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Rennstrecke Innenstadt
Vom Kräftemessen auf deutschen Straßen

Es ist ein gefährliches, manchmal sogar ein tödliches Spiel: Zwei Autos rasen um die Wette, mitten in der Stadt, ohne Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer. Bei solchen illegalen Autorennen sind in den vergangenen Jahren viele Menschen ums Leben gekommen. Experten bezweifeln, dass man die vorwiegend jungen Männer mit höheren Strafen abschreckt.

Von Oliver Ramme | 23.02.2017
    Zerstörte Fahrzeuge nach einem illegalen Autorennen in Hagen
    Zerstörte Fahrzeuge nach einem illegalen Autorennen in Hagen. Fünf Menschen wurden dabei schwer verletzt. (picture alliance / dpa / Alex Talash)
    "Dieser Vorfall hier, der ist auf immer und ewig – auch als Nichtbetroffener dieser Familie – hat man das im Hinterkopf und ich persönlich komme da auch zu keinem Ergebnis. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen. Das ganze Verhalten, alles, was dazu geführt hat zu diesem Unglück – völlige Leere. Und man steht völlig hilflos da."
    Es ist Samstagnacht. Eine dunkle Industrie-Straße in Köln. Der Auenweg. Polizeioberkommissar Lüders und sein Kollege Krings stehen in ihren Uniformen neben einem weißgetünchten Fahrrad, das an einer Laterne lehnt. Rote Grablichter brennen. An dem Rad hängen in Folie geschweißte Trauerkarten. Ein gespenstisch anmutendes Denkmal. Auch, weil sich in diesem nächtlichen Industrieareal kaum Menschen aufhalten.
    "Verkehrsunfälle hat es schon oft gegeben. Zu schnell gefahren wurde auch immer. Aber nicht in diesen Dimensionen. Das ist ein völlig neues Verkehrsphänomen, mit dem wir es hier zu tun haben."
    Rückblick: April 2015. Das WDR-Fernsehen berichtet:
    "Einige Spuren des Unfalls sind noch deutlich zu sehen. Die Markierungen auf der Straße erstrecken sich über fast 100 Meter. Hier auf diesem Fahrradweg ist die junge Frau entlang gefahren. Eigentlich eine sichere Angelegenheit. Doch plötzlich rasen zwei Autos die Straße entlang. Zeugen berichten, dass beide Fahrzeuge in dieser 50er-Zone sehr schnell gewesen sein sollen."
    Kein Raserunfall sondern ein spontanes Kräftemessen?
    Miriam S. 19 Jahre alt, Jurastudentin, hat bei dem Unfall im Auenweg keine Chance. Sie stirbt drei Tage später in der Kölner Universitätsklinik.
    In dem darauf folgenden Prozess verurteilt die Strafkammer in Köln die beiden Männer wegen fahrlässiger Tötung zu zwei Jahren beziehungsweise einem Jahr und neun Monate. Jeweils auf Bewährung. Sie müssen also nicht ins Gefängnis. Der Richter glaubt auch nicht an ein illegales Autorennen.
    Paragraf 29 der Straßenverkehrsordnung definiert ein solches Rennen als Zitat: "Wettbewerb oder Teile eines Wettbewerbs zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten mit Kraftfahrzeugen". Weil ein solcher Wettbewerb den beiden Tätern vom Kölner Auenweg nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, steht im Urteil lediglich etwas von einem spontanen Kräftemessen.
    Der Fall liegt nun dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe zur Revision vor. Beide Seiten klagen gegen das Urteil. Die einen, die Täter, betrachten das Urteil als zu hoch, die anderen, die Hinterbliebenen, als zu milde.
    Fritz Schramma, der ehemalige Oberbürgermeister Kölns, hat seinen Sohn Stefan vor gut 15 Jahren verloren. Auch sein Sohn wurde Opfer eines Autorennens. Fritz Schramma schaut noch immer mit großer Verbitterung zurück.
    "Als das Urteil dann auf Bewährung feststand, haben die grinsend den Saal verlassen. Das ist natürlich noch einmal ein Schlag in die Magengrube derer, die da als Betroffene, als Angehörige das miterleben mussten, weil das ein zweites Mal eine Opfersituation ist. Und da sind auch wieder neue Fälle, die auftauchen wo wir wieder sehen: Da wird jemand sehr milde abgeurteilt, auf Bewährung frei gelassen. Und es passiert bei dem eigentlich gar nichts. Auch keine Änderung im Bewusstsein. Von Reue überhaupt nicht zu reden."
