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Religion in Videospielen
Ach, du heiliger Joystick

Seit es Computerspiele gibt, lassen sich religiöse Elemente in ihnen finden. Denn die Welt der Religionen bietet eine Fülle an Geschichten, Figuren und Konflikten, die sich bestens eignen für Unterhaltungsmedien. Doch vor allem in der unabhängigen Entwicklerszene geht der Trend in Videospielen zunehmend zu ernsten Themen.

Von Benedikt Schulz | 31.01.2018
    Screenshot aus "Fight of Gods" - Jesus und Buddha prügeln sich
    In "Fight of Gods" prügeln sich die Götter (PQube / Fight of Gods)
    Martialische Musik - Schrift wird eingeblendet: Die Götter sind im Krieg. Auf dem Bildschirm. Buddha kämpft: gegen Zeus, dann gegen Anubis und gegen Moses. Dann geht eine Sonne auf über dem Hügel Golgota - ein muskulöser Jesus reißt sich vom Kreuz und prügelt auf Buddha ein. Und man liest: "Er ist zurück und er ist kreuzwütend."
    Der Trailer zum Videospiel "Fight of Gods" - Kampf der Götter - stimmt ein auf ein bizarres Prügelspiel. Es versetzt die Spieler in die Rolle von Zeus oder Anubis, Odin oder eben auch Jesus. Und lässt diese dann gegeneinander antreten. Jeder von ihnen mit besonderen Fähigkeiten: Moses etwa, wenn auch streng genommen kein Gott, kann seinen Gegner verletzen, indem er die Steintafeln mit den zehn Geboten anruft. Christian Schiffer sagt:
    "Spiele haben ja so diese Fähigkeit, einen andere Rollen ausprobieren zu lassen, warum nicht die Rolle eines Gottes, mit all den Vorteilen und Nachteilen, die das mit sich bringen kann?"
    "Spielmechanisch kommt Religion wirklich dauernd vor"
    Der Spieler wird Gott - und das Spiel erklärt, wozu Religion gut sei.
    "Religion beeinflusst Ihr Imperium auf vielerlei Arten, aber ihr wesentlicher Nutzen besteht darin, dass sie Ihr Volk glücklich macht. Glückliche Bürger sind produktiver."
    Oliver Steffen sagt:
    "Und wenn man jetzt Religion aus dieser Sicht betrachtet, dann hat man es natürlich nicht mit einer religiösen Sicht auf Religion zu tun, sondern mit einer distanzierten, soziologischen und tendenziell eben auch religionskritischen Sicht."
    Der Schweizer Religionswissenschaftler Oliver Steffen forscht an der Schnittstelle zwischen Religion und Computerspielen – "Gamen mit Gott" heißt eines seiner Bücher. Seine Leitfragen: Wie wird das Thema Religion in Computerspielen behandelt? Und: Inwiefern können Computerspiele selbst zu religiösen Handlungen werden? Können sie zu religiösen Erfahrungen führen? Oliver Steffen beobachtet, …
    "… dass man sich in eine andere Welt, in eine andere Realität vertieft, aus dem Alltag heraus, das quasi auch wie eine Art Vision ist, die man hat, die zum Teil eben auch erinnert an Visionen in der Bibel, die die Propheten hatten. Man vertieft sich da in Welten, die auch mysteriös, numinos in einem gewissen Sinn sind."
    Christian Schiffer sagt:
    "Das Problem ist natürlich, dass die religiösen Texte mit sehr viel mehr Bedeutung aufgeladen sind, dass man vielleicht nicht so spielerisch dann mit diesen religiösen Urtexten umgehen kann."
    Der Münchner Journalist Christian Schiffer beschäftigt sich seit Jahren mit Computerspielkultur und mit der gesellschaftlichen Bedeutung von Games, unter anderem als Herausgeber des Magazins WASD.
    "Spielmechanisch kommt Religion wirklich dauernd vor. Was jeder Spieler kennt, ist, dass man in den Tempel geht, um sich zu heilen. Religion ist in vielen Spielen, so eine Art Reparaturbetrieb für sein Seelenheil, aber oft auch für sein körperliches Heil."
    "Ares: 'Zeus! Siehst du, was dein Sohn vermag! Du hast Athene bevorzugt, doch ihre Stadt liegt in Trümmern vor mir.'"
    "Religiöse Elemente tragen einfach zum Visuellen bei, das ist so, weil die religiöse, materiale Kultur einfach viel fürs Auge bietet."
