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Religiöser Fanatismus
Der wachsende Einfluss von Hasspredigern

Muslime ermorden Christen, Christen töten Muslime: Die Zentralafrikanische Republik ist das derzeit bedrückendste Beispiel dafür, wie brutal Anhänger verschiedener Religionsgemeinschaften gegeneinander vorgehen.

Von Marc Engelhardt | 26.03.2014
    Es sind erschreckende Meldungen, die seit Monaten aus der Zentralafrikanischen Republik dringen: Mehr als eine Million Menschen sind aus Angst um ihr Leben auf der Flucht, die Zahl der Toten geht in die Tausende. Und immer wieder spielt Religion eine Rolle. Muslimische Rebellen brennen die Häuser von Christen nieder, christliche Milizen vertreiben Muslime. Der Hass auf die jeweils Andersgläubigen wird bewusst geschürt, glaubt der kamerunische Anwalt Bernard Acho Muna, der derzeit gemeinsam mit zwei weiteren Experten im Auftrag der UNO Menschenrechtsverletzungen in dem Land untersucht.
    "Wir hoffen, dass unsere Anwesenheit und unsere Untersuchungen ein Signal an alle Hassprediger sein wird, aufzuhören und niemanden mehr aufzuhetzen – sie müssen wissen, dass sie sich andernfalls vor Gericht verantworten müssen."
    Das Schüren von religiösem Hass ist nicht nur ein Problem in der Zentralafrikanischen Republik. Das Phänomen nehme weltweit zu, warnt der UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, der Deutsche Heiner Bielefeldt. Dabei sei besonders wichtig, religiösen Hass nicht losgelöst von der Gesamtsituation zu betrachten.
    "Ich habe Überschriften gesehen, zum Teil auch in deutschen Zeitungen: Konflikt zwischen den Religionen – das erweckt den Eindruck, als seien die Konfliktursachen gleichsam in der Ferne zu suchen, in ewigen Differenzen zwischen Islam und Christentum. Und das führt ganz und gar in die Irre."
    Im Falle der Zentralafrikanischen Republik macht Bielefeldt zunächst ein umfängliches Staatsversagen für die Krise verantwortlich. Die Menschen hätten dadurch ihr Vertrauen in die öffentlichen Institutionen verloren.
    "Es entsteht ein Klima von Paranoia, wo Menschen sich sehr an bestimmte Gruppen halten und eine Gesellschaft zerfällt in Stämme, die es nie gab. Das gilt übrigens nicht nur für afrikanische Gesellschaften. Die Tribalisierung der Gesellschaft läuft dann teilweise unter religiösen Vorzeichen."
    Religiöse Gewalt bricht jedoch nicht plötzlich aus wie ein Vulkan. Das ist eine der Kernbotschaften des Berichts zum Thema Religionshass, den Heiner Bielefeldt jetzt dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegt hat. Religionshass sei immer menschengemacht. Staaten müssten ihm aktiv entgegen treten.
    "Es geht darum, Hass-Rede zu bekämpfen. Staaten haben dafür eine Verantwortung. Und die Verantwortung hat zwar auch ihre repressive Seite – Strafrecht – aber sie ist vor allem eine eher kreative Seite, also nicht durch Verbote zu reagieren, sondern durch bessere Kommunikation, faire Berichterstattung, interreligiöse Verständigung, Projekte, wo Menschen Grenzen überwinden."
    Wo Staaten religiöse Toleranz zulassen und fördern, so Bielefeldts Überzeugung, da wird Religionshass und Extremismus automatisch Einhalt geboten. Vorausgesetzt, die religiösen Führer nutzen ihre Freiheit verantwortlich. Denn dass auch sie eine Verantwortung dafür haben, Hassprediger in die Schranken zu weisen und radikale Strömungen in den eigenen Reihen zu bekämpfen, ist für Bielefeldt klar.
    "Das ist schon wahr, dass natürlich Religion auch ein aktiver Faktor des Konfliktgeschehens sein kann. Und deshalb ist es auch nicht gleichgültig, wie Religionsgemeinschaften ihre Botschaft formulieren – als eine der Inklusion oder der Ausgrenzung. Das ist keinesfalls gleichgültig."
    Religiöser Hass hat viele Gesichter – das hat Bielefeldt nicht zuletzt auf seinen Reisen feststellen müssen. Etwa in Indien, wo aus seiner Sicht religiöse Minderheiten systematisch eingeschüchtert werden: mit Übergriffen bis hin zu gezielten Massenmorden, an denen auch staatliche Institutionen beteiligt sein sollen.
    "Es gibt schon Teile des Staatsapparats, die aktiv mitmachen bei Hassakten oder zumindest eine Art Sympathie zeigen. Und das wird mir auch in Ägypten berichtet. In Gewaltakten gegenüber Minderheiten, das können Christen oder Bahais oder liberale Muslime sein – wo dann auch wieder Teile des Staatsapparats doch erstaunlich spät reagieren, wo dann doch der Eindruck manchmal entsteht, wir haben nicht nur Staatsversagen, sondern auch Stillschweigen oder halb zugestandene Sympathie mit Gewaltakten."
    Doch es gibt auch positive Beispiele. In Sierra Leone etwa, jenem westafrikanischen Land, das in den 1990er-Jahren einen der blutigsten Bürgerkriege auf dem Kontinent erlebt hat. Heute arbeiten Muslime wie Christen gemeinsam daran, die Gräuel der Vergangenheit zu überwinden – in interreligiösen Räten etwa, die Toleranz predigen und gemeinsame Friedens-Strategien schmieden.
    "Mehrheitlich Muslime, Minderheit Christen, aber auch die verschiedenen muslimischen Gruppen, Schiiten, Sunniten, Ahmadis, verschiedene christliche Gruppen arbeiten zusammen, um das Land wieder auf die Beine zu bringen, und haben durchaus auch immer mal die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass solche negativen Tendenzen – also religiöser Radikalismus – auch die Gesellschaft in Sierra Leone infizieren könnte."
    Schließlich liegt Nigeria mit seinen religiös motivierten Unruhen nicht weit entfernt. Doch die Strategie in Sierra Leone zeigt Wirkung und könnte auch für die Zentralafrikanische Republik hilfreich sein. Der UN-Menschenrechtsexperte Acho Muna jedenfalls setzt auch auf Gespräche mit Religionsführern.
    "Wir warten nicht darauf, dass es einen Völkermord gibt, sondern wir werden jeden Versuch darauf hinzuwirken, unterbinden. Wir werden dafür mit Religionsführern sprechen und mit Menschen in den Dörfern, mit jedem, der uns Informationen geben und helfen kann."
    Dass manche Imame und Bischöfe in der Zentralafrikanischen Republik inzwischen gemeinsam zu einem Ende der Gewalt aufrufen, darf als erstes positives Signal gewertet werden.