Freitag, 29. März 2024

Archiv


Renaissance einer Metropole

Lüttich liegt kaum mehr als eine Autostunde von Köln entfernt. Und doch sind vielen Reize der belgischen Metropole bei den deutschen Nachbarn eher unbekannt. Dabei besidelten schon die Römer besiedelten den Ort an der Maas, der später das kulturelle Zentrum der Wallonie werden sollte.

Von Nicole de Bock | 24.06.2012
    Neuer Stolz der Stadt: Lüttichs futuristischer Bahnhof Guillemins
    Neuer Stolz der Stadt: Lüttichs futuristischer Bahnhof Guillemins (picture alliance / epa belga Krakowski)
    "Man ist begeistert von diesem Bahnhof. Man kann zehn mal kommen, zwanzig mal kommen, man ist immer darin verliebt."

    Das sagt Stadtführer Hendrik De Schutter über den hochmodernen Guillemins Bahnhof, der 2009 in Lüttich eröffnet wurde. Niemand weniger als der Stararchitekt Santiago Calatrava hat dieses futuristisch anmutende Gebäude entworfen. Das Markenzeichen aus Stahl, Glas und Beton ist ganz in weiß und eine eine wahre Attraktion in der Stadt.

    "So eine Architektur , Sie sehen, es sind fließende Linien, keine Ecken, keine Kanten. Das ist auch ein Merkmal von Calatrava, er ist nicht nur Architekt, er ist auch Künstler. Und viele von seiner Realisationen gehen von einem Kunstobjekt aus von ihm. Diese fließende Linien von diesem Guillemins Bahnhof hat er von einer schönen, nackten, liegenden Frau.!"
    Hendrik De Schutter zeigt mir ein Aquarell von Calatrava, das eine nackte liegende Frau abbildet und dann daneben die Skizze vom neuen Bahnhof, die tatsächlich eben so wellig und fließend daher kommt.

    "Wir gehen jetzt rein im Bahnhof. Und Sie sehen hier, man hat den Eindruck, man kommt in eine ganz große Grotte hinein. Sie haben hier Tageslicht. Diese Glassteine geben sehr viel Licht. Alles ist abgerundet, fließende Linien. Für jeden Perron haben sie ein Aufzug, der ist auch rund. Die Sitzbänke hier, die sind auch abgerundet. Wir laufen hier über belgischer Blaustein, der ist härter als der, der aus China kommt."
    Wenn man noch etwas tiefer in den Bahnhof hineingeht, stößt man auf große Rolltreppen, die zu den Parkflächen führen, die auf mehrere Niveaus angelegt sind. Die hohe Rolltreppe ist überdacht mit weißen Betonbögen, die sich in der Mitte treffen und erinnern an die Spitzbögen einer gotischen Kathedrale.

    Wir gehen die Rolltreppe hinauf und überblicken bald die Gleise aus der Höhe. Wenn man gerade aus schaut, sieht man durch die offen gehaltene Konstruktion in der Ferne einen Teil der Stadt liegen. Der Place Saint-Lambert mitten im Zentrum von Lüttich ist hier etwa drei Kilometer entfernt.

    Im Zentrum von Lüttich selbst taucht man erst mal ein in die reiche Geschichte der Stadt. Das große bischöfliche Palais erinnert noch daran, dass Lüttich von 980 bis 1793 ein Fürstbistum war.

    "Es ist ein Riesenschloss. Nicht zu vergessen: diese Fürstbischöfe hatten ein sehr großer Lebensstil. Sie waren Bischof, aber sie waren auch Prinzen, Fürsten und lebten wie die Fürsten."

