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Reliquien und Gummibärchen

Sankt Gallen in der Schweiz feiert in diesem Jahr mit einem umfangreichen Kulturprogramm den Namenspatron der Stadt und des Kantons, den heiligen Gallus. Der Mönch hatte vor 1.400 Jahren dort eine Klause gegründet. Heute sind die Kathedrale und die Bibliothek des Klosters St. Gallen UNESCO-Weltkulturerbe.

Von Alfried Schmitz | 19.07.2012
    "Hier sind wir auf dem Gallus-Platz, hier begann die Entwicklung der Villa Sankti Galli. Und wir haben hier einen wunderschönen Brunnen und auf dem Sockel steht der Gallus und er macht eine typische Bewegung. Er hebt seine Hand und bedeutet: Halt! Vielleicht weil er gemerkt hat, Halt, hier muss ich bleiben. Hier, wo wir uns jetzt befinden, war früher ein Wald, eine Wildnis, hier schlichen Wildschweine, Bären und Wölfe umher."

    Es war eine unwirtliche Gegend, die sich der Mönch vor 1.400 Jahren ausgesucht hatte, um sich niederzulassen. Woher Gallus genau kam, das lässt sich heute nur mithilfe einer historischen Indizienkette rekonstruieren. Gallus hatte sich dem irischen Missionar Columban angeschlossen, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den christlichen Glauben auf dem Festland zu verbreiten. Als christliche Bastion hatte Columban um 590 das Kloster Luxeuil-les-Bains in den Vogesen gegründet. Irgendwann zog dann Gallus weiter in Richtung Bodensee. Auf seinem Weg durch den Steinachwald stolperte der Mönch und stürzte in einen Dornenbusch. Das verstand er als einen Hinweis Gottes, sich an dieser Stelle niederzulassen. An dieser Stelle gründete er dann eine Klause, aus der später die Abtei St. Gallen wurde.

    Stadtführung:

    "So wir treten jetzt in die Gallus-Kapelle ein und ich hoffe, sie sei offen..."

    Sie ist offen. Die Decke der Kapelle ist mit barocken Bildtafeln geschmückt, die vom Leben und Wirken des heiligen Gallus erzählen. Die Stadthistorikerin Jennifer Deuel weiß zu berichten, dass der Sturz in den Dornenbusch damals nicht das einzige Zeichen Gottes gewesen sein soll. Denn nach einer anderen Legende begegnete Gallus und seinem Gefährten, dem Mönch Hiltibod, an diesem Ort auch noch das Wappentier der Stadt und Kantons St. Gallen. Diese Geschichte wird detailreich in der Deckenmalerei der Kapelle dargestellt.

    Aus der Stadtführung:

    "Auf dem Weg zurück zur Feuerstelle begegnet ihm ein Bär. Diesem Bär befahl er, Holz aufzunehmen und es auf das Feuer zu legen. Und der Bär gehorchte. Gallus gab ihm als Dank ein Brot und der Bär zieht mit dem Brot von dannen. Gallus befiehlt ihm in die Berge zu gehen und nie mehr zurück zu kommen. Hiltibod hat die Szene beobachtet und gesagt: Du bist wirklich ein Mann Gottes, Dir gehorchen sogar die wilden Tiere."

    Was also liegt näher, als im Gallus-Jubiläumsjahr mit einer Sonderedition bunt verpackter Gummibärchen an diese Bären-Legende zu erinnern. Aber nicht nur das, auch ein dunkles Gallus-Bier bereichert die Produktpalette um den heiligen Mann. Sankt Gallen feiert seinen Namenspatron im großen Stil. Und der Stadtgründer ist omnipräsent. Sogar eine Sonderbriefmarke hat die Schweizer Post dem frommen Mönch im Jubiläumsjahr gewidmet. Pünktlich zum Gallus-Jahr erschien auch eine ausführliche Biografie. Akribisch recherchiert von dem Historiker und Theologen Professor Max Schär. Der hat sich dem heiligen Gallus als reformierter Protestant mit objektivem Abstand genähert. Wichtige Grundlage für seine Arbeit war die Lebensgeschichte des Gallus, die in drei Fassungen vorliegt: einer nur fragmentarisch erhaltenen und zwei vollständig überlieferten, die von zwei Reichenauer Mönchen aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts stammen. Daraus und aus vielen anderen zeithistorischen Dokumenten zeichnet Professor Schär ein Bild, das einen sehr charismatischen Gallus zeigt, der schon zu Lebezeiten als Heiliger verehrt wurde.

    "Zu dieser Zeit hat es eine päpstliche römische Heiligsprechung noch gar nicht gegeben. Der erste, der von einem Papst heiliggesprochen wurde, war übrigens Ulrich von Augsburg, kurz vor 1000. Damals war es so, dass die Bevölkerung den Eindruck hatte, das ist ein besonderer, ein heiligmäßiger Mensch. Und wenn genügend Menschen dieser Ansicht waren, und sich die Verehrung einer Heiligen oder eines Heiligen durchsetzte, dann kam ein Bischof und hat ihn förmlich kanonisiert."

    Bemerkenswert dabei ist, dass man Gallus bereits nach seinem Tod in seinem Oratorium, also seinem Gebetshaus, bestattete.

    "Und wenn damals jemand zwischen Altar und Wand bestattet wurde, dann ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass jedenfalls die Bestattenden ihn für einen Heiligen hielten. Und dann ist der Bischof von Konstanz gekommen, Boso, und hat den Leichnam des Gallus neu beigesetzt. Aber nicht in der Erde, sondern erhöht. In einem Sarkophag. Und dieser Akt ist gleichbedeutend mit einer bischöflichen Heiligsprechung, die Elevation. Die Elevation gehört zur Heiligsprechung."

    Nicht gerade heilig wird Sankt Gallus in einer Sonderausstellung im Historischen und Völkerkunde der Stadt St. Gallen mit dem Titel: Kult, Kitsch und Karikatur" gezeigt. Hier kann man Gallus auch in der Figur eines Comic-Helden und in einem Trickfilm begegnen.

    Aus der Stadtführung:

    "Wir gehen jetzt zu den Reliquien. Als Gallus verstarb, hat man seinen Leichnam untersucht und hat einen schaurigen Fund gemacht. Gallus trug einen Bußgürtel, sehr eng um seine Taille. Und der hatte sich in sein Fleisch hineingeschnitten, sodass er eigentlich ständig blutende Wunden hatte. Und hier haben wir ein Stück dieser Bußkette in Seide eingewickelt, in einer Monstranz eingearbeitet und hier ausgestellt."

    Sankt Gallus-Reliquien werden auch in der Krypta der Kathedrale aufbewahrt. Hier befindet sich mit einer Schädelhälfte die wichtigste Gallus-Reliquie, die St. Gallen schon im Mittelalter zu einem Pilgerort werden ließ. Und Pilger sind für die Kantonsstadt damals und heute ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.