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Religion im Oman
Ein Islam der maximalen Toleranz

Schiiten und Sunniten kennt jeder. Aber Ibaditen? Fehlanzeige. Vielleicht weil sie nicht auffallen, es keinen Extremismus gibt in dieser islamischen Rechtsschule. Der Oman ist von dieser Strömung geprägt. Ibaditen gelten als tolerant und friedlich. Quasi die Verkörperung eines freundlichen Islam?

Von Werner Bloch | 11.07.2019
Die Sultan Qaboos Moschee in Maskat, Oman
Die Sultan Qaboos Moschee in Maskat, Oman (Sebastian Kahnert / dpa-Zentralbild / ZB)
Die Große Moschee von Maskat, der Hauptstadt des Omans. Ein prächtiger Bau mit wertvollen Teppichen, italienischem Marmor aus Carrara und Keramiken aus unterschiedlichen Teilen der islamischen Welt. Die Moschee ist nach Sultan Qabus benannt, der den Oman seit 1970 regiert. Diese Zentralmoschee der Ibaditen, eingeweiht 2001, ist einmalig in der islamischen Welt, erklärt der vom Religionsministerium bestellte Führer. Denn hier wird überkonfessionell gebetet:
"Wir sind alle Muslime, und wir sagen: Es gibt nur einen Gott. Die Menschen, die hier beten, kommen aus unterschiedlichen Glaubensrichtungen. Etwa 75 Prozent der Muslime im Oman sind Ibaditen, dazu kommen 20 Prozent Sunniten und rund fünf Prozent* sind Schiiten."
Sie alle – Ibaditen, Sunniten und Schiiten – beten hier einträchtig nebeneinander. Was immer die Muslime sonst trennt, hier im Oman, während des Gebets, spielt das keine Rolle. Sie sind alle vereint. Das gibt es nur im Oman.
Der Architekt und Archäologe Michael Jansen, Professor an der "German University of Technology" in Maskat, genießt die entspannte Atmosphäre:
"Die ibadische Moschee zeichnet sich aus durch Simplizität im Design, im Layout. Im Ibadismus hat man keine großen Minarette, sehen Sie das kleine Türmchen da, das ist da wo der Muezzin rauskommt, also Schlichtheit, keine Dekoration, so gut wie keine Betonung der kibla, der Gebetsrichtung, der Gebetsnische, und keine großen Minarette. Und sehr schön in der Architektur."
Religionsministerium mit 6.000 Mitarbeitern
Wer mehr über den Ibadismus erfahren will, für den gibt es keine bessere Adresse als das Religionsministerium im Zentrum der Hauptstadt. Über 6000 Männer und Frauen arbeiten hier, ein gigantischer Betrieb – und ein Hinweis darauf, welch große Rolle die Religion und das entsprechende Ministerium spielen – nicht nur zahlenmäßig.
Der Mann, der diese enorme Behörde regiert, heißt Abdullah al Salmi. Er ist seit 22 Jahren Religionsminister. Manche sagen, er sei der wichtigste Mann im Kabinett von Sultan Qabus ibn Said. Der Ibadismus ist identitätsstiftend im Oman. Es geht hier auch um Politik, Gesellschaft und die Verankerung in der Region. Man könnte sagen: der Ibadismus ist das Herz der omanischen Kultur. Der Religionsminister Abdullah al Salmi:
"Wir glauben im Islam an alle Religionen. Wir glauben an Jesus und an Moses – wer als Moslem nicht dazu steht, der ist kein echter Moslem. Alle abrahamitischen Religionen gehören zum Islam. Deshalb nennen wir unsere Behörde auch nicht Ministerium für islamische Angelegenheiten. Wir sprechen lieber vom Religionsministerium. Denn sonst würden wir die anderen Religionen herabsetzen. Und das würde unserem Glauben und unserer Praxis widersprechen."
Werte als oberstes Gebot
Mit seinem weißen Bart und dem weißen Turban wirkt der Minister freundlich und reserviert zugleich. Abdullah Al Salmi stammt aus einer Familie berühmter Gelehrter und ist selbst ein hoher Religionsgelehrter. Von Anfang an macht er dem Besucher deutlich, worauf es ihm in der Religion ankommt: auf moralisches Verhalten.
