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Religionsstatistik
Zahl der Muslime in Deutschland

Laut einer aktuellen Schätzung leben knapp fünf Millionen Muslime in Deutschland. Doch um die Zahl wird gestritten: Manchen Atheisten ist sie zu hoch, manchen Islamgegnern oder Vertretern von Islamverbänden zu niedrig. Und anders als Kirchenmitglieder sind Muslime schwer zu zählen.

Von Christian Röther | 26.01.2018
    Wie lässt sich messen, wer Muslim ist?
    Wie lässt sich messen, wer Muslim ist? (imago stock&people)
    Die Frage, wie viele Muslime in Deutschland leben, lässt sich scheinbar schnell beantworten. Zwischen 4,4 und 4,7 Millionen, sagt die umfangreichste und aktuellste Studie zu dem Thema. Sie wurde vom BAMF, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Auftrag gegeben und bezieht sich auf das Jahr 2015. In den folgenden Jahren sind durch Migration weitere Muslime dazugekommen. Ende 2016 lebten knapp fünf Millionen in Deutschland, schätzt das US-amerikanische Pew-Institut. Einfach ist das mit den Zahlen allerdings nicht.
    "Was heißt eigentlich Religionszugehörigkeit und wie kann ich Religion und Religiosität messen? Also was bedeutet es, wirklich religiös zu sein?"
    Steffen Rink engagiert sich bei dem Verein Remid, dem Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienst.
    "Das Interessante ist, dass es im Grunde bei den meisten Religionsgemeinschaften ganz ähnlich ist: Dass wir eine nominelle Zahl von Muslimen haben und genauso feststellen, ein gewisser Prozentsatz geht eigentlich nie in die Moschee, verrichtet nicht seine fünf Gebete und nimmt auch nicht am Ramadan teil."
    "Wer entscheidet, ob das Islam ist?"
    Ein Herzstück der Arbeit von Remid ist eine umfangreiche Statistik zu den Religionsgemeinschaften in Deutschland. Die Religionswissenschaftler übernehmen nicht einfach Zahlen, wie die der BAMF-Studie, sondern hinterfragen sie. Etwa mit Blick auf vermeintliche Muslime, die tatsächlich gar keine Religionen praktizieren.
    "Wer entscheidet, ob das Islam ist?", fragt Christoph Wagenseil vom Remid-Vorstand.
    Ein Vergleich mit dem Christentum verdeutlicht das Problem: Evangelische, katholische und orthodoxe Kirchen haben zusammen zwar rund 47 Millionen Mitglieder. Aber nur jeder Zehnte Katholik geht regelmäßig in den Gottesdienst. Bei den Protestanten sind es sogar noch weniger. Für sie wurden Begriffe erfunden wie "Weihnachtschristen" oder "U-Boot-Christen". Religionswissenschaftler Christoph Wagenseil stellt die Gegenfrage:
    "Warum soll das kein Christentum sein, was diese sogenannten U-Boot-Christen da machen?"
    "Weihnachtschristen" und "Disco-Muslime"
    Schwierige Fragen, denn wer kann legitim entscheiden, wer Christ ist und wer nicht? Oder Muslim? Eine Forschungsgruppe der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung geht für Ende 2016 von rund vier Millionen "konfessionsgebundenen Muslimen" in Deutschland aus. Die übrigen vermeintlichen Muslime seien nicht religiös und daher "Kulturmuslime". Andere sprechen von "Disco-Muslimen", vergleichbar mit den "Weihnachtschristen". Die Statistik von Remid will all das berücksichtigen, erklärt Steffen Rink:
    "Wir versuchen eigentlich möglichst umfänglich, das ganze Spektrum religiöser Pluralität auch quantitativ darzustellen – wissend, dass Zahlen immer auch eine Unschärfe haben, was Mitglieder, Anhänger und so weiter anbelangt."
    Remid unterscheidet deshalb bei vielen Religionsgemeinschaften in tatsächliche Mitglieder und das weitere Umfeld. Christoph Wagenseil nennt als Beispiel den Islamverband Ditib:
    "Es gibt einen bestimmten Anteil von Mitgliedern. Es gibt dann bestimmte Behauptungen, dass man so und so viele Leute anspricht. Die sind unter Umständen – je nachdem, wen man fragt – zu hoch oder zu niedrig. Aber es ist schon so, dass man rein faktisch beobachten kann, dass es eben so ein Umfeld gibt, das neben den eigentlichen Mitgliedern – die ja meistens auch nur Männer sind – eben eine solche Ditib-Moschee besucht."
    Es geht um Macht und Einfluss
    Die Ditib selbst spricht von 800.000 Mitgliedern. Die Religionswissenschaftler hingegen schätzen, dass es nur 150.000 Mitglieder sind, aber ein Umfeld von bis zu einer Million.
    Solche Statistiken sind wichtig, weil es dabei auch um Macht und Einfluss geht. Wer über 20 Millionen Mitglieder hat, wie katholische und evangelische Kirche, kann seine Privilegien leichter behaupten: Schulunterricht, Kirchensteuer, Rundfunksendungen und so weiter. Wer solche Privilegien ebenfalls haben möchte, der versucht, für möglichst viele Mitglieder zu sprechen.
    Und dann gibt es noch diejenigen, die eine Islamisierung wittern. Auf entsprechenden Websites liest man, die offizielle Zahl der Muslime sei viel zu niedrig, würde kleingerechnet. Auch so wird Politik gemacht, sollen die eignen Anhänger mobilisiert werden.
    Es ist sicher nicht falsch, Religionsstatistiken generell mit Vorsicht zu betrachten und zu hinterfragen – wie der Verein Remid es tut. Er schließt sich bei der Zahl der Muslime in Deutschland übrigens der BAMF-Studie an: so circa viereinhalb Millionen Ende 2015. "Disco-Muslime" eingerechnet.