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Relikt aus dem Bosnienkrieg
Das Tunnelmuseum von Sarajevo

Während des Bosnienkriegs verband ein Tunnel den von serbischen Truppen belagerten Teil von Sarajevo mit dem von der bosnischen Armee kontrollierten Stadtteil Butmir. Der Zugang ist heute ein Museum - doch die Bewahrung solche Orte der Erinnerung bleibt bis heute privaten Initiativen überlassen.

Von Mirko Schwanitz und Bojana Radetic | 09.04.2017
    Ein Tourist läuft in den noch erhaltenen Teil des Tunnels in Sarajevo, der im Bosnienkrieg den belagerten Teil der Stadt mit dem befreiten Stadtteil Butmir verband
    Im Bosnienkrieg verband ein teils heute noch erhaltener Tunnel den belagerten Teil Sarajevos mit dem befreiten Stadtteil Butmir (Imago)
    Es ist früh am Morgen und noch ruhig in der Uliza Tuneli. Am Ende der Straße ein zweistöckiges Gebäude mit einer von Einschusslöchern übersäten Fassade. Es wirkt wie ein Fremdkörper zwischen all den neu verputzen Häusern der Nachbarschaft und ist einer der touristischen Hot Spots von Sarajevo, einer der wichtigsten Erinnerungsorte an die drei Jahre währende Belagerung der Stadt.
    "Ich heiße Edis Kolar. Wir befinden uns in Butmir. Dieser Ort bedeutet einfach alles für Sarajevo. Ohne ihn würde es die Stadt heute nicht mehr geben. 300.000 Menschen saßen damals hier wie in einer Falle und verdanken ihm ihr Überleben."

    Als der Krieg in Bosnien-Herzegowina vor ziemlich genau 25 Jahren begann, war Edis Kolar 16 Jahre alt. Kurze Zeit später war Sarajevo von serbischen Truppen eingeschlossen. Die einzige Möglichkeit die Belagerung zu durchbrechen, war ein Tunnel aus dem von der bosnisch-muslimischen Armee gehaltenen Butmir unter dem von der UNO kontrollierten Rollfeld des Flughafens hindurch hinüber in den Sarajevoer Stadtteil Dobrinja.
    "1993 begann der Bau des Tunnels im Keller unseres Hauses. Er wurde zum einzigen Weg aus der Stadt hinaus oder in sie hinein. Bei uns im befreiten Gebiet gab es alles: Essen, Medikamente, auch Waffen. Aber wir brauchten einen Weg, das alles in die Stadt zu schaffen."
    Nach dem Krieg richteten die Vater Bairo und Sohn Edis in ihrem Haus ein Museum ein, wollten einen Ort der Erinnerung schaffen. Viele Jahre verweigerten die bosnischen Behörden der Familie jede Unterstützung. Und so ist heute nur noch ein kleiner Teil des Tunnels erhalten.
    Kultur der Erinnerung braucht Orte, an denen man sich erinnern kann
    Zehn Uhr. Unter den ersten Besuchern an diesem Tag sind auch vier Frauen. Langsam steigen sie die Treppe hinunter, die zum einstigen Tunneleingang führt. Im Keller sehen sie provisorische Schienen, die ins Dunkle führen. Auf ihnen eine eiserne Lore, die sich noch immer schieben lässt. Wie sich herausstellt, stammen die drei Frauen aus Prijedor, in der Republika Srpska. Sie habe damals das serbische Internierungslager Omarska überlebt und nach dem Krieg sieben Jahre darum kämpfen müssen, in ihr Haus zurückkehren zu können, erzählt eine der Frauen.
    Edis Kolar hört in seinem Museum immer wieder solche Geschichten. Die Leute erzählen sie hier, weil ihnen sonst offenbar niemand zuhört. Wir brauchen, meint er, eine Kultur der Erinnerung. Aber eine solche Kultur braucht eben auch Orte, an denen man sich erinnern kann – Orte, wie dieses Museum hier. Doch die Schaffung solcher Orte bleibt bis heute weitgehend der privaten Initiative einzelner überlassen.
    Aus dem ehemaligen Wohnzimmer der Familie dringt der Ton eines Videos über den Bau des Tunnels. Fotos berühmter Reporter, militärische Karten, Zeitungsausschnitte. Ein Mann beugt sich über ein altes Gästebuch. Darin die Unterschriften von Boutros Gali, Brigitte Bardot, Bill Clinton… Jedes Schulkind, egal ob Bosniake, Kroate oder Serbe sollte einmal dieses Museum besuchen, meint der Mann.
    Überarbeitete Schulbücher ohne historisch belegte Bezeichnungen
    "Mein Sohn war 13 Jahre alt, als ich ihn das erste Mal mit zu einem Massengrab mitnahm. Ich hätte diese Entscheidung niemals getroffen, wenn ich nicht bemerkt hätte, dass aus unseren Schulbüchern historisch belegte Bezeichnungen wie "Aggression" oder "Tschetnik" oder "blutige ethnische Säuberung" einfach gestrichen wurden. Als hätte so etwas nie existiert. Und das Schlimmste daran ist, dass an dieser Reform des Bildungswesens europäische Experten mitgearbeitet haben."
    Aus einer fehlenden Erinnerungskultur würde so eine politisch sanktionierte Verdrängungskultur, meint der Mann. Edis Kolars Vater Bairo pflichtet ihm bei: Wo die Wahrheit nicht öffentlich gemacht wird, wo Schulbücher gefälscht werden, wo es nicht genügend Geld gibt für Orte der Erinnerung und Mahnung, fühlten sich nicht die Opfer, sondern die Täter sicher.
    "Dieser Tunnel ist unsere Nachricht an die Welt, vor allem aber an Bosnien-Herzegowina, damit sich das, was hier geschehen ist, nicht noch einmal wiederholt."