"Es geht um Ethik. Werte, Werte, Werte – die Werte sind das Wichtigste im Leben. Und das ist das, woran wir hier arbeiten. Der Prophet ist vor allem über seine Werte zu uns gekommen. Die Botschaft in diesem Ministerium sind Werte, Werte, Werte."
Ibaditen beschimpft als Ungläubige
Dieser Primat der Ethik erinnert an das "Projekt Weltethos" des Theologen Hans Küng. Und tatsächlich hat es Begegnungen zwischen Küng und Abdullah Al Salmi gegeben. Küng sieht im Ibadismus das Gegenstück zum gewalttätigen Islamismus, wie er so häufig in den Medien vorkommt.
Doch die Betonung der Ethik im Ibadismus wird nicht überall goutiert. Den strengen saudischen Wahhabiten sind die Ibaditen mit ihren Freiheits- und Verantwortungsgedanken ein Dorn im Auge. Manche Wahhabiten beschimpfen die Ibaditen deshalb als Häretiker, als Ungläubige und sogar als "Hunde".
Für das kleine Volk der Omani neben dem übermächtigen saudischen Nachbarstaat ist das nicht ungefährlich. Tatsächlich versucht Abdullah Al Salmi die Wahhabiten in Interviews und Reden nicht allzu sehr zu reizen, er drückt sich gern diplomatisch verklausuliert aus.
Vielleicht gibt Al Salmi ja auch deshalb höchst ungerne und selten Interviews. Es ist dem Religionsminister bei aller Beherrschung und Freundlichkeit anzumerken, dass er sich zum Gespräch fast zwingen muss. Es werden Tee und Datteln serviert.
"Wenn wir eine Religion untersuchen, geht es niemals darum, diese Religion und ihre Anhänger zu beurteilen, etwa festzustellen, ob sie gut oder schlecht sind. Wir wollen keine oberflächlichen Urteile über andere Religionen fällen. Wir müssen die Basis jeder Religion freilegen. Und das obliegt den Spezialisten, den Wissenschaftlern und Theologen."
"Wir haben keine Feinde"
Der Ibadismus geht zurück auf den frühislamischen Bruch zwischen Sunniten und Schiiten. Die Ibaditen sehen sich als "Familie der Aufrechten". Ihr Name geht zurück auf den Gelehrten Abdulla Ibn Ibad al-Murri al-Tamimi. Die Anfänge der Gemeinde liegen am Ende des siebten Jahrhunderts in Basra. Von dort brachen Missionare auf, vor allem nach Südarabien, aber auch nach Ägypten und Nordafrika. Der Auftrag: ibaditische Gemeinden zu gründen. Noch heute gibt es in Tunesien, Algerien und Libyen solche Gemeinden.
Die meisten ibaditischen Missionare waren Händler, sie kombinierten Geschäft mit religiöser Überzeugungsarbeit. Die Omani gelten seit jeher als clevere Geschäftsleute. Der Ibadismus als sanfter und toleranter Islam ist verbunden mit dem Schiffshandel. Die Händler durchquerten den Indischen Ozean, kamen bis nach China oder entlang der afrikanischen Küste bis nach Sansibar. Mit Afrika gab es auch einen regen Sklavenhandel, was gern verschwiegen wird.
"Wir haben 1600 Kilometer Küste am Indischen Ozean. Das prägt unsere Kultur. Wir leben an diesem Ozean, wir heiraten und wir beten zusammen, und wir lernen von diesem Ozean. Wir als Seefahrervolk sind für alle anderen offen, aber der Kern unserer Identität ist die Gerechtigkeit. Wir haben keine Feinde. Wir haben viele Freunde in der Welt. Unser Sultan hat einmal gesagt: Ich will eine Karte sehen mit den Feinden Omans. Aber es gibt keine."
Entspannte Atmosphäre und keine Hochhäuser
Religiöse Toleranz, sagt Religionsminister Al Salmi, sei im Oman Staatsraison. Es sei verboten, Menschen welcher Religion auch immer zu beleidigen oder herabzuwürdigen. In den Schulen werde eine Art überkonfessioneller Islam gelehrt, der niemanden ausgrenzt.
