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Reise durch die Museen der russische Provinz

Die meisten Werke der sogenannten Beutekunst, die von Russen im Zweiten Weltkrieg als Trophäen in Deutschland erbeutet wurden, fanden den Weg in die Museen. Kerstin Holm, die Kulturkorrespondentin der FAZ in Moskau hat sich auf den Weg gemacht - und die Bilder aus Potsdam, Dresden und Berlin in Tula, Nowgorod und Irkutsk aufgespürt. Anastassia Boutsko stellt ihr Buch "Rubens in Sibirien " vor.

28.07.2008
    Am Anfang war die Schönheit. Die Schönheit der Ikonen und Bilder hat erst die deutschen, dann die russischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg zum Raub verführt. Indem sie die Kunstobjekte in ihren Tornister verstauten, taten sie nichts anderes als Zeus, der, zum Stier verwandelt, die Schöne Europa einst auf seinem Rücken davontrug. Man erwartet kaum, in einem Buch über Beutekunst eine derartig poetische Botschaft zu entdecken. In diesem Buch jedoch ist das der Fall. Kerstin Holm ist eine Auslandskorrespondentin, die ihr Berichterstattungsgebiet unermüdlich durchkämmt. Auf Ihren Reisen durch die Museen der russische Provinz, fand sie die Schönheiten - wie etwa Rembrandts Bathseba in der Städtischen Galerie im zentralrussischen Tula, - und stellte dabei fest, dass die Bilder

    dort völlig anders aussehen, eine völlig andere Wirkung entfalten als in den westlichen Museen. Und auch auf eine sehr interessante Weise in Dialog treten mit der in dem gleichen Gebäude hängenden russischen Kunst. Wenn man dieses Bild in Potsdam sehen würde, würde man denken, das ist ein Schulwerk aus dem Oeuvre eines Großproduzenten. Und dort, in Tula, wo man durch verwahrloste Holzhaussiedlung erst mal hinkommt, in dem Kontext russischer Ikonen und Landschaftsmalerei, sieht es aus wie ein kultureller menschlicher Selbstausdruck von einem ungeheueren, fast orchideenhaften Formenreichtum und einer unerhörten Subtilität - das einem beinahe vorkommt wie das Gewächs aus einer Art tropischen Regenwald der Weltkultur.
    So muss Bathsebea auch ihrem Entführer vorgekommen sein, einem kriegsmüden russischen Unteroffizier im Jahre 1945.
    Es ist unmöglich, nach über 60 Jahren Frieden diesen Teil des Kriegsalltags mit heutigen Maßstäben beizukommen. Das versucht Kerstin Holm erst gar nicht. Stattdessen entdeckt sie in den Handlungen der Marodeure das ewig Urmenschliche:

    Die unbekannten Plünderer verewigten sich durch die Visitenkarte ihres erotischen Geschmacks. Als die Kuratoren der Dresdner Staatsgalerie nach dem Krieg die Verluste der graphischen Sammlung inventarisierten, stellten sie fest, dass die barbusigen Frauen nahezu alle weg waren. Auch andere Sammlungen vermissten nach den Plünderungen vor allem nackte Weiblichkeit.

    Denkt man an die Massenvergewaltigungen der Nachkriegswochen, so findet man den Kunstgeschmack der Sieger eigentlich weniger rührend. Jedoch: der rote Faden des erotischen Verlangens, das die Furie der Gewalt heraufbeschwört, zieht sich auch durch die geraubten Werke - Bathseba wurde von David geschwängert, Lukrezia von Tarquinius vergewaltigt. Das "Frauenbad" von Dürer schmückte - wie eine Galionsfigur - einen russischen Panzer.

    Die Autorin überzeugt aber nicht in erster Linie mit der Aneinanderreihung von Anekdoten, sondern mit ihrem Fachwissen. Sie war nämlich vor 15 Jahren die erste Journalistin überhaupt, die sich mit dem bis dahin tabuisierten Thema "Beutekunst" auseinandersetzte - wie der in Köln lebende russische Historiker Grigori Kozlov, der "Hauptchronist des Beutekunststreites", bestätigt:

    "Kerstin Holm war die erste Person, mit der ich - damals ein Museumsmitarbeiter - über die Beutekunst gesprochen hab. Es war niemand außer Kerstin Holm aus Deutschland, wer mit mir gesprochen (hat). Es war wie ein Tabu."
    Manche Passagen über die geraubten Schönen lesen sich wie kleine Detektivgeschichten: etwa die über "Lukrezia" von Rubens, die von einem gewissen Kapitän Dorofejew gefangen genommen wurde. Das prachtvolle Gemälde, das zuvor in Potsdam zu Hause gewesen war, zeigt die nackte Römerin in dem Moment, als ihr Vergewaltiger Tarquinius nach dem Tuch greift, das sie über ihre Scham zieht. Nach dem Tod ihres Entführers wurde das "unanständige Bild" von Dorofejew`s Witwe in einen Hühnerstall verbannt. Anfang der 90-er Jahre verkaufte die Offizierstochter das halbverweste Erbstück für 800 Dollar an einen Kunsthändler und setzte damit einen mittleren deutsch-russischen Skandal in Gang. Auch heute noch gehört das Bild einem dubiosen, ehemaligen Öl-Unternehmer, der immerhin seine Exposition in der Sankt Petersburger Eremitage bewilligt hat.
    Beutekunst ist ein Leitfaden, nicht aber der einzige Erzählstrang dieses Buches: Nebenbei bekommt man auch die Geschichte der russischen Malerei erzählt - jener zarten Pflanze, die, einst aus dem Westen exportiert, es recht schwer auf frostigem Boden hat:

    Für mich steigerten Reisen durch die russische Provinz den Wert der russischen Kunst. Als Kulturkorrespondentin versuchte ich, das Land anhand von Gemälden und Gemäldesammlungen zu verstehen, die das beleuchten, was Russland ausmacht - armselige Unendlichkeit.
    Dem pompösen Mythos von der "großen russischen Kultur" setzt Kerstin Holm ein viel differenzierteres Bild entgegen, das die wahre Größe dieser Kultur, die sich immer wieder dem Druck von allen Seiten widersetzen musste, zeigt. Mit diesem Buch in der Hand möchte man sich am liebsten auf den Weg in die russische Provinz machen. Das wäre auch die bislang einzige Möglichkeit, die Schönen zu sehen: Denn von einer Rückgabe an Deutschland ist derzeit keine Rede. Juristische Rechthaberei der deutschen Seite und das Pochen der Russen auf ihr moralisches Recht als Opfer und Sieger des zweiten Weltkriegs führten die Verhandlungen über eine Rückführung der geraubten Kunst in eine ausweglose Sackgasse. Aber: gibt es sie wirklich noch, diese "Beutekunstproblematik"? Wenn die Bilder gepflegt und ausgestellt werden - müssten "die Orchideen" dann nicht eigentlich da bleiben, wo sie auch wie Orchideen strahlen, und nicht als Mauerblümchen erscheinen?

    "Dieses Gefühl kann man tatsächlich haben. Ich war jetzt vor kurzem unterwegs in diesen Provinzmuseen - außer Tula auch in Irkutsk, mit einer ganzen Gruppe von Museumsleuten und Journalisten aus Dresden und Berlin. Und die hatten tatsächlich fast den Eindruck, dass diese Werke, die in Berlin und Potsdamm sich vielleicht gut integrieren würden, aber auch etwas untergehen würden oder sogar im Magazin landen würden, die bilden hier, in diesen Provinzsammlungen, die Glanzstücke."
    Gehört Rembrandt also für immer nach Tula und Rubens nach Sibirien? Wer weiß. Aber es geht ja auch nicht ausschließlich um die Bilder - die werden das politische Gezerre schon überleben. Es geht auch um die menschliche Würde der Soldaten, die die Schönheiten entführten. Und es geht um den Sinn von Kunst:

    Die Konjunkturwelle der Ökonomie hat den Wert von Kunst im Allgemeinen und russischer Kunst im Besonderen gesteigert, ihn aber auch in ein großes Nullenspiel verwandelt, bei dem in den Augen der Liebhaber die Dollar - oder Eurozeichen sich viel schöner spiegeln als der Goldstaub auf der Taille von Lukrezia oder Bathseba. Die Lichtspur zu sehen, der die Maler folgen, fällt vielen glücklichen Nachgeborenen schwerer als jenen schlichten Männern, deren Tage nicht wiederkehren.

    Schönheit, von Soldaten entführt. Anastassia Boutsko mit einer Empfehlung für das Buch von Kerstin Holm mit dem Titel: Rubens in Sibirien. Beutekunst aus Deutschland in der russischen Provinz, erschienen im Berlin Verlag, 128 Seiten kosten Euro 19,00.