    Auch hier mussten die beiden Raser, die den Tod von Stefan Schramma zu verantworten hatten, nicht ins Gefängnis.
    Mit 105 Stundenkilometern durch die Stadt
    Polizeioberkommissar Lüders: "Man hört schon den Auspuff von dem Porsche. Jetzt gibt er Gas. Mal gucken, dass wir ein bisschen dranbleiben."
    Polizeioberkommissar Lüders und sein Kollege Krings gehören zu der Ermittlungsgruppe "Rennen". Diese Sondereinheit ermittelt gezielt im Raser-Milieu und soll vor allem illegale Autorennen unterbinden.
    Lüders sitzt am Steuer und folgt gekonnt einem Raser durch das nächtliche Köln. Der Porschefahrer ahnt nicht, dass ihm die Polizei auf den Fersen ist. Lüders steuert ein Zivilfahrzeug.
    "Abgelesene Geschwindigkeit 100 km/h, Abstand verringert sich erst jetzt bei 105 km/h, gleichbleibend 100 km/h. Weißer Porsche, Fahrstreifenwechsel ohne Fahrtrichtungsanzeiger. Gefahrene Geschwindigkeit über 100 km/h. Das reicht uns auch schon. Fahrzeug ist vor uns. Den nehmen wir direkt mit."
    Der Porschefahrer bekommt die Polizeikelle zu sehen. Der Strafzettel wird ihn ungefähr 300 Euro kosten. Außerdem einen Punkt in Flensburg und wahrscheinlich einen Monat Führerscheinentzug. Diese Raserei mitten in der Stadt wird als Ordnungswidrigkeit geahndet. Also als eine geringfügige Verletzung der Rechtsregeln eingestuft, wie auch zum Beispiel Lärmbelästigung oder Falschparken.
    Polizeioberkommissar Lüders: "Der ist auf jeden Fall schnell unterwegs gewesen. Man weiß jetzt natürlich nicht, was ist, hätte er noch den richtigen Gegner gefunden. Was wäre daraus geworden. Erfahrungsgemäß eskaliert dann alles. Daraus ergibt sich dann ein Rennen. Und ich glaube, zu zweit machen die Dinge immer mehr Spaß im Leben. Vielleicht wäre dann noch der Richtige gekommen. Dann denke ich, hätte sich daraus auch noch etwas anderes entwickeln können. Liegt auch in der Natur der Sache: wer ist gerne Zweiter?"
    "Köln ist nicht die einzige Stadt, die mit Rasern zu kämpfen hat"
    Sie sehen einen Gerichtssaal mit den beien Angeklagten und ihren Verteidigern. Die Gesichter der Angeklagten sind unscharf.
    Die Angeklagten im Berliner Raser-Prozess und ihre Verteidiger. Die Staatsanwaltschaft plädiert in diesem Fall auf Mord. (picture-alliance / dpa / Paul Zinken)
    Die Ermittlungsgruppe "Rennen" ist ein Pilotprojekt in Deutschland. Tag und Nacht sind Polizisten wie Lüders und Krings in Zivilwagen in Köln unterwegs, um Raser und Teilnehmer illegaler Autorennen aus dem Verkehr zu ziehen.
    Das Projekt "Rennen" ist eine Reaktion auf das fatale Jahr 2015 in Köln. Neben Miriam S. wurden zwei weitere Unbeteiligte Opfer von illegalen Autorennen.
    Köln ist nicht die einzige Stadt, die mit Rasern zu kämpfen hat. Für besondere Aufmerksamkeit sorgten in letzter Zeit zwei Prozesse. Der eine in Bremen, der andere in Berlin. Das besondere: In beiden Fällen lautet die Anklage auf Mord. Also Vorsatz.
    In Bremen wurde der Fall eines Motorradfahrers verhandelt – der seine Rennfahrten gerne filmte und ins Netz stellte. "Alpi", so sein Spitzname im Internet, hatte einen 75-jährigen Fußgänger überfahren und dabei getötet. Hier ist das Urteil mittlerweile gesprochen. Die Kammer verhängte wegen fahrlässiger Tötung eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Die Staatsanwaltschaft hatte mit der Mordanklage zu hoch gepokert.
    In Berlin müssen sich zur Zeit zwei Männer vor Gericht verantworten, die sich am 1. Februar 2016 ein Rennen geliefert haben sollen.