    Von der griechischen Antike bis zum evangelikalen Amerika
    Seit es Videospiele gibt, lassen sich religiöse Elemente in ihnen finden. Die Welt der Religionen bietet ein Füllhorn an Geschichten, Figuren, Konflikten, überhaupt an ästhetischen Angeboten, die sich bestens eignen für Unterhaltungsmedien. Das gilt für Literatur genauso wie für Filme - und eben auch für Computerspiele.
    "Nach Jahrtausenden war die Büchse der Pandora wieder geöffnet, die Macht der Götter entfesselt. Ares: 'Du bist dennoch nur ein Sterblicher, schwach, wie an dem Tag, als Du um Dein Leben flehtest…'"
    Das Spiel "God of War" aus dem Jahr 2005 war eines der erfolgreichsten Videospiele der vergangenen Jahre. Die Geschichte des Spiels, die ausgesprochen brutal erzählt ist, bedient sich munter in der griechischen Göttermythologie.
    Ein Screenshot aus God of War® III Remastered, der Held Kratos steht grimmig blickend vor einem Relief
    In den Spielen der "God of War"-Reihe nehmen die Spieler den Kampf gegen Titanen und Götter auf (Sony / God of War III (remastered) )
    Mythologische Motive in Videospielen zu verarbeiten, kann verkaufsfördernd wirken. Vor einigen Jahren wollte der japanische Unterhaltungsriese Sony den wachsenden indischen Markt erschließen – indem er Spiele mit regionalem Bezug entwickeln ließ. Das erste war: "Hanuman: Boy Warrior". Der Spieler schlüpfte dort in die Rolle von Hanuman - eine Gottheit in der Gestalt eines Affen - überliefert im hinduistischen Ramayana-Epos.
    In diesem 3D-Actionspiel kämpft der Spieler mit Hanuman gegen andere Figuren aus dem Ramayana. Von der Fachpresse wurde "Hanuman: Boy Warrior" einhellig verrissen. Aber in Indien war das Spiel ein Verkaufserfolg und wurde zum Vorbild für ähnliche Versuche, Motive aus der hinduistischen Mythologie zu Actionspielen zu machen.
    Das Beispiel Hanuman zeigt aber auch: Die Verwendung religiöser Motive in Games führt auch zu Kritik. Rajan Zed, ein in den USA lebender hinduistischer Geistlicher, der als Präsident der "Universal Society of Hinduism" einigen Einfluss besitzt, kritisierte, das Spiel trivialisiere die hinduistische Gottheit.
    Neben den primär kommerziellen Spielen, in denen Religion eher Mittel zum Zweck für ein unterhaltsames Spielerlebnis ist, gibt es auch eine Vielzahl von Spielen, in denen religiöse Haltungen vertreten werden.
    Viele religiöse Games sind billig zusammengeschusterte Spiele, bei denen ein religionspädagogischer Anspruch im Vordergrund steht, vor allem harmlose Bibelquizspiele. Andere dagegen sind deutlich aufwändiger, wie das Militärstrategiespiel "Left Behind". Das Spiel basiert auf den Endzeitromanen des amerikanischen Baptisten-Pastors Tim LaHaye.
    "In der Geschichte der Menschheit haben Männer und Frauen gewählt zwischen drei Wegen. Jene, die eine tägliche, persönliche Beziehung zu Gott suchen, Ungläubige oder Gläubige, die nicht nach Gott suchen, und jene, die entschieden haben, Gott zu ignorieren. Und die Propheten haben es vorhergesehen: Gott wird kommen, um sein Volk nach Hause zu holen."
    Oliver Steffen sagt:
    "Man spielt die Christen, also ganz klar kommt auch Gewalt drin vor und die Missionierung von Nicht- oder Andersgläubigen."
    "Für diejenigen, die zurückgeblieben sind, hat die Apokalypse gerade erst begonnen."
    Die ersten christlichen Videospiele erschienen vor über 30 Jahren. Auf ein bestimmtes Genre waren sie nie beschränkt. Bei manchen geht es lediglich darum, den Spielern nebenbei ein paar biblische Inhalte zu vermitteln.
    Andere dagegen versuchen, den Spielern eine bestimmte Glaubenshaltung nahezulegen, meistens eine christlich-evangelikale. Das gilt für "Left Behind", aber auch für "Journey to Heaven" - Himmelsreise - von "Genesis Works". "Genesis Works", Entwickler, die den US-Freikirchen nahestehen, schreiben auf ihrer Website, es sei ihre Mission, Spiele zu machen, die den christlichen Glauben anregen.
