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Religionssysteme
Geschlechterbilder im Spiegel der Zeit

Die Frau hat dem Mann zu dienen, hohe religiöse Ämter sind den Männern vorbehalten und Sex dient nur der Arterhaltung: Religionen stellen viele Regeln über die Rolle und von Mann und Frau auf. Wie diese entstanden sind und welche davon heute noch gelten, hat die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger untersucht.

Von Sandra Stalinski | 07.08.2014
    Religionen sind komplexe Sinnsysteme, die eine Vielzahl von Regeln und Vorschriften enthalten. Darunter auch zahlreiche Aussagen über die Ordnung der Geschlechter. Also darüber, wie ein Mann als Mann, wie eine Frau als Frau zu sein hat und wie Männer und Frauen miteinander – und mit dem Heiligen umzugehen haben, sagt Barbara Stollberg-Rilinger:
    "Etwa in der Kultpraxis, dass Frauen bestimmte kultische Bereiche nicht betreten dürfen, dass sie eine bestimmte kultische Reinheit nicht haben. Oder etwa in der Institution der Kirchen, dass Frauen etwa vom Priesteramt ausgeschlossen sind. Oder in den religiösen Mythen, in den Ursprungserzählungen der Religionen, wie sie im Koran in der Bibel oder in der Tora vermittelt werden, wie Mann und Frau geschaffen worden sind. Überall da findet man implizit oder explizit Aussagen über die Rollen von Mann und Frau und auch sexuelle Normen."
    Distanz zur Gegenwart
    Doch diese Aussagen und Regelungen sind oft Jahrhunderte alt. Sind sie damit immer auch für die Gegenwart noch gültig? Um das zu beantworten, müsse man verstehen, in welchen historischen und kulturellen Kontexten solche Normen entstanden sind, meint Stollberg-Rilinger.
    "Der Blick in die Geschichte schafft grundsätzlich Distanz zur Gegenwart. Das heißt, man kann gegenwärtige Verhältnisse einfach besser beurteilen, weil man sieht, dass sie nicht immer so waren, wie sie heute sind, man sieht wie sozusagen kulturell relativ alle menschlichen Dinge sind.
    Man sieht insbesondere, wie religiöse Sinnsysteme und Kultsysteme entstanden sind, wie sie eingebettet waren in bestimmte Strukturen, gesellschaftliche Zusammenhänge und wie sich dann auch die religiösen Normen ändern möglicherweise, wenn sich die Strukturen ändern."
    In dem Sammelband mit dem Titel "Als Mann und Frau schuf er sie" wird deutlich, dass sich in religiösen Ordnungen oft auch die gesellschaftlichen Strukturen einer bestimmten Zeit spiegeln. Besonders augenfällig werde dieses Muster am Beispiel eines Forschungsbeitrags aus dem heidnischen antiken Rom, findet Stollberg-Rilinger. Der Götterhimmel entspreche hier in vielerlei Hinsicht der irdischen Ordnung:
    "Es ist beispielsweise so gewesen, dass das höchste Götterpaar Jupiter und Hera – sozusagen im Diesseits – die Verehrung dieses Götterpaares durch ein verheiratetes Priesterpaar organisiert wurde. Das Götterpaar wird gespiegelt durch das Priesterpaar. Und dieses Priesterpaar, der Flamen Dialis und die Flaminica, sind gewissermaßen das Idealbild des Ehepaars in der römischen Gesellschaft, sodass man hier sehr schön sieht, wie sich Götterordnung und menschliche Ordnung spiegeln."
    Das Priesterpaar lebt der römischen Gesellschaft vor, wie das ideale Ehepaar zu sein hat – und die Legitimation dafür bezieht es direkt von den Göttern. Doch schon im antiken Rom zeigte sich, dass die Regeln für dieses Priesteramt nicht unabänderlich waren und der gesellschaftlichen Realität angepasst werden mussten. Beispielsweise musste das Priesterehepaar nach einer bestimmten, sehr traditionellen Form verheiratet sein.
    Doch da diese Eheform schon während der späten Republik im 1. Jahrhundert vor Christus immer seltener gewählt wurde, konnte Kaiser Tiberius keine geeigneten Paare mehr finden, die alle Regeln für dieses Priesteramt erfüllten. Er weichte die Vorschrift also auf.
    Auch bei der Rolle des römischen Hausherrn, dem Paterfamilias, zeigt sich eine Parallelität zu den Göttern. Er herrscht als Herr über seine Familie wie die Götter über die Menschen herrschen. Ein Muster, das sich auch in anderen Religionen wiederfindet, sagt Stollberg-Rilinger.
    "In der katholischen Theologie hat man das schon in der Antike beschrieben, als Christus sich zur Kirche verhält wie das Haupt zum Körper, wie der Mann zur Frau. Das heißt, man sieht, wie hier grade diese Überordnung des Mannes über die Frau ihre Spiegelung findet in dieser Vorstellung des Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen.
