Freitag, 19. April 2024

Archiv


Reise in die Untiefen des Lebens

Javier Bardem, für viele der schönste Depressive des internationalen Kinos, ist wieder da: In Alejandro Gonzáles Inárritus neuem Film "Biutiful". Als Kleinganove Uxbal steht Bardem zwischen großen Verbrechern, kleinen Opfern und finalen Entscheidungen.

Von Josef Schnelle | 10.03.2011
    Das Leben ist ein krummes Ding. Nicht immer führt der gerade Weg zum Ziel. Gute Absichten können böse Konsequenzen haben. Die Last der Probleme kann einen erdrücken. Ein Kinderlachen kann aber den Ausweg aus einer verzweifelten Situation zeigen.

    In Barcelona verzweifelt Javier Bardem als kleiner Dealer an der Aufgabe, in all seinem Elend auch noch alleinerziehender Vater zu sein. Die Mutter der Kinder schaut jedenfalls nur zwischen zwei Drogenexzessen mal vorbei. Um die Figuren herum brodelt die Metropole Barcelona mit illegalen chinesischen Arbeitern, die wie Sklaven in einem Schuppen gehalten werden und Afrikanern, die Handtaschen und Sonnenbrillen verkaufen, jedenfalls bis zur nächsten Polizeirazzia.

    "Die Bullen kommen. Packt euer Zeug."

    Ganz nah am Leben ist die Kamera in diesem Film an den Ereignissen ebenso wie an Hauptdarsteller Javier Bardem. Dem mexikanischen Regisseur Alejandro Gonzales Iñárritu ist ein schneller, wilder Film gelungen, der die Widersprüche in seinen Figuren ausbreitet, zuspitzt und die Gesellschaft analysiert, die sie antreibt, genauso und nicht anders zu handeln.

    Nach seinen Filmen "Babel", "Amores perros" und "21 Gramm", löst sich Iñárritu in seinem neuen, schon vor einem Jahr in Cannes als Meisterwerk gehandelten Film ganz von der Erzählung in Splittern und Fragmenten, die sein Werk bis dahin charakterisierte. Diesmal steht eine einzige Figur im Mittelpunkt. Es gibt nur einen Ort - Barcelona.

    Heute - fast in Echtzeit vollzieht sich das Drama von Uxbal, der alles tut, um die Ansprüche zu erfüllen, die an ihn gestellt werden. Als Kleinganove zwischen den großen Verbrechern auf der einen und den kleinen Opfern auf der anderen Seite tut sich Uxbal sogar als Vermittler hervor. Er ergreift Partei für die illegalen chinesischen Gastarbeiter, die in eine kalte leere Fabrikhalle gepfercht worden sind.

    "Uxbal: "Es geht nicht, dass ihr die Leute so kaputt macht. 16-Stunden-Schichten. Das geht nicht. Das ist Ausbeutung." - "Wisst ihr eigentlich, was sie in China kriegen. Millionen Chinesen würden Schlange stehen, um Dir den Schwanz zu lutschen." - "ich war´s, der für Dich Deine Knete ausgehandelt hat und zwar für alle. Wenn ich sehe, wie sie eingepfercht sind. Kein Problem. Ich krieg meine 50 Prozent. Die stehen mir nämlich zu.""

    Ausgerechnet die beste seiner Taten, bei der er auf eigene Kosten ein paar Heizpilze in die Halle schafft, damit sich die Kälte für die Kinder in Grenzen hält, löst eine unerwartete Katastrophe aus. Die Welt des Illegalen, der kleinen und großen Verbrechen wird immer mehr zu einem archaischen Schlachtfeld der großen Gefühle. Wie in einem christlichen Passionsspiel lastet die ganze Schuld der Welt auf diesem kleinen Mann, der die wenigen Möglichkeiten, die er hat, zum Wohle aller zu nutzen versucht. Die schwerste Bürde erwartet ihn aber noch. Er habe nur noch wenige Wochen zu leben, verkündet ihm seine Ärztin, die sich auch darum sorgt, dass Uxbal nicht vor den letzten Dingen davonläuft.

    "Ärztin: "Hast du Ordnung geschaffen?"
    Uxbal: "Ich glaub schon."
    Ärztin: "Bist Du bereit zu gehen?."
    Uxbal: "Ja ich glaub schon."
    Ärztin: "Bring Deine Sachen in Ordnung Uxbal. Lass nichts ungeklärt. Uxbal: "Ich will noch nicht sterben, Bea. Ich kann unmöglich meine Kinder allein lassen. Davor hab ich Riesenangst."
    Ärztin: "Denkst Du, Du bist derjenige, der sich um sie kümmert. Sei nicht naiv Uxbal, das Universum kümmert sich um Deine Kinder." Uxbal: "Kann das Universum auch die Miete zahlen?""

    Es ist nicht nur Javier Bardem zu verdanken, dass dieser Film eine ganz besondere Reise in die Untiefen des Lebens geworden ist. Schuld und Sühne, ernsthafte Anstrengung, grandioses Scheitern. Nur in den Filmen von Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman und Luis Buñuel findet man eine derartig konsequente Versenkung ins Spirituelle.

    Iñárritu wirkt mit diesem Meisterwerk wie ein Filmregisseur aus einer anderen Zeit, als das Kino bizarre Bildwelten und gewagte Thesen noch nicht scheute. Ganz großes Kino ist deshalb dieser Film. Kino im Wortsinne. Eine innere Bewegung der besonderen Art.

    Der Titel des Films bezieht sich übrigens auf einen lyrischen Romanauszug des japanischen Autors Haruki Murakami aus "Kafka on the shore" der davon erzählt wie man aus dem Sturm der Seele wieder unversehrt herauskommt - stärker und schöner nämlich - eben beautiful. Wie man das schreibt, das diktiert Uxbal seinem Sohn ohne zu zögern ins Notizbuch.

    Sohn: "Papa, sag mal wie schreibt man beautiful?"
    Uxbal: "So wie man´s spricht."
    Sohn: "Mit "I"?"
    Uxbal: "B-i-u-t-i-ful"