Dienstag, 23. April 2024

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Reinhardt: Waffenstillstand in Libyen auszuhandeln ist "das Entscheidende"

Der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber der KFOR, Klaus Reinhardt, sagt im Deutschlandfunk, dass der Krieg in Libyen nicht militärisch zu gewinnen sei. Er hält es für richtig, dass die NATO mit Gaddafi lüber ein Waffenstillstandsabkommen verhandele.

Klaus Reinhardt im Gespräch mit Gerd Breker | 20.04.2011
    Gerd Breker: Die Rebellen in der seit Wochen von Gaddafi-Truppen belagerten libyschen Küstenstadt Misrata haben den Einsatz von ausländischen Bodentruppen verlangt. Seit dem Beginn der Kämpfe in Libyen starben nach Angaben der Aufständischen bereits 10.000 Menschen, bis zu 55.000 seien verletzt worden. Die Lage in Misrata ist hoffnungslos, nicht nur für die Einwohner selber, auch für die Tausenden von Gastarbeitern, die ebenfalls dort eingeschlossen sind.
    Wir sind nun verbunden mit General a.D. Klaus Reinhardt, ehemaliger NATO-Oberbefehlshaber der KFOR-Truppen auf dem Balkan. Guten Tag, Herr Reinhardt.

    Klaus Reinhardt: Grüß Gott, Herr Breker!

    Breker: Misrata wird seit sechs Wochen von den Truppen von Gaddafi belagert und unter Beschuss genommen. Die Truppen setzen Raketen und Streubomben ein. Die Rebellen, sie haben einfach keine Chance. Sie fordern Bodentruppen, doch Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat heute noch einmal sich gegen Bodentruppen in Libyen ausgesprochen. Das heißt, Herr Reinhardt, die NATO ist zum Zuschauen verurteilt?

    Reinhardt: Das würde ich nicht so sehen. Der amerikanische Präsident hat von Anfang an gesagt, nie Bodentruppen, der französische Außenminister hat sich gestern dieser Meinung angeschlossen, und im Augenblick sehe ich niemand, der Bodentruppen schicken möchte. Ich glaube, man muss endlich von dem Gedanken, so ein Krieg ist militärisch weiter fortzuführen und zu gewinnen, Abstand nehmen und den Schwerpunkt darauf setzen, ein Waffenstillstandsabkommen auszuhandeln, und da ist das Entscheidende eigentlich, dass man nicht sagen kann, Gaddafi muss weg, sonst habe ich niemand, mit dem ich das Waffenstillstandsabkommen aushandeln kann, sondern ich brauche ihn dazu und ich muss hochkarätig mit ihm in die diplomatischen Verbindungen einsteigen. Das, meine ich, wäre durchaus eine sinnvolle Aufgabe für die NATO.

    Breker: Und für die Menschen in Misrata bedeutet das, sie müssen darauf warten, dass Gaddafis Truppen sie massakrieren?

    Reinhardt: Ich glaube, wenn man zu einem Waffenstillstandsabkommen kommen könnte, wäre das die schnellste Möglichkeit. Es bringt gar nichts zu sagen, wir wollen jetzt die Truppen dort ausbilden, wie das die Briten machen wollen mit einigen Spezialisten, und ihnen Waffen liefern, sondern man muss so schnell wie möglich dafür sorgen, dass der Krieg ein Ende hat. Und ich denke daran, als wir den Luftkrieg damals in Bosnien-Herzegowina hatten, gab es anschließend Waffenstillstandsverhandlungen, da war auch Herr Milosevic dabei, und die haben sich als richtig erwiesen. Also diesen Weg muss man gehen, und je mehr Druck dort auf Herrn Gaddafi gemacht wird, das heißt, je höher der ist, der mit Herrn Gaddafi verhandelt - ich denke an einen Mann wie Herrn Lakhdar Brahimi, ein ganz, ganz berühmter und erfahrener Diplomat der UNO, Algerier selber -, dass ihm klar gemacht wird, jetzt ist Schluss damit. Er hat ja erste Zeichen gegeben, dass er sagt okay, Hilfs-Konvois können in die Stadt kommen.

    Breker: Nur wie es jetzt ausschaut, Herr Reinhardt, ist ja klar, dass von Beginn an eigentlich schon deutlich wurde, dass aus der Luft allein der Auftrag der Vereinten Nationen, die Zivilisten zu schützen, an die NATO gar nicht zu erfüllen sein würde. Also kommt nicht auch die diplomatische Initiative viel zu spät, wenn sie denn jetzt käme?

    Reinhardt: Natürlich kommt sie viel zu spät, Herr Breker, und ich fordere sie seit zwei Wochen und ich habe vom ersten Tag an gesagt, sie können einen solchen Konflikt nicht mit Luftstreitkräften beenden, sondern sie brauchen Bodentruppen, die letztendlich zwischen die Kriegsparteien gehen. Aber auch Bodentruppen heute reinzustecken, soll man nicht glauben, dass das so schnell gehen würde, selbst wenn man zu der Entscheidung käme. Die müssten vorbereitet werden, die müssen verlegt werden, das dauert Tage, Wochen. Einen Waffenstillstand auszuhandeln, geht viel schneller und ist für mich die einzige Lösung, wenn ich an die Sicherheit der Zivilbevölkerung denke.

