus Einwandererfamilien. Bei ihnen sei nicht erkennbar, dass die Unterschiede zu den einheimischen Schülern abgebaut werden. Tja, und jetzt hat die Bundesregierung einen weiteren Bericht veröffentlicht: den Integrationsbericht. Da steht wiederum drin: Seit 2005 erhebliche Fortschritte im Bildungssystem erzielt. Der Abstand zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund habe sich auf vielen Feldern deutlich verringert. Heinz Reinders ist empirischer Bildungsforscher an der Uni Würzburg und kennt beide Studien gut. Herr Reinders, was stimmt denn jetzt? Sind die Migranten in der Schule jetzt erfolgreicher geworden oder nicht?

    Heinz Reinders: Also, das stimmt für sich genommen erst mal schon. Wenn man die letzten Jahre sich anschaut, dann ist der Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die einen höheren Bildungsabschluss erwerben, gestiegen, und der Anteil derjenigen Migranten-Jugendlichen, die ohne Bildungsabschluss oder geringer qualifiziert aus dem Bildungsweg gehen, der ist gesunken.

    Götzke: Dennoch erscheint es ja etwas seltsam, wenn die Bundesregierung zwei Studien mit zumindest scheinbar unterschiedlichen Ergebnissen präsentiert. Hilft das der Bildungsforschung und vor allem der Bildungspolitik, die ja Konsequenzen aus solchen Studien muss.

    Reinders: Also, Sie haben richtigerweise schon gesagt, scheinbar differenten Ergebnissen. Tatsächlich ist es so, dass die eine Aussage in dem Bildungsbericht im Grunde sagt, der Status quo ist derzeit so, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund noch bildungsbenachteiligt sind, aber der Bildungsbericht erwähnt auch in seiner Expertise in einem Nebensatz, dass sich diese Situation leicht verbessert hat. Und dort dockt dann der Integrationsbericht an, greift das dann auch weiter auf und unterfüttert das dann noch mit Zahlenmaterial, sodass eben beides zutrifft. Wir haben eine relative Benachteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, allerdings profitieren auch Jugendliche mit Migrationshintergrund von dem generellen Trend, dass immer mehr Jugendliche etwas höhere Bildungsabschlüsse erwerben.

    Götzke: Wodurch sind denn diese maßgeblichen Fortschritte, von denen die Integrationsbeauftragte im Integrationsbericht spricht, bedingt. Was hat den Bildungserfolg, den etwas größeren, der Migranten erhöht?

    Reinders: Also ich denke, man kann zum einen sagen, dass natürlich, wenn Jugendliche oder Kinder das Bildungssystem durchleben, deren Eltern selbst auch ein Teil oder sogar im Ganzen dieses Bildungssystem durchlaufen haben, das wäre dann die sogenannte dritte Generation, dass die natürlich dann im Vorteil ist im Vergleich zu Migranten-Jugendlichen, wo die eigenen Eltern etwa gar keine Erfahrung haben. Das zweite, was man mutmaßen kann, ist, dass sich der Sprachgebrauch zwischen den Generationen jetzt ein bisschen wandelt, dass die zweite und dritte Migrantengeneration etwas häufiger zuhause deutsch spricht als beispielsweise die erste und zweite Generation. Was allerdings auch ein wichtiger Faktor ist, was gerne mal vergessen wird, dass die Benachteiligung von Migranten im Bildungssystem vor allem durch den sozioökonomischen Status erklärt wird und nicht so sehr über die Frage, ob ein Migrationshintergrund besteht oder nicht.

    Götzke: Das ist ein wichtiger Punkt. Wenn man sich die Studie etwas genauer anguckt, dann wird ja auch gesagt, vergleicht man Kinder aus dem gleichen Bildungs- und Einkommensmilieu, dann streben die Migranten für ihren Nachwuchs sogar höhere Bildungsabschlüsse an als die deutschen Eltern. Kann man daraus wirklich den Schluss ziehen, Bildungserfolg hat nichts mit Migrationshintergrund, sondern mit Einkommenshintergrund zu tun?

    Reinders: Na, wir haben ja schon auch den wichtigen Hintergrund, inwieweit eben die deutsche Sprache in der Familie gesprochen wird. Das wissen wir, dieses Sprachbad, wenn man so will, das ist schon ein wichtiger Punkt. Oder aber, dass beispielsweise in der Migrantenfamilie generell viel gesprochen wird, auch in der Herkunftssprache, sodass insgesamt ein Gefühl für Sprache entwickelt wird. Bezogen auf den sozioökonomischen Status, da muss man klar sagen, der ist dann tatsächlich im Zweifelsfalle erklärungsträchtiger. Ich warne allerdings davor, hier so ein bisschen zu stark Bildungsschichten über Migrantengrenzen hinweg gleich zu machen, denn wir sprechen zunächst mal bei Migranten, die vielleicht auch aus dem bürgerlichen Milieu stammen, und das sie hier zunächst einmal Bildungsaspiration, also Bildungserwartung oder Bildungshoffnung erfassen. Das sagt jetzt noch nicht so wahnsinnig viel darüber aus, inwieweit die Kinder auch in der Lage sind, das zu realisieren. Von daher müssen wir beides berücksichtigen, Migrationshintergrund mit diesen familiären Merkmalen, aber eben auch die Bildungsbenachteiligung von sozial schwachen Schichten als ganz wichtigen Aspekt.

    Götzke: Welche Schlüsse sollte die Bildungspolitik aus den Ergebnissen der beiden Studien ziehen statt Betreuungsgeld, Kita und Ganztagsschule für alle?

    Reinders: Also, im Bereich der Kinderbetreuung können wir schon sagen, da sind Kinder aus Migrantenfamilien noch selten anzutreffen, was bezogen auf die Sprachförderung in Zusammenhang mit Integration einfach unerlässlich ist. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass wir dort auch Familien mit Migrationshintergrund sehr viel stärker erreichen, gerade aus bildungsferneren Schichten. Auf der anderen Seite ist natürlich auch noch an vielen Punkten viel zu tun. Die an die Ganztagsschule gestellten Hoffnungen beispielsweise erfüllen sich jetzt so nicht. Es ist nicht so, dass Migranten an Ganztagsschulen in irgendeiner Form doppelt, dreifach oder sonst wie besser integriert wären als Migrantenschüler, die nicht an Ganztagsschulen gehen, sondern da kommt es ganz stark auf die Einzelschule an. Für die Bildungspolitik ist zunächst mal ein ganz wichtiger Aspekt der, dass festgestellt wird, es gibt nach wie vor noch diese Unterschiede und es ist nicht so, dass wir uns auf vermeintlichen Fortschritten hier ausruhen können.

    Götzke: Der Bildungsforscher Heinz Reinders von der Uni Würzburg hat uns über scheinbar widersprüchliche Bildungsstudien aufgeklärt und das Betreuungsgeld für falsch erklärt. Dankeschön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.