    Nicht weit vom Palais stößt man auf die historische Buerentreppe, eine monumentale Steintreppe. Die Treppe aus dem 19. Jahrhundert bot den Soldaten von einer Kaserne auf der Zitadelle hoch oberhalb der Stadt einen direkten Zugang zum Stadtzentrum. Wenn man sich die 374 Stufen hochquält, wird man mit einem schönen Ausblick belohnt. Von hier aus wird es deutlich, dass Lüttich in einem langgestreckten Tal, umgeben von grünen, nur teilweise bebauten Hügeln liegt. Über die Maas, Lüttichs größten Fluss, fallen zwei besondere Brücken auf. Lüttichs schönste Brücke stammt aus der Zeit der Weltausstellung und ist geschmückt mit großen Statuen, mit vergoldetem Geländern, vergoldeten Engeln und Posaunen.

    Lüttichs neuester Brücke ist eine elegante Konstruktion mit 44 silberfarbigen Kabeln. Nach der Strukturkrise der Achtziger und Neunziger Jahren, bedingt durch den Niedergang der wallonischen Schwerindustrie, erlebt Lüttich derzeit eine zweite Renaissance. Dazu trägt nicht nur Calatravas Bahnhof bei, sondern auch das prächtig restaurierte Grand Curtius Gebäude. Es ist jetzt ein Großmuseum von internationaler Anziehungskraft. Albert Lemeunier ist Professor für Maasländische Kunst und Konservator im Grand Curtius:

    "Der Name des Museums kommt von einem großen Händler aus dem 16. Jahrhundert, Anfang 17. Jahrhundert, Johann Curtius. Sein echter Name war De Korte, der Kleine, aber im Latein wird sein Name Curtius. Und dieser Mann, dieser Händler war auch ein Pulverfabrikant, Pulver für Waffen, und hier an der Maas hat er zwei große Gebäude gemacht. Direkt an der Maas dieses große rote Haus von ungefähr 1600 in maasländischem Stil, mit Backstein und Kalkstein, eine Mischung typisch für die Architektur von dieser Zeit. Und an der anderen Seite seine Wohnung. Das erste Gebäude war für seinen Handel, Empfänge und so weiter und das andere Gebäude war seine Privatwohnung."

    Die Gebäude sind verziert mit kleinen Reliefs, die Fabel, Masken und satirische Geschichten darstellen und so die strenge Architektur ein wenig aufheitern. Am historischen Gebäude ist auch ein Turm, der darauf hinweist, dass Curtius von Adel war. Noch weitere Gebäude aus dem 17.und 18. Jahrhundert ergänzen den Komplex. Im Innenhof sind Kanone zu sehen aus Lüttichs kaiserlichen Manufaktur zur Zeit Napoleons Anfang des 19. Jahrhunderts. Das neue Museum Grand Curtius ist insgesamt gut 8000 Quadratmeter groß. Kollektionen von fünf ehemaligen Lütticher Museen sind dort jetzt vereint.

    "Das Große Curtius Museum ist durch fünf große Sammlungen geboren. Es sind jetzt hier fünf Abteilungen. Eine Abteilung Archäologie, eine Abteilung Kunstgewerbe, eine Abteilung Waffen, Glas, religiöse und maasländische Kunst. Diese Sammlungen sind zusammengebracht auf eine chronologische Weise."

    Die Kollektionen der ehemaligen Museen sind also jetzt mit einander vermischt worden und bieten einen chronologischen Parcours durch über 7000 Jahre Kunst und Geschichte. So kann man Bronze Täfelchen aus dem 1. Jahrhundert nach Christus sehen mit einem Text in Latein. Es ist die "Rentenurkunde" eines römischen Soldaten, der 25 Jahre in der Armee gedient hat! Das Evangelium von Bischof Notger aus 930 mit Elfenbein- und Glasurarbeiten aus dem Maasland kann man hier bewundern. Oder das Porträt von Napoleon, das durch Jean-Dominique Ingres gemalt wurde. Napoleon hat im Grand Curtius übrigens auch einige Male übernachtet. In der Lütticher Glassammlung bestechen Gläser aus der renommierten Glasfabrik Val Saint Lambert, die sich unweit von Lüttich befindet. In der Waffensammlung fallen natürlich die Lütticher Waffen auf, zum Beispiel ein Jagdgewehr mit sehr feiner Gravierarbeit, das auch auf der Weltausstellung in Paris 1867 gezeigt wurde. Heutzutage wird Lüttichs Charme aber nicht nur von neuen Bauwerken oder restaurierten historischen Monumenten bestimmt.

    Jeden Sonntag spielen sich auf dem linken Maasufer in Lüttich die gleichen Szenen ab. "La Batte" , "Der Deich" heißt der internationale Markt, der sich mehr als einen Kilometer entlang der Maas ausstreckt. Schon im Mittelalter war hier der auserkorene Platz für die Jahrmärkte. Ab neun Uhr morgens drängt sich ein bunt gemischtes Publikum zwischen den Buden herum. Buden mit Gemüse, Obst und anderen Lebensmitteln, aber auch mit Pflanzen, Büchern, Auto-Ersatzteilen, Spielzeug, Putzmitteln, Bekleidung. Der Markt ist eine Kombination von Wochen- und Flohmarkt, aber riesig und mit internationalem Flair.

    "Ich bin Italiener. Wir verkaufen italienische Spezialitäten: Weine, Spirituosen, Käse, Schinken, alles was Leute traditionell an der italienischen Gastronomie schätzen. Wir haben eine sehr variierte Kundschaft. Das passt zu einer kosmopolitischen Stadt wie Lüttich. Es sind alles Weltbürger."

    Neben italienischem Parmesankäse findet man flämische Obstfladen, algerisches Geschnetzeltes, marokkanische Spezialitäten und dann doch wiederum belgische Leckereien: Pommes frites und Lütticher Waffeln. Aber nicht nur die Buden sind international.

    "Ja wir fahren immer wieder gerne hierhin. Lüttich hat so eine südländische Atmosphäre, das macht es besonders interessant"

    "Wir haben Urlaub gemacht in den Ardennen und sind hier zufällig vorbeigekommen. Wir hatten schon von diesem Markt gehört. Schön hier, auch für die Kleinen."

    Und überall hört man Musik auf diesem Markt. Hier ein Verkaufstand mit Kassetten und CDs, dort eine Gruppe Musiker mit andalusischen Rhythmen. Da fällt das lebendige Geflügel, die Gänse, Puter, Enten, Hühner und Hähne weiter nicht auf. Aber auch nicht gefiedertes Kleinvieh kann hier bewundert werden.

    "Ich verkaufe Kaninchen, Geflügel und hier das sind Ziegen, junge Zieglein."

    Der Markt schlängelt sich endlos weiter, entlang an imposanten Gebäuden und durch Gewölbe der Lütticher Innenstadt. Hier am Marktplatz treffen sich die Einwohner gerne auf ein Bierchen und das nicht nur am Sonntagmorgen.

    "Ich mag es hier auf den Terassen, im Sommer, bei schönem Wetter, mit einem Weißbier."

    Die Leute freuen sich über die Erneuerungen in ihrer Stadt.

    "Ja es ist vieles restauriert wie der Sankt Lambertusplatz, die Galerien, der Bahnhof, das Curtius-Gebäude."

    " Man hat begonnen vielen alten Gebäuden wieder neuen Glanz zu geben."

    "Ich habe auf vier Kontinenten gewohnt und ich finde, dass Lüttich die schönste und angenehmste Stadt zum Leben ist. Die Einwohner sind lässig, ohne Komplexen, sie lachen gerne. Sie spinnen hier alle ein wenig."

    Auf einer der Terassen lässt es sich auch der Bürgermeister von Lüttich, Willy Domélière, gut gehen. Er kann es sich nicht verkneifen auf ein Ereignis hinzuweisen, dass ihm mit Stolz erfüllt:

    "Die Tour de France wird demnächst wieder einmal aus Lüttich starten. Das ist eine große Ehre für uns. Bei diesem Event werden Massen von Menschen anwesend sein, es wird ein großes Spektakel und eines, was noch gratis ist auch."