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Rekord-Steuereinnahmen
"Nicht schon alles Geld verteilen"

Einen Abbau der kalten Progression wird es vorerst nicht geben: Eine Reihe anderer Projekte der Großen Koalition hätten eine höhere Priorität, sagte Ralph Brinkhaus (CDU), Mitglied im Bundestagsfinanzausschuss, im Deutschlandfunk.

Ralph Brinkhaus im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.04.2014
    Diverse Quittungen und Rechnungen werden mit dem Taschenrechner zusammengezählt und in ein Haushaltsbuch eingetragen.
    Die "kalte Progression" bewirkt, dass der Einkommensteuersatz Lohnerhöhungen aufzehrt. (dpa picture alliance / Robert Fishman)
    Die rekordverdächtigen Steuereinnahmen im März seien zwar erfreulich, sagte Brinkhaus im DLF. "Wir sollten jetzt allerdings nicht anfangen, schon alles zu verteilen, weil wir nicht wissen, wie lange die Geschichte anhalten wird und dementsprechend sollte man mit Forderungen vorsichtig sein."
    Erst wenn für das Haushaltsjahr 2015 definitiv keine Schulden aufgenommen werden müssen und erst wenn weitere Projekte realisiert wurden, auf die die SPD poche, etwa der Kita-Ausbau und die finanzielle Entlastung klammer Kommunen, dann werde sich die Große Koalition auch einem Abbau der kalten Progression widmen können, sagte Brinkhaus. "Wenn dann noch haushaltspolitische Spielräume verbleiben, dann sollten wir über die Bekämpfung der kalten Progression nachdenken und nicht nur nachdenken, sondern die ganze Sache auch umsetzen."
    Die kalte Progression bezeichnet das Phänomen, dass ein Arbeitnehmer bei einer Gehaltserhöhung mehr Steuern zahlen muss, die Inflation aber gleichzeitig einen Teil des Lohnanstiegs entwertet. Das real verfügbare Einkommen kann durch den Effekt sogar sinken.

    Christiane Kaess: Zu diesem Thema hat gestern Abend mein Kollege Tobias Armbrüster mit Ralph Brinkhaus gesprochen. Der CDU-Politiker ist Mitglied im Finanzausschuss des Bundestages. Tobias Armbrüster hat Ralph Brinkhaus zuerst gefragt, ob gestern ein guter Tag dafür war, um den Abbau der kalten Progression anzukündigen.
    Ralph Brinkhaus: Erst mal ist es ein guter Tag, weil die Steuereinnahmen sprudeln, das heißt nämlich, dass es der Wirtschaft gut geht und dass viele Leute in Beschäftigung sind. Und darüber sollten wir uns freuen. Wir sollten allerdings jetzt nicht anfangen, das alles schon zu verteilen, weil wir wissen auch nicht, wie lange die ganze Geschichte anhalten wird, und dementsprechend sollte man mit Forderungen etwas vorsichtig sein.
    Tobias Armbrüster: Herr Brinkhaus, ich will Ihnen mal kurz einen Satz vorlesen: "Wir wollen, wenn wir die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten haben, die kalte Progression abmildern." Kommt Ihnen der bekannt vor?
    Brinkhaus: Der kommt mir sehr bekannt vor, weil das ist nämlich der Wille der Union, dass wir die kalte Progression abmildern wollen.
    Armbrüster: Das haben Sie vor genau drei Wochen gesagt. Ich meine, ist das jetzt nicht der Moment, wo die finanziellen Möglichkeiten da sind, um so was anzufassen?
    Freude über schwarze Null
    Brinkhaus: Na ja, wir sind ja erst mal froh, dass wir im Haushalt die schwarze Null hinkriegen werden 2015. Und das ist eigentlich unser prioritäres Ziel immer gewesen, das hinzukriegen. Wir haben zusammen mit der SPD einige Projekte vereinbart, die auch Geld kosten, die wir durchführen möchten. Das fängt beim Kita-Ausbau an und hört bei der Unterstützung der Kommunen auf. Und wenn dann noch haushaltspolitische Spielräume verbleiben, dann sollten wir auch über die Bekämpfung der kalten Progression nachdenken, und nicht nur nachdenken, sondern die ganze Sache auch umsetzen. Aber wie gesagt, also, als oberstes Ziel steht erst mal die schwarze Null, und das wollen wir auch erreichen, ohne dass beispielsweise Steuern erhöht werden. Weil viele Menschen, die über die Abmilderung der kalten Progression sprechen, die haben im Hinterkopf, dass man das gegebenenfalls durch Steuererhöhungen an anderer Stelle finanzieren kann, und das läuft mit uns nicht.