    In "Journey to Heaven" kommt der Spieler zu Beginn an die äußeren Tore des Himmels. Im Verlauf von sieben Leveln gelangt er schließlich bis vor den Thron Gottes. Das Spiel ist grafisch aufwändig und versucht, mit zahlreichen Effekten, also durch überwältigende Technik, religiöse Gefühle zu erwecken.
    "Computerspiele leben von der Entscheidungsfreiheit"
    Religiöse Spiele haben überwiegend einen christlichen Hintergrund, sagt Religionswissenschaftler Oliver Steffen. Es gebe nur wenige jüdische oder buddhistische Lernspiele. Anders sieht es in der islamischen Welt aus. Doch die Spiele dort haben weniger religiös-historische Themen, sondern spiegeln vielmehr aktuelle Konflikte im Nahen Osten wider. Darunter befinden sich etwa Ego-Shooter wie "Special Force", in dem der Spieler in der Rolle eines Hisbollah-Terroristen israelische Soldaten im Libanon bekämpft.
    Ein Porträtfoto des Religionswissenschaftlers Oliver Steffen
    Oliver Steffen, Autor von "Gamen mit Gott" (Privat)
    Spielemacher, die fundamentalistische Anhänger von Religionsgemeinschaften bedienen wollen, haben allerdings ein Problem: Unabänderliche Glaubensinhalte und kanonische Schriften beißen sich mit Interaktivität. Christian Schiffer sagt:
    "Also Computerspiele leben von der Entscheidungsfreiheit. Diese Geschichten, die Religion erzählen, die sind natürlich sehr in Stein gemeißelt."
    Ein Film, der die Geschichte Jesu erzählt, kann nicht damit enden, dass Jesus nicht gekreuzigt wird. Das würde die Geschichte auf den Kopf stellen. Wenn der Spieler aber in einem Videospiel die Rolle von Jesus übernimmt - und es nicht schafft, über das Wasser zu laufen und untergeht, weil er das Spiel nicht so gut beherrscht -, verändert dies dann die Geschichte des Matthäus-Evangeliums? So absurd das Beispiel klingt: Im Spiel "Run Jesus Run" kann genau das passieren.
    Die Folge: Viele Spiele bedienen sich zwar religiöser Motive, aber die Geschichten, etwa aus Bibel und Koran, sind so gut wie nie Teil der Handlung selbst. Die religiöse Kultur und Tradition dient vielmehr als Folie, auf der die Handlung spielt.
    Göttliches wird objektiviert
    Und es gibt ein weiteres Problem: Oliver Steffen nennt es die Objektivierung von Religion.
    1989 - das kleine britische Entwicklerstudio "Bullfrog" veröffentlicht ihr zweites Werk, das Strategiespiel "Populous" - ein weltweiter Erfolg. "Populous" gilt als erste sogenannte Göttersimulation. Christian Schiffer sagt:
    "'Populous' ist ein Spiel, wo man einen Gott spielt. Und dieser Gott kriegt dann mehr Macht: Je mehr Leute an ihn glauben, umso mehr Macht bekommt er. Mit dieser Macht kann er dann zum Beispiel das Land planieren, damit die Leute dann bessere Häuser bauen können."
    Ist Religion Teil des Spiels, muss sie dargestellt, also objektiviert werden.
    "Er kann auch Katastrophen auf seine Feinde herunterschicken, so Flammensäulen oder Vulkanausbrüche oder Erdbeben: Ich hab mir halt damals nur gedacht: Boah cool, ich kann einen Vulkanausbruch auslösen."
    Göttliche Energie wird mit Hilfe von Lichtblitzen, Flammen oder eben Vulkanausbrüchen verdinglicht. Göttliches wird objektiviert und damit profaniert - Transzendenz wird zum Effekt.
    Kaum ein anderes Wort steht so für diese Objektivierung von transzendenten Inhalten im Computerspiel wie das "Mana". Der Begriff entstammt der religiösen Alltagswelt der Völker Ozeaniens, vor allem der polynesischen Kultur. Er bezeichnet das Potenzial an Spiritualität von Lebewesen oder Gegenständen. Computerspieler kennen "Mana" als Zahlenwert für alles, was irgendwie göttlich oder übernatürlich ist. Mehr "Mana" bedeutet in der Göttersimulation "Populous" mehr Macht, bedeutet Spielfortschritt.
    Ist das Blasphemie?
    Wird Religion also tatsächlich profaniert - zu einem beliebigen Zahlenwert neben anderen? Den man beliebig sammeln kann, um im Spiel besser dazustehen? Und ist das blasphemisch?
