Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Reinhold Messner zur Katalonien-Krise
"Man kann von Südtirol einiges lernen"

Südtirol genießt seit 1972 weitgehende Autonomierechte. Die Region sei nicht unabhängig von Italien, besitze aber große finanzielle Selbstständigkeit und könne deshalb viel gestalten, erklärte Reinhold Messner im Dlf. Dies sei "ein Erfolgsmodell" - und auch für Katalonien wünschenswert.

Reinhold Messner im Gespräch mit Christine Heuer | 12.10.2017
    Reinhold Messner
    "Rom hat uns im Laufe der Jahrzehnte sehr viele Kompetenzen gegeben und Rom lässt uns großteils unsere Mittel. Das ist wichtiger, als nur die ethnischen Konflikte zu schlichten", sagte Reinhold Messner im Dlf. (Imago / Eibner)
    Christine Heuer: Die Katalanen sind nicht allein. Katalonien ist kein Einzelfall in Europa. Viele Regionen wünschen sich ihre Unabhängigkeit herbei von den Zentralstaaten, denen sie angehören. Wir haben das Thema in Schottland, wir haben es mit den Flamen in Belgien und es wird auch in Südtirol diskutiert. Seit 1972 genießt die Region im nördlichen Italien weitgehende Autonomierechte und fährt gut damit. Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher empfiehlt seine Region deshalb als Vorbild, nach dem auch die Katalonien-Krise zu meistern wäre:
    O-Ton Arno Kompatscher: "Es braucht einen Dialog über die Weiterentwicklung der katalanischen Autonomie. Südtirol mag als Beispiel dafür dienen, wie man ethnische Konflikte überwinden kann. Generell muss die Antwort Europas auf regionale Unzufriedenheiten die Antwort der Aufwertung des Regionalen sein und noch mehr Europa in den großen Fragen."
    Heuer: Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher. – Südtiroler ist auch der Bergsteiger Reinhold Messner, früher für die Grünen im Europäischen Parlament, also jemand, der die Sezessionswünsche in Europa aus eigenem Erleben kennt und politisch mit uns sortieren kann. Guten Morgen, Herr Messner.
    Reinhold Messner: Guten Morgen! – Guten Morgen.
    "Unsere Autonomie ist ein Erfolgsmodell"
    Heuer: Gerade haben wir alle Ihren Landeshauptmann gehört. Heißt von Südtirol lernen siegen lernen?
    Messner: Ich würde den Ausdruck "siegen lernen" in diesem Punkt nicht nutzen. Aber man kann von Südtirol, von unserer Autonomie einiges lernen. Nicht umsonst hat auch der Dalai Lama mit unserem Ex-Landeshauptmann Durnwalder geredet, wie man eine ähnliche Autonomie für Tibet in China erreichen könnte. Das ist natürlich noch ganz, ganz, ganz in der Ferne, aber ausschließen tue ich heute nicht mehr, dass auch Tibet früher oder später eine Autonomie kriegt. Aber auf jeden Fall ist unsere Autonomie ein Erfolgsmodell.
    "Rom lässt uns großteils unsere Mittel"
    Heuer: Was macht Rom denn besser als Madrid?
    Messner: Rom hat uns im Laufe der Jahrzehnte sehr viele Kompetenzen gegeben und Rom lässt uns großteils unsere Mittel. Das ist wichtiger, als nur die ethnischen Konflikte zu schlichten. Die ethnischen Konflikte wurden bei uns geschlichtet durch eine vernünftige Politik, die nachhaltig war, indem man auch Englisch in der Schule einführte. Meine kleine Tochter wird 15, die spricht Englisch, die spricht Italienisch, die spricht Deutsch. Und diese, ich würde sagen, Aggressivität, die es früher gab, hier die Italiener, hier die Deutsch sprechenden - Ladinisch (*) sprechende sind ja nur wenige -, die hat sich damit aufgelöst. Ich bin als Kind so aufgewachsen: Die italienischen Kinder waren schräg angeschaut. Die italienischen Kinder haben uns Crucchi (*) genannt. Das ist alles mehr oder weniger vorbei.
    Natürlich ist dieser Prozess nicht abgeschlossen, aber eines ist sicher: Wir dürfen nie mehr das machen, was wir 1939 erlebt haben, mit der Option, als Hitler und Mussolini entschieden haben, die Südtiroler sollen entscheiden, wohin sie wollen. Das hat das ganze Land, das hat Familien, das hat die Südtiroler zerrissen und das tut uns heute noch weh. Das darf man gar nicht anbieten. Das ist einfach sozusagen das Ende einer Minderheit.
    Heuer: Herr Messner, da sind Wunden geheilt. Sie sagen dadurch, dass Südtirol viele Kompetenzen hat und sein Geld behalten darf. Eine etwas ketzerische Frage: Ist Südtirol nicht de facto unabhängig und deshalb läuft es so gut?
