Reisetagebuch Tag 8

Geradezu ohrenbetäubender Lärm hebt an, als Ingela Jansson den Motor ihres Jeeps startet. Das Auto hört sich an wie ein Riesentraktor aus vorsintflutlicher Zeit. Wir sitzen ziemlich beengt, denn das Auto ist vollgestopft mit Geräten. Ingela ist Mitarbeiterin von "Lionresearch", dem Löwenforschungsprojekt, oder auf Suahili "Utafiti wa Simba" und führt in der Gegend von Seronera eine Langzeitbeobachtung der Löwen durch.

Von Dagmar Röhrlich | 05.12.2007
    Insgesamt 3000 Löwen gibt es im Nationalpark und 400 davon werden von Ingela beobachtet, denn sie leben in dem rund 3500 Quadratkilometer großen Herzstück des Parks. 250 Weibchen haben ein Sendehalsband verpasst bekommen. Mit seiner Hilfe kann sie sie aufspüren, sobald sie in die Reichweite der Antenne auf dem Dach kommen. Eine der Löwinnen, die uns auf der Station der Frankfurter besuchten, trug auch ein solches Halsband. Heute haben wir zunächst kein Glück. Dafür kommen wir an dem havarierten LKW vorbei, der schon seit Tagen die Hauptstraße blockiert. Viel hat sich noch nicht getan, die Achse ist immer noch gebrochen und die Besatzung hockt im Schatten des Fahrzeugs und wartet. Inzwischen haben die Männer Probleme mit der Verpflegung und wir geben ihnen Lunchboxes und vor allem Wasserflaschen ab.

    Um das Hindernis zu umfahren, müssen wir von der Straße herunter und über den Savannenboden. Ingela macht ein ernstes Gesicht, denn ihr Auto hat seit gestern morgen ein gebrochenes Chassis, und in der Werkstatt hatte man noch keine Zeit für sie. Die Löwenforscher setzen ihren Tieren in der Regel querfeldein hinterher und das kann die Autos ganz schön beanspruchen. Weil das so ist, gesteht man ihnen eigentlich immer nur die ältesten Fahrzeuge zu – und das hier hat offenbar eine Schwachstelle. Aber – Ingela ist geschickt und wir können unsere Suche nach den Löwen fortsetzen.

    Die Löwen in Seronera haben den besten Platz der ganzen Serengeti. Hier gibt es immer Jagdwild, denn Zebras, Thomsongazellen, Impalas oder Topis bleiben rund ums Jahr in großer Zahl in den Gras- und Buschlandschaften am Seronera-Fluss. Und dann bricht noch einmal im Jahr das Schlaraffenland aus – zumindest für Raubtiere. Dann kommen die Gnus auf ihrem Treck hier vorbei. 1,2 Millionen Tiere ziehen durch die Gegend, unterwegs auf ihrer Wanderung immer dem Wasser und dem saftigen Gras hinterher. Die Gnus beschreiben einen riesigen Kreis vom Süden der Serengeti bis hinauf zum Mara-Fluss oben in Kenia und wieder zurück. Damit schöpfen sie die Ressourcen der Serengeti bestmöglich aus. Sie sind diejenigen, die das Ökosystem am Leben erhalten. Sie sorgen dafür, dass das Gras beim Beginn der Trockenzeit kurzgefressen ist und deshalb nicht gut brennt. Sie düngen mit ihrem Kot den Boden, der sonst ziemlich unfruchtbar wäre, weil dicht unter dem Boden eine undurchdringliche Sperrschicht aus aufgelösten und wieder ausgefällten vulkanischen Mineralen die Pflanzenwurzeln behindert. Und nicht zuletzt sind sie für die 3000 Löwen und 7000 Hyänen eine üppige Nahrungsquelle.


    Zurzeit sind die Gnus oben im kenianischen Norden, deshalb speisen die Löwen in Seronera vornehmlich Zebra. Anders als ihre Artgenossen in den Randgebieten der Serengeti brauchen sie den Gnus nicht hinterherzuwandern, dafür machen sie allerdings hin und wieder Expeditionen, wenn der Treck der Antilopen in benachbarten Gebieten ist. Immer wieder dreht Ingela mit dem Auto einen Kreis, damit die feststehende Antenne den gesamten Horizont abtasten kann. Doch heute scheinen wir kein Glück zu haben. Also erzählt Ingela von Porky, dem erfolgreichsten Löwen der Gegend. Porky und sein Bruder Pie sind vor Jahren in das Seronera-Gebiet eingewandert und haben schnell die Herzen der anwesenden Damen erobert. Ingela kann das nicht ganz nachvollziehen, denn sie findet, dass Porky der hässlichste Löwe weit und breit ist. Er habe eng zusammenstehende grüne Augen und sehe aus wie ein Schweinchen. Das hat er auch an seine Nachkommen weitergegeben, und von denen gibt es wirklich viele in Seronera.

    Pie ist schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen worden, daher gehen die Löwenforscher davon aus, dass er tot ist. Doch Porky liegt gerne in all seiner beeindruckenden Hässlichkeit mitten auf der Straße und sieht partout nicht ein, dass er seinen Ruheplatz für ein paar laute Blechbüchsen auf Gummireifen räumen soll. Porky hat keine Angst vor Autos, deshalb bleibt den Fahrern nichts anderes übrig als einen großen Bogen um den Löwenmann zu machen. Leider lässt sich Porky heute nicht blicken. Doch kurz bevor wir aufgeben und zurück in die Station fahren wollen, fängt Ingela doch noch ein Signal ein. Es gehört einer der Herzdamen Porkies. Wir fahren auf ein Signal zu und finden die Trägerin des Halsbands mit ihrem Jungen direkt hinter der nächsten Straßenbiegung. Und natürlich sind schon die ersten Touristen da, um die beiden zu bewundern.

    Hinweis: Das Hörfunkfeature "Grzimeks bedrohtes Erbe" können hier nachlesen.
    Löwin im Abendlicht der Serengeti.
    Löwin im Abendlicht der Serengeti. (Dagmar Röhrlich)
    Löwenkinder begegnen den Touristen mit großen neugierigen Augen.
    Löwenkinder begegnen den Touristen mit großen neugierigen Augen. (Dagmar Röhrlich)
    Zwei Zebrabullen kämpfen miteinander.
    Zwei Zebrabullen kämpfen miteinander. (Dagmar Röhrlich)
    Nach einem ausgiebigen Zebralunch lümmelt ein Löwenjunges herum.
    Nach einem ausgiebigen Zebralunch lümmelt ein Löwenjunges herum. (Holger Kroker)