    Und dann ist eben die Frage, inwiefern das den Kern der religiösen Lehre ausmacht oder inwiefern man bei veränderten Geschlechterverhältnissen, wie wir sie heute haben, wo eben die Gleichheit zwischen Mann und Frau grundgesetzlich garantiert ist, ob man da nicht möglicherweise den Kern des Glaubens ablösen muss, von solchen kulturellen und mittlerweile anachronistischen Vorstellungen vom Geschlechterverhältnis."
    Kämpfen gegen den Widerstand
    Dass das möglich ist, zeigt sich an zahlreichen Beispielen. Nicht nur im Protestantismus, wo Frauen heute ebenso ordiniert werden können, sondern auch im Judentum, wo es inzwischen – anders als noch vor einigen Jahrzehnten – in zahlreichen liberalen Gemeinden weibliche Rabbinerinnen gibt. Elisa Klapheck, selbst Rabbinerin in Frankfurt am Main, erinnert in ihrem Forschungsbeitrag an Regina Jonas, die erste Rabbinerin der jüdischen Geschichte.
    "Frau Klapheck geht darauf ein, dass diese erste Rabbinerin auch mit sehr großen Widerständen zu kämpfen hatte und eine absolute Ausnahmeerscheinung war, außerdem auch dem Holocaust zum Opfer gefallen ist. Und nach dem Krieg war sie völlig vergessen und es musste eine neue Bewegung erst wieder entstehen, feministische Bewegung im Judentum, die das Andenken an diese erste Rabbinerin wieder hat aufleben lassen."
    Die Leistung dieser ersten Rabbinerin, Regina Jonas, besteht nicht nur darin, sich gegen alle Widerstände durchgesetzt zu haben. Sie hat auch eine Neuinterpretation der Vorschriften in Tora, Talmud und den nachfolgenden rabbinischen Gesetzeskodizes vorgenommen, um nachzuweisen, dass die innere Logik der jüdischen Religion die Emanzipation der Frau erlaubt.
    Aber auch die aktuelle Diskussion um das Burka-Verbot zeigt, wie bestimmte Wertvorstellungen und Normen zustande kommen. In Frankreich und Belgien ist das Verbot seit 2011 gesetzlich festgeschrieben, in den Niederlanden hat die Regierung ein generelles Burka-Verbot beschlossen, auch wenn derzeit offen ist, ob es noch umgesetzt wird.
    In dem Sammelband finden sich mehrere Forschungsbeiträge zu diesem Themenkomplex, die fordern, das westliche Bild von muslimischen Frauen zu hinterfragen. Denn, die Verschleierung bei Musliminnen wird im Westen meist kategorisch als Symbol der Unterdrückung der Frau angesehen.
    "Die einen argumentieren, dass hier zwei Grundwerte miteinander in Konflikt liegen, nämlich Religionsfreiheit einerseits und Gleichberechtigung der Geschlechter andererseits. Das ist aber hoch problematisch, weil ja damit unterstellt wird, der Gesetzgeber wüsste, dass es sich hier um eine Unterdrückung der Frau handelt, es gibt aber viele Frauen, die sagen, sie möchten den Schleier tragen und es ist ein Eingriff in ihre persönliche Freiheit, ihnen das zu verbieten."
    Die Religionsfreiheit erfordere also, dass jede Frau sich bekleiden können müsse, wie sie wolle, resümiert Stollberg-Rilinger aus dem Forschungsbeitrag zum Burka-Verbot. Denn der Staat habe strikt wertneutral zu sein und dürfe auch keine areligiöse Position vertreten.
    Vorwurf der sexuellen Abweichung
    Beim Blick auf die Beiträge des Sammelbandes findet die Historikerin besonders bemerkenswert, dass es immer wieder die Geschlechter- und Sexualnormen sind, mithilfe derer sich religiöse Gruppen von anderen Gruppen abgrenzen. Und:
    "Dass Mehrheitsreligionen sehr oft neue religiöse Strömungen oder Sekten, die sich aus der Mehrheitsreligion abkapseln, dass sie denen den Vorwurf der sexuellen Abweichung machen und dass da fast immer diesen Gruppen angehängt wird, dass sie die schlimmsten sexuellen Praktiken betrieben usw. Das ist sowohl den frühen Christen vorgeworfen worden, als auch den Katharern im Mittelalter, als auch den Hexen, die man ja auch für eine Sekte hielt in der frühen Neuzeit."
    Ein Muster, das nicht nur für die Vergangenheit zutreffe, sondern auch für die Gegenwart. Beispielsweise, wenn ein konservativer muslimischer Vater seine Töchter von der sexuellen Freizügigkeit der westlichen Gesellschaften fernhalten will. Die Konflikte im Zusammenleben verschiedener Religionen, sagt die Historikerin, entzünden sich also oft an den Geschlechternormen.
    Barbara Stollberg-Rilinger(Hrsg.): "'Als Mann und Frau schuf er sie.' Religion und Geschlecht"
    Ergon 2014.