    Breker: Die NATO soll nicht Partei sein in diesem Bürgerkrieg. Ist das nicht schon von Beginn an eine Selbstlüge gewesen?

    Reinhardt: Die NATO war von Anfang an Partei, dadurch, dass sie dieses Flugverbot mit Waffengewalt durchgesetzt hat, wie das üblich ist, und damit hat sie sich natürlich gegen Herrn Gaddafi ausgesprochen. Wir müssen jetzt davon ausgehen, dass es nicht weiter in eine Richtung gehen kann, dass die NATO zur Luftwaffenunterstützung für die Aufständischen wird, denn das kann auch nicht die Aufgabe sein.

    Breker: Nun hat Bundesaußenminister Westerwelle den militärischen Schutz von humanitären Hilfseinsätzen angeboten. Aber nehmen wir jetzt mal zum Beispiel die Stadt Misrata, da wäre doch ein Militäreinsatz, der in einem Kriegsgebiet stattfindet, also wäre es doch auch ein militärischer Einsatz.

    Reinhardt: Die Frage ist, ist es ein militärischer Einsatz, der primär den Gegner bekämpft, oder ist es ein militärischer Einsatz, der versucht, so stark wie möglich den Hilfsorganisationen den Weg frei zu machen in die Stadt. Nachdem gestern durch die libysche Regierung gesagt worden ist, wir haben nichts, dass entsprechende Konvois reinkommen, wir wollen keine militärischen Kräfte dabei haben, muss das noch verhandelt werden. Aber ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass man von Seiten der EU oder der NATO den Hafen von Misrata öffnet, um den Schiffsverkehr frei zu machen, und dass man dann einen Korridor in die Stadt hineinbringt, und da brauchen sie Soldaten dazu, weil sonst die zivilen Hilfsorganisationen nicht reingehen.

    Breker: Herr Reinhardt, das Gesamtbild, was die NATO, was das Militärbündnis im Zusammenhang mit der Libyen-Krise derzeit abgibt, ist das nicht ein wenig jämmerlich: Uneins auf jeder Ebene, die Franzosen denken anders als die Briten, die Amerikaner wiederum anders, Deutschland beansprucht eine Sonderrolle. Die NATO ist einigermaßen erfolglos in Afghanistan, harmlos in Libyen. Hat sich dieses Bündnis überlebt?

    Reinhardt: Das Bündnis hat sich mit Sicherheit nicht überlebt, aber das Bündnis muss sehen, dass ein solcher Auftrag wie der der UNO eben nicht aus dem Handgelenk zu machen ist und dass man nicht nur eine Planung hat, um in dieses Land hineinzugehen und die Flugverbotszone sicherzustellen, sondern das Entscheidende ist, dass man sich fragt, was möchte man erreichen und wie kommt man wieder raus, wie ist die Exit Strategy. Und wir sehen ja, dass schrittweise immer mehr die Forderung ist, es muss erst mal Gaddafi weg und dann schauen wir weiter. Das ist der falsche Ansatz und man muss eigentlich von Beginn an in diese Richtung sehr deutlich sagen, was sind die Ziele, die wir erreichen wollen. Dadurch, dass das nicht geschehen ist, dadurch, dass auch Frankreich und Großbritannien erst mal vorgeprescht sind, bevor die NATO mit ihrer Planung überhaupt fertig war, hat das nie zu einer vernünftigen Planung geführt, und das zeigt sich heute sehr, sehr negativ.

    Breker: Und die NATO ist sich nicht eins. Deutschland beansprucht ja eine Sonderrolle innerhalb dieses Bündnisses.

    Reinhardt: Also ich bin ja nun jahrelang in der NATO gewesen. Wir haben wieder und wieder in der NATO Auseinandersetzungen gehabt. Und wenn ich an die Auseinandersetzungen erinnere, die ich als Kommandeur im Kosovo gehabt habe mit allen NATO-Staaten unter mir, wo die einen Staaten wollten und die anderen Staaten nicht, dann, muss ich sagen, ist das für einen militärischen Befehlshaber nichts Neues, denn die NATO besteht ja nur aus souveränen Nationen und die souveränen Nationen entscheiden im Rahmen ihrer Interessen, was sie machen wollen und was nicht, und das sind die Konsequenzen, die wir im Augenblick sehen, die sehr, sehr traurig sind.

    Breker: Was auch damit zu tun hat, dass in der Bundesrepublik Deutschland es eine Parlamentsarmee gibt.

    Reinhardt: Das ist mit Sicherheit richtig, aber das Parlament hat ja nun sogar entschieden, dass für einen Hilfseinsatz auch deutsche Truppen eingesetzt werden könnten. Die European Battle Group, die im Augenblick für die EU in einem solchen Fall bereitstehen würde, ist von Deutschen geführt und hat sich darauf vorbereitet, und wir werden sehen, ob sie je zum Einsatz kommt oder nicht.

    Breker: General a.D. Klaus Reinhardt im Deutschlandfunk. Er war der NATO-Oberbefehlshaber der KFOR-Truppen auf dem Balkan.

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