    Messner: Nein, wir sind nicht unabhängig. Nein, nein, das in keiner Weise. Viele Regeln werden in Rom gemacht und wir haben nach römischen Gesetzen die Steuern zu zahlen. Nur die Steuern werden nach Bozen gezahlt und großteils bleibt das Geld in Bozen. Wir waren in den 50er-Jahren die ärmste Provinz von Italien und wir waren übrigens mit einer Autonomie "gesegnet", die das Trentino mit einschloss. Wir hatten nicht die Mehrheit. Die Mehrheit hatten die italienischen Trentiner plus die Bozener Italiener, die während des Faschismus für die Italienisierung von Süden nach Südtirol geschoben worden sind. Aber dann hat Silvius Magnago, der Ex-Ex-Landeshauptmann, übrigens in der Burg Sigmundskron, wo ich heute ein Museum habe, die große Rede gehalten "Los von Trient". Wir haben uns dann von Trient gelöst. Trient hat seine Autonomie behalten und wir haben unsere provinzielle Autonomie. 500.000 Leute - das ist nichts. Das Geld bleibt jetzt bei uns und wir können selber gestalten. Wir sind heute die reichste Provinz von Italien.
    "Nationalstaaten als Krücke, um zum gemeinsamen Ganzen zu kommen"
    Heuer: Herr Messner, da steige ich ein und frage Sie: Sollte Madrid das mit Katalonien auch machen? Sollte Madrid den Katalanen ihr Geld lassen und dann wäre Ruhe?
    Messner: Alles Geld muss man Katalonien nicht lassen. Katalonien muss auch in die gemeinsamen Kassen einzahlen. Und sollten wir jemals eine funktionierende EU haben, dann werden wir auch nach Brüssel einzahlen müssen. Es ist nur die Frage, welcher Teil. Und dann ist es völlig Wurst, ob wir zu Italien bei uns oder Katalonien zu Spanien gehört. Dann haben wir mehr Eigenständigkeit. Ich bin ganz überzeugt davon, dass die EU am Ende nur funktioniert, wenn diese Nationalstaaten, die mehr oder weniger alle Fehlgeburten sind, wenn die als Hilfe dienen, als Krücke dienen, zum gemeinsamen Ganzen zu kommen. Dann müssten die Nationalstaaten Macht abgeben an das gemeinsame Ganze, sprich die EU, und gleichzeitig an die kleineren Regionen, in Deutschland an die Bundesländer, bei uns in Italien an die Regionen, in Spanien gibt es eine andere Einteilung.
    "Die Diskussion war zu hart von Madrid aus"
    Heuer: Herr Messner, dann verstehe ich Sie richtig? Sie finden schon, Madrid muss den Katalanen etwas zugestehen?
    Messner: Ja. Die Diskussion jetzt war zu hart von Madrid aus. Die Katalanen haben zwar eine gute Autonomie, aber weniger eine Finanzautonomie, sondern eine ethnische Hilfe für ihre Eigenständigkeit, für ihre Kultur. Das ist klar, dass ein Land auch das erwirtschaftete Geld selber einsetzen will. Je mehr wir Kompetenzen haben bei uns in Südtirol, umso mehr hat man uns auch Geld gelassen. Jetzt ist es zwischen 80 und 90 Prozent, und das ist gut so. Wir sind aber eine autonome Provinz, die Geld nach Rom einzahlt. Sizilien kostet nur Geld, weil die nicht in der Lage sind, selber etwas zu erwirtschaften. Unsere Tüchtigkeit, unsere fleißigen Leute, unsere vielen Anwälte zum Beispiel, die verhandeln zwischen Rom und Hamburg - ein Beispiel nur -, die sind diejenigen, die das Land erfolgreich gemacht haben.
    "Die EU kann sich noch nicht um regionale Probleme kümmern"
    Heuer: Herr Messner, uns rennt die Zeit ein bisschen weg und ich möchte Ihnen diese Frage gerne stellen: Sie sagen, Madrid muss den Katalanen etwas mehr Spielraum geben, vor allen Dingen finanziell. Finden Sie auch, dass die EU - oder jemand anders - jetzt vermitteln muss und dass Madrid das zulassen muss?
    Messner: Nein, das ist ein internes spanisches Problem, so wie auch Südtirol ein internes italienisches Problem ist. Die EU ist noch nicht so weit, dass sie sich um diese regionalen Probleme kümmern kann. Die EU wird das früher oder später machen müssen, aber wir sind ja stehen geblieben in den letzten Jahrzehnten. Es hat sich ja fast nichts mehr getan in der EU. Jetzt haben wir Vorschläge auf dem Tisch von Macron. Es könnte sein, dass sich jetzt langsam wieder etwas in Bewegung setzt. Jedenfalls ist es ganz sicher: Wenn wir Europäer nicht zusammen bleiben, dann werden wir alle Kraft nach außen hin verlieren. Wenn wir Europäer es nicht schaffen, dieses Friedensprojekt zu Ende zu bringen, dann sind wir ungeschickt und dumm. Und alle die Gruppierungen, die die EU auflösen wollen, sind auf dem Holzweg.
    Heuer: Herr Messner, wir müssen zum Ende kommen. - Der Bergsteiger und Südtiroler Reinhold Messner im Interview mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank!
    Messner: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    (*) In einer ursprünlichen Version war das Transkript an dieser Stelle fehlerhaft.