    "Jetzt, da Sie wissen, wie man das Spiel gewinnt, möchte ihre Aufmerksamkeit auf das Thema Religion lenken."
    Eines der bekanntesten und erfolgreichsten Computer-Strategiespiele ist die Civilization-Reihe der kanadischen Designerlegende Sid Meier. In seinen Spielen lässt sich eine menschliche Zivilisation durch die Geschichte führen: vom Nomadenvolk bis zur Raumfahrernation. Seit dem vierten Teil des Spiels hat ein strategisch wichtiger Aspekt im Spielgeschehen an Bedeutung gewonnen: das Stiften und Verbreiten von Religionen.
    "Um eine Religion zu stiften, müssen Sie das erste Reich sein, das eine bestimmte Technologie entdeckt. Ein Beispiel: die erste Zivilisation, die die Meditation entdeckt, wird den Buddhismus begründen."
    "Religion hat in der Serie immer so ein bisschen 'Opium fürs Volk'-Funktion gehabt: Man konnte Kirchen und Kathedralen bauen; und die hatten ganz klar die Funktion, die Bevölkerung ruhig zu halten", meint Christian Schiffer.
    "Exzellent! Sie sind die erste Zivilisation, die die Meditation entdeckt hat, der Buddhismus wurde begründet!"
    Im Verlauf des Spiels können auch andere Religionen gegründet werden: der Islam zum Beispiel. Jede Religion hat ihre jeweiligen spielmechanischen Vorteile, über die die Spieler im Netz weltweit diskutieren. Der Spieler "Scorcher24" schreibt:
    "Die Wichtigste ist das Judentum, da ich diese als Staatsreligion einsetzen und 25% Bonus auf Gebäudebau bekomme."
    Spieler "Mozi" schreibt:
    "Ich finde es sehr interessant, dass hier kaum jemand den finanziellen Vorteil von Religionen hervorhebt. Wenn man rasch eine Religion entwickelt und diese auch zügig verbreitet, hat das unter anderem enorme finanzielle Auswirkungen."
    Keine blasphemische, aber eine religionskritische Sicht, meint Oliver Steffen. Über diese Reduktion von Religion auf ein soziologisch-ökonomisches Phänomen in Strategiespielen schreibt er in seinem Buch "Gamen mit Gott":
    "Die Kirche erscheint nicht primär in ihrer religiösen Funktion, sondern als wirtschaftlicher Motor einer Gesellschaft, die auch mit spirituellen Gütern versorgt werden will. Das Bild von Religion entspricht weitgehend demjenigen von Gesellschaftstheoretikern und Soziologen wie Karl Marx, Max Weber oder Rodney Stark und William Sims Bainbridge, die Religion als Bedingung oder Teilaspekt eines ökonomischen Systems begreifen."
    Dass ein Spiel als blasphemisch wahrgenommen werden könnte, diesen Eindruck wollen Entwickler von Mainstreamspielen um jeden Preis verhindern. Sie wollen verkaufen, keine Kontroversen auslösen.
    Schwarzhumorige Kritik an evangelikaler Erziehung
    Doch diese Vorsicht gilt vor allem für große Entwicklungsstudios. Independent-Entwickler haben weniger Berührungsängste.
    "Isaac und seine Mutter lebten allein in einem kleinen Haus auf einem Hügel. Isaac war oft allein und malte Bilder oder beschäftigte sich mit seinen Spielzeugen, während seine Mutter christliche Fernsehsender schaute. Bis Isaacs Mutter eines Tages eine Stimme vernahm, von oben."
    Das Gemälde "Das Opfer des Abraham" von Laurent de la Hyre aus dem 17. Jahrhundert zeigt Abraham, der von einem Engel daran gehindert wird, seinen Sohn Isaak zu opfern.
    Das Videospiel "The Binding of Isaac" orientiert sich an der biblischen Geschichte von der Opferung Isaaks (imago / Le Pictorium)
    Zum Beispiel: "The Binding of Isaac", das auf die biblische Geschichte der Opferung Isaaks anspielt und sich mit viel schwarzem Humor über fundamentalistische Christen lustig macht. Der kalifornische Spieldesigner Edmund McMillen verarbeitet so seine Kindheit in einem christlich-konservativen Umfeld. Er sagt:
    "Ich wollte die negativen Effekte thematisieren, die Religion auf ein Kind haben kann, negative Effekte, die Religion auf eine Mutter haben kann, auf jemanden, der verwirrt ist aufgrund seiner Sexualität, wie Religion ein Kind mit einer lebendigen Fantasie beeinflussen kann."
    In "The Binding of Isaac" steuert man den namensgebenden Helden durch den Keller unter Isaacs Zimmer und flieht so vor der fanatischen Mutter.
    "Um Deine Liebe und Ergebenheit zu beweisen, verlange ich ein Opfer, Deinen Sohn Isaac. Betrete sein Zimmer und beende sein Leben. 'Ja, Herr', antwortete sie und holte ein Fleischermesser aus der Küche."
    Vor allem in der unabhängigen Entwicklerszene geht der Trend in Videospielen zunehmend zu ernsten Themen. Und ähnlich wie Komponisten oder Maler ihre Religiosität, ihren Glauben oder ihre Zweifel in Bildern reflektieren oder in Musik zum Ausdruck bringen, können Videospieldesigner entsprechende Spiele entwickeln.
    Wegweisende Spiele-Kunst und Predigten im VR-Room
    Es gibt ein Beispiel für so ein religiöses Computerspiel, das richtungsweisend sein könnte, wie Games in Zukunft von reiner Unterhaltung zu - auch religiösen - Kunstwerken werden könnten: "That Dragon, Cancer". Christian Schiffer sagt:
    "Das haben zwei Eltern gemacht, die ihr krebskrankes Kind verloren haben. Die haben eben diese Erfahrung in einem Spiel verarbeitet; und diese Eltern waren sehr, sehr gläubig. Und das ist eines der wenigen Spiele, wo Religion tatsächlich mal anders auftritt, also als Hilfestellung in eben einer solchen Situation, wo man auch nachvollziehen kann, wieso Religion so ein wichtiger Teil ist des menschlichen Daseins."
    "Da stehen wir also. Und die Luft ist leerer ohne sein Lachen. Und ich hoffe, dass im nächsten Atemzug des Herrn, dass er dir, Joel, sein Liebeslied ins Ohr flüstert."
    In "That Dragon, Cancer" lassen einen die Entwickler Amy und Ryan Green teilhaben, wie sie die letzten Lebensmonate ihres krebskranken Kindes erlebt haben und wie sie Trost im Glauben gefunden haben - alles in kindlich verfremdeter 3D-Grafik. In einem Spiel, das aber nicht gewonnen werden kann, zumindest nicht im klassischen Sinn. Denn das Ende steht von vornherein fest: Joel, ihr Sohn, wird sterben. Christian Schiffer sagt:
    "Es geht da eben nicht darum, dass man Spaß hat, sondern dass man versucht, nachzuvollziehen, wie die Eltern mit diesem Schmerz umgegangen sind. Und dass man zumindest eine Idee bekommt, zu verstehen, wie es ihnen dabei ging. Und das sind Erfahrungen, die ein interaktives Medium wie Computerspiele sehr, sehr nachvollziehbar machen können."
    Ein Porträtfoto von Christian Schiffer, Herausgeber und Chefredakteur der Spielezeitschrift "WASD"
    Christian Schiffer ist Herausgeber und Chefredakteur der Spielezeitschrift "WASD" (Monika Hippold)
    Wenn sich ein Videospiel mit existenziellen Fragen beschäftigt, kann dann das Spielen eines solchen Games womöglich zu einer spirituellen, religiösen Erfahrung werden? Christian Schiffer sagt:
    "Ich kann es nicht ausschließen."
    Oliver Steffen sagt:
    "Es gibt einfach bestimmte Aspekte von Computerspielen, die strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen mit religiösen Faktoren, je nach Definition von Religion natürlich. Also, man kann sagen, das Gamen ist fast wie eine Art Ritual, das Spielen ist fast wie eine Transzendenzerfahrung. Man hebt sich vom Alltag ab und erforscht mit einem idealen Körper ideale Welten."
    "Wer weiß, wenn die Technik weitergeht, zum Beispiel auch mit Virtual Reality, dass wir dann wirklich in den Spielen drin sind. Wer weiß, was dann alles möglich ist, welche Sinne dann auch von Computerspielen angesprochen werden können und wer weiß, vielleicht hat der eine oder andere eine religiöse oder spirituelle Erfahrung. Vielleicht auch unterstützend, dass der Priester in der Kirche sagt: Naja, gehen Sie heute mal in den VR-Room und lassen Sie das auf sich wirken und schauen mal, was das über Ihr Leben, über Gott und die Welt aussagt", sagt Christian Schiffer.
    Oliver Steffen: "Gamen mit Gott"
    Verlag TVZ, 2017, 164 Seiten, 12.5 x 20.0 cm, Paperback, 26,90 Euro