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Reinere Luft zu teuer für viele Amerikaner

Aus Kraftwerken kommen viele schädliche Abgase: Kohlendioxid ruiniert das Klima, andere Stoffe verschmutzen die Luft und gefährden die Gesundheit der Anwohner. Die USA wollen den Ausstoß jetzt strenger regeln. Doch die neuen Vorschriften stoßen auf Widerspruch bei der Kohlelobby und bei vielen Bundesstaaten. Ein Grund: Die Regelungen würden den Strompreis erhöhen.

Von Heike Wipperfürth | 19.06.2012
    Das Verbrennen von Kohle in Kraftwerken belastet die Umwelt mit Giftstoffen wie Quecksilber, Arsen, Cadmium, Chrom und Blei. Doch Ende letzten Jahres hat US-Präsident Barack Obama die "Mercury and Air Toxics Standards" unterzeichnet, Vorschriften zur Reinhaltung der Luft. Ab 2016 darf keines der 600 Kohlekraftwerke in Amerika im Monatsdurchschnitt mehr als 1,5 Mikrogramm Quecksilber pro Kubikmeter emittieren. Das sind die weltweit strengsten Grenzwerte – für viele ein Sieg für den Umweltschutz über die mächtige Kohlebranche. Präsident Barack Obama:

    "Dadurch, dass wir etwas unternehmen, um die Emissionen von Quecksilber und anderen umweltbelastenden Schadstoffen zu senken, wird es zu wesentlich weniger Gesundheitsschädigungen kommen wie neurologischen Problemen bei Kindern."

    Oder auch nicht. Denn 24 US-Bundesstaaten haben jetzt bei einem Gericht in Washington Beschwerde gegen den Beschluss der US Regierung eingereicht – sie würden die neue Regelung per Gerichtsentscheid am liebsten so schnell wie möglich wieder außer Kraft treten lassen.

    Die Bundesstaaten, darunter Pennsylvania, Ohio, Michigan und Kentucky, könnten sich die Luftreinigung nicht leisten, lautet die Begründung. Der Strompreis würde steigen, denn die neue Regelung verursache Mehrkosten von rund 11 Milliarden Dollar jährlich. Viele Kohlekraftwerke müssten schließen, das Stromangebot würde sinken und Arbeitsplätze verloren gehen. Die Wirtschaftskrise gehöre immer noch zum Alltag, jetzt sei nicht der richtige Zeitpunkt, sich um die Reinhaltung der Luft zu sorgen. Stimmt nicht, widerspricht Michael Gerrard, ein Juraprofessor an der Columbia Universität:

    "Die Umweltbehörde EPA kann beweisen, dass das Gesetz medizinisch gerechtfertigt ist, weil es viele Menschenleben rettet. Es kostet zwar viel Geld, aber nicht so viel wie die nachteiligen Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Wirtschaft als Ganzes."

    Laut US-Umweltbehörde EPA wird die Luftverschmutzung 11.000 Amerikanern vorzeitig das Leben kosten, falls das Gesetz nicht greift. 40 Prozent aller Kohlekraftwerke müssten sich wegen des Gesetzes modernisieren. Die Technik steht zur Verfügung, gilt aber als teuer. Durch den Einsatz von Aktivkohle und Bromsalzen ließen sich die Emissionen senken. Außerdem werde das Gesetz überfällige Innovationen anschieben, von denen die Branche profitieren könnte, wenn sie das will, sagt Michael Gerrard.

    "Die Kostenvoraussagen für die Umsetzung neuer Regeln sind oft höher als die wirklichen Kosten der Unternehmen, weil neue Gesetze den Anreiz schaffen, um Methoden und Technologien kostengünstig weiter zu entwickeln."

    Und doch: Die Kohlebranche empfindet sich unter Beschuss. Tatsächlich muss sie sich auch noch gegen andere Auflagen wehren. Kohleasche soll beispielsweise als gefährlicher Sondermüll eingestuft werden. Sollte die Umweltbehörde EPA dies entscheiden, müssten die Kraftwerksbetreiber mit Mehrkosten von 20 Milliarden Dollar rechnen. Ein Problem, sagt Michael Gerrard.

    "Es kommen viele neue Regeln auf die Kohlebranche zu. Das ist eine schwierige Situation, denn zur gleichen Zeit geht der Erdgaspreis steil nach unten und bedroht die Stellung der Kohle im Strommarkt."

    Tatsächlich verdrängt billiges US-Erdgas die Kohle als preiswerteste Energiequelle für Stromproduzenten. Doch Kohle spielt auch weiterhin eine wichtige Rolle. Und der Widerspruch stellt die Obama-Regierung sechs Monate vor der nächsten Präsidentschaftswahl vor die Frage, wie sie Amerikaner vor den schlimmen Folgen der Luftverschmutzung schützen kann, wenn es die eigenen Bundesstaaten nicht wollen.