Freitag, 19. April 2024

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Reine Leere. Erfahrungen eines respektlosen Zen-Schülers

Koans werden mächtig überschätzt, heilige Titel sind Quatsch und vom ewigen Meditieren im Lotussitz kriegt man Hämmorhoiden. Das ist der Auftakt zu Janwillem van de Weterings drittem Buch über Zen. Ein Paukenschlag, ein kleines Bömbchen im räucherstäbchenduftwaberndem Esoterikbuchladen. Da kommt das ein oder andere hirsegefüllte Lotussitzkissen ins Rutschen und der, der draufsitzt, vielleicht sogar ins Schleudern. Aber genau das will er ja, der holländische Krimiautor Janwillem van de Wetering, von seinem japanischen Guru Jan-Buddha genannt, genau dass hat er von Anfang an gewollt. Schon sein erstes Zenbuch "Der leere Spiegel" faszinierte durch die ihm eigene Mischung aus Humor, Respektlosigkeit und Aufrichtigkeit und hinterließ jene Spur von Verunsicherung, die Menschen ganz offensichtlich brauchen, damit sie nicht urteilen, sondern denken.

Liane Dirks | 07.02.2000
    Doch denken reicht nicht, das hat Janwillem van de Wetering inzwischen gelernt, und exakt aus diesem Grund läßt er seine Leser diesmal nicht nur verunsichert zurück, er macht mehr: er wühlt sie auf, er schleudert ihnen die Koans und die Geschichten nur so um die Ohren, die Gurus werden demaskiert und an feste Begriffe hält man sich im Zen-Buddhismus ja eh nicht. Leere ist Form und Form ist Leere, wer versteht das schon? Doch, darum geht es. Es geht um Mu. Um Nichts, um die um reine Abwesenheit. Zitat:

    "Hat auch ein Hund Buddha-Wesen?' fragte der Mönch den Priester Joshu. Der Priester sagte: "Mu", das bedeutet "nein"".

    Als der Mönch allerdings noch einmal fragte, sagte der Priester U, das heißt ja. Was soll man davon halten. Koans sind Rätsel, die absichtlich unklar formuliert werden, klärt uns der Autor auf. Und Mu war eines seiner ersten. Damals, vor 42 Jahren, als die Suche nach dem Sinn des Lebens und die Suche nach einer Antwort auf die Erklärung für das Leid, das allen unverständliche selbstverständliche Leid, das unser Leben durchsieht, van de Wetering nach Japan trieb und sein Meister Roshi über ihn lachte, über ihn, den Jan-Buddha, der das Nichts suchte, denn:

    "Der Gedanke, nach totaler Leere zu streben und sie schließlich zu erreichen, gefiel mir. Irgendwie ließ es mich an Harley Davdisons und nackte Frauen denken."

    Typisch van de Wetering. Und was antwortet Roshi der Meister?

    "Du bist wie ein Fisch im Ozean, der sich über Durst beklagt. Laß los, laß los."

    Typisch Guru. Das kennt man schon, doch eben hier fängt das Buch erst an. Van de Wetering läßt nicht los und auch nicht locker, er hat als Kind schon wissen wollen, was Gut und Böse ist. Damals, als die Deutschen nach Holland kamen, sah die Sache kurzfristig eindeutig aus. Als Jugendlicher las er David Hume und lernte das Zweifeln an der Realität, er studierte Meister Eckart, und deutsche Philosophen.

    "Das Leben hat keinen inneren Wert, und es fehlt ihm auch kein solcher, es ist immer nur der Mensch der darauf beharrt, das Leben zu bewerten."

    Diese Mu-Variation ist von Friedrich Nietzsche, und alles reichte van de Wetering nicht. Ein Lehrer schickte ihn nach Japan und dieses dritte Zen-Buch zieht nun all die Kreise nach, die van de Weterings Suche seitdem zog. Irgendwie ist er nämlich doch in den Supermarkt des spirituellen Materialismus geraten und nun führt er die Gurus vor. Den, der sich selbst dazu gemacht hat, indem er sich so nannte und die richtigen Gewänder anzog, "Baba-San", Meister Roshi, den wir schon kennen, "Sensei" der seine amerikanische Zen-Gemeinde in den totalen Bankrott trieb, den tibetischen Tantra-Meister, der soff und wie viele andere so gern durch Amsterdams Rotlichtviertel mit ihm ging, der ein lebender Buddha war und in dessen Gegenwart sich van de Weterings Wirbelsäule elektrisierte. Er ist nicht der einzige, dem es in Gegenwart dieses Meisters so erging.

    Er erzählt die Geschichte von den 60 Zen-Meistern, die ausser sich geraten, als ihre Telefonverbindungen nicht funktionieren, von einem, der sich aufhängt, weil er nicht heiraten darf. Und keinen dieser Meister macht er schlecht. Auch den bewunderten Bobbie-san nicht, den er anfangs für Maitreya hielt," den weißen Buddha. Eine Art amerikanischer Zen-Crag ist dieser Bobbie-san, der alle Koans in Windeseile gelöst hat. Doch was sagt ihm dieser nach 20 Jahren täglichen vierstündigen Sitzens, also immerhin circa 30.000 Stunden Meditation? Alles Quatsch, sagt er. Und dazu gibt es dann wieder einen Koan:

    "Der Priester Sekiso sagte: Du befindest dich oben auf der Spitze einer dreißig Meter langen Stange, wie bewegst du dich jetzt vorwärts?"

    Wo geht es zum Berg der Erleuchtung? Van de Wetering verrät alles und nichts. Die "reine Leere" ist hochkomisch und tiefernst zugleich. Und wenn man glaubt, daß van de Wetering diesmal alles wegschmeißt, dann irrt man sich, das erfährt man am Ende des Buches. Van de Wetering schmeißt nicht weg, er läßt los. Der Spiegel zerspringt, der Rahmen fliegt weg, er löst sich auf. Nichts. Die Reine Leere. Dazu gibt es einen Koan und wir sind wieder am Anfang. Es ist der von dem Hund mit der Buddhanatur. Mu.