    Armbrüster: Ja gut, aber ich meine, Sie nehmen ja jetzt zusätzliches Geld ein. Da wäre ja durchaus Spielraum da.
    Brinkhaus: Na ja, das wird sich dann zeigen, wenn wir den Haushalt für das Jahr 2015 machen, wie viel Spielraum da ist, wie nachhaltig und wie belastbar die ganze Geschichte ist, und noch mal, an erster Stelle steht die Haushaltskonsolidierung, und wenn uns dann haushaltspolitische Spielräume verbleiben, dann geht es also auch an die kalte Progression. Aber eines ist ja auch sehr komisch: Wir haben im Bundestagswahlkampf vor einem dreiviertel Jahr geführt, wo ganz, ganz viele, die SPD, die Grünen, die Linken gesagt haben, also wir brauchen eigentlich Steuererhöhungen, das reicht alles noch nicht, was wir einnehmen. Und jetzt führen wir eine Diskussion, die geht genau andersherum, wo gesagt wird, jetzt führen wir Steuersenkungen – also besonders nachhaltig ist das alles nicht, was da so diskutiert wird.
    Armbrüster: Aber wenn Sie sich jetzt als der Mann positionieren oder profilieren wollen, der das Geld trotz dieser höheren Steuereinnahmen so schön beisammen halten will, warum hauen Sie es dann an anderer Stelle für Wahlgeschenke wieder raus, zum Beispiel für die Mütterrente oder für die Rente mit 63.
    "Das sind Wahlgeschenke"
    Brinkhaus: Na ja gut, das sehen die Betroffenen jetzt ganz anders. Dass das also Wahlgeschenke sind. Das sind auch Vereinbarungen, die getroffen worden sind im Koalitionsvertrag. Es ist im Übrigen auch, das erlebe ich immer wieder in Gesprächen auch in meinem Wahlkreis. Es wird von ganz, ganz vielen Menschen auch unterstützt. Da kann man jetzt drüber denken, was man will. Aber das sind in der Tat auch Belastungen, die wir für die Zukunft haben. Das sind ja jetzt nicht Dinge, die uns heute wehtun, sondern das sind Dinge, die uns in Zukunft wehtun. Umso wichtiger ist es, dass wir an anderer Stelle den Haushalt in Ordnung bringen, weil ein Haushalt, der nicht in Ordnung ist, gegebenenfalls eine Steuersenkung durch neue Schulden auf der einen Seite und auf der anderen Seite eine zusätzliche Belastung der Sozialversicherungssysteme, das ist nun wahrlich nicht generationengerecht.
    Armbrüster: Ja, aber Sie könnten jetzt zum Beispiel auch ankündigen, dass Sie Geld ausgeben für Dinge, die uns in Zukunft nicht wehtun, sondern die uns nützen. Anders als zum Beispiel eine Mütterrente oder eine Rente mit 63. So verdient diese Maßnahmen auch sein würden. Sie könnten zum Beispiel sagen, wir stecken das Geld in, sagen wir, Brückenbauprojekte, marode Straßen. Über die reden wir ja zurzeit sehr viel.
    Brinkhaus: Genau, über die wird ja auch insbesondere in Schleswig-Holstein sehr viel geredet. Das steht ja auch im Koalitionsvertrag drin, und in unseren prioritären Projekten, die wir on top zusätzlich draufsetzen, die 23 Milliarden Euro. Da steht zum Beispiel auch ein ganzer Batzen Geld drin für Infrastruktur. Das heißt, das wird hier auch gemacht, wir haben ja –
    Armbrüster: Aber wir hören ja in diesen Tagen, dass dieses Geld nicht reicht, dass es irgendwo ein Loch gibt und dass zusätzliches Geld her muss.
    "Geld effektiver und effizienter verwenden"
    Brinkhaus: Na ja, ich meine, wir müssen uns vielleicht auch mal drüber unterhalten, wenn wir uns gerade öffentliche Bauprojekte angucken, wie effektiv und effizient wir das Geld überhaupt ausgeben. Es wird immer gesagt, na ja, wir brauchen mehr Geld. Wenn man sich die Beispiele anguckt, ob das jetzt die Elbphilharmonie ist, ob das der Berliner Flughafen ist, aber auch viele Autobahnbauprojekte, da stellt man sich schon die Frage, können wir mit dem Geld, was da ist, nicht mehr erreichen. Wir haben Autobahnprojekte, wo ein Drittel und teilweise sogar mehr also überhaupt nicht in die Autobahnen reinfließt, sondern in Planungsmaßnahmen, in Ausgleichsmaßnahmen, in Umweltschutzmaßnahmen und ähnliche Geschichten. Und wie gesagt, wir müssen uns auch mal darüber unterhalten, wie wir das Geld effektiver und effizienter verwenden.
    Armbrüster: Das heißt, Sie wollen Subventionen abbauen?
    Brinkhaus: Das ist natürlich eine Daueraufgabe von der CDU, gerade von der CDU. Wir finden Subventionen also nicht sonderlich klasse, und auch das muss man immer wieder angehen. Nur die Leute, die jetzt sagen, ja, man kann doch jetzt also die Abmilderung der kalten Progression dadurch finanzieren, dass man Subventionen abbaut, die müssen dann auch mal vorlegen, welche Subventionen denn abgebaut werden sollen. Weil Subventionsabbau, da sagt jeder "Klasse!", aber wenn es dann um Subventionen geht, die man auch selber bekommt, dann ist die Begeisterung schon deutlich gesunken in der Regel.
    Armbrüster: Herr Brinkhaus, es bleibt aber jetzt irgendwie dieser Nachgeschmack. Wir kommen sozusagen von einer Rekordsteuereinnahme zur nächsten. Es scheint Deutschland wirklich gut zu gehen, das Geld fließt, es kommt rein. Und trotzdem hören wir nie von jemandem ernst zu nehmenden, wir gehen dieses Problem jetzt an mit der kalten Progression. Wann kommt das? Wann wird die kalte Progression abgemildert, wenn nicht jetzt?
    Brinkhaus: Ja, alles in der richtigen Reihenfolge. Und die Reihenfolge ist, Nummer 1, Haushalt konsolidieren. Das heißt, das ist eine Aufgabe, die wird uns in den nächsten Jahren noch ziemlich beschäftigen. Wir wissen auch nicht, wie die Steuereinnahmen sich in den nächsten Jahren entwickeln, und es ist das oberste Ziel der Union, haushaltspolitisch, dass wir die Nettokreditaufnahme auf Null drücken und dementsprechend auch was für die Generationengerechtigkeit tun. Aber wenn es dann zusätzlich noch haushaltspolitische Spielräume gibt, dann sind wir durchaus flexibel und können sagen, und jetzt gehen wir eigentlich an unser Lieblingsprojekt auch aus unserer letzten Legislaturperiode dran, die Bekämpfung der kalten Progression. Aber ich möchte auch noch mal an eines erinnern. Wir sprechen da schon sehr lange davon, und die Leute, die jetzt also besonders laut schreien aus den anderen Parteien, man muss da rangehen, die haben uns leider in den letzten vier und fünf Jahren nicht unterstützt.
    Armbrüster: Na ja, die sind jetzt – die waren damals in der Opposition. Die sind jetzt mit in Ihrer Regierung.
    Interessanter Paradigmenwechsel
    Brinkhaus: Ja, das ist interessant, dass da jetzt auf einmal dieser Paradigmenwechsel scheinbar einsetzt. Aber noch mal: Ich misstraue der Sache so ein bisschen. Viele Leute, die über die Abmilderung oder Bekämpfung der kalten Progression sprechen, die meinen damit Steuererhöhungen, und das war ja auch die eine oder andere Äußerung, die wir heute beispielsweise aus dem Lager unseres Koalitionspartners gekriegt haben, wo dann gesagt worden ist, ja prima, machen wir, und wir finanzieren das durch Steuererhöhungen. Und das ist linke Tasche, rechte Tasche, und ich weiß nicht, ob das nachhaltig ist.
    Kaess: Sagt Ralph Brinkhaus von der CDU. Er ist Mitglied im Finanzausschuss des Bundestages. Die Fragen stellte mein Kollege Tobias Armbrüster!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.