Professor Michael Jansen, der seit Jahrzehnten in Maskat lebt(**):
"Die ibaditische Religionsform ist eine ganz frühe. Sie ist vor der Aufsplittung von Sunni und Schia, das kam später. Es gibt Sunni und Shia, das ist klar, aber das Schöne im Oman ist, dass man diese Unterschiede überhaupt nicht diskutiert."
Tatsächlich ist die Atmosphäre im Oman entspannt. Die Architektur ist historisch, dafür gibt es Gesetze und Bauvorschriften. Das ganze Land ist in seine Geschichte eingebunden, Hochhäuser wie in Dubai oder Riad sind hier nicht zu finden. Die Nachbarn in den Emiraten werden hier im Oman als geschichtslos, als oberflächlich und neureich empfunden.
Und doch treibt der Oman mit allen seinen Nachbarn Handel - auch mit Iran, das von anderen Staaten boykottiert wird.
Handel und Wandel als Mittel gegen politische, soziale und religiöse Spannungen? Oman erscheint wie das sichtbar gebliebene Überbleibsel eines alten, idealisierten Orients, einer nicht-fanatischen Welt, in der Zerstörung und Spaltung keine Rolle spielen.
Abdullah Al Salmi, der Religionsminister, fordert, Staat und Religionsgemeinschaften müssten getrennt sein. Er behauptet, Mohammed habe nie die Rolle eines politischen Führers innegehabt, ein "politischer Islam" sei ihm im Nachhinein übergestülpt worden – als Blaupause für den Islamismus.
"Wir müssen die Religion vor dem Staat schützen. Die Religion muss vom Staat unabhängig sein. Der Staat frisst alles auf, die Religion, die Ethik, je nach seinem jeweiligen Interesse, aber die Religion ist etwas anderes als der Staat."
Gegenprogramm zum Islamismus
Die Ibaditen unterscheiden sich von anderen islamischen Strömungen durch einige Traditionen: Imame werden frei gewählt. Die Idee: der nach Mehrheitsmeinung Fähigste soll Imam sein.
Das Fort von Nizwa in Nizwa, Oman
Das Fort von Nizwa in Nizwa, Oman (Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/ZB)
Die Hochburg des Ibadismus im Oman, ist die Oasenstadt Nizwa, rund zwei Autostunden südwestlich von Maskat. Ein Fort aus dem 17. Jahrhundert, umgeben von gewaltigen sandfarbenen Mauern. Friedlich ging es hier nicht immer zu. Im 17. und 18. Jahrhundert gab es Kriege mit den Portugiesen, aber auch inneren Zwist zwischen den ibaditischen Dynastien.
Nizwa blieb jedoch die Hauptstadt Omans und Hauptsitz der amtierenden Herrscher. Die Moscheen von Nizwa stammen aus der Anfangszeit des Islam im siebten Jahrhundert.
Der Ibadismus kennt ein umfangreiches Schrifttum. Bei der Entschlüsselung alter Texte haben deutsche Archäologen eine Rolle gespielt. Deutsche Wissenschaftler haben in die Interpretation historischer ibaditischer Texte eingegriffen und so langfristig geholfen, den Ibadismus in seiner aktuellen Ausprägung zu formulieren.
Aktuell bekennt sich Religionsminister Abdullah Al Salmi zu einer radikalen Freiheit, die im Islam möglich sei, wenn er in seinem Buch "Religiöse Toleranz. Eine Vision für eine Neue Welt", die Koran-Sure 10:99 zitiert:
"Hätte dein Herr gewollt, so würden alle auf der Erde gläubig werden, insgesamt. Willst du etwa die Menschen zwingen, dass sie gläubig werden?"
Oder Koran 18:29 :
"Wer will, der glaube, und wer da will, der bleibe ohne Glauben."
Das ist das Gegenprogramm zum Islamismus.
Al Salmi sagt, die islamische Welt brauche dringend eine Religionsreform.
Vor allem aber meint er, der Islam müsse weiterentwickelt werden, angepasst an den Fortschritt der Welt. Wenn der Islam in der Gegenwart verharre, würde er immer weiter zurückfallen.
(*) "Zahl korrigiert"
(**) Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung wurde fälschlicherweise behauptet, Professor Michael Jansen habe die Deutsche Universität im Oman aufgebaut. Wir haben den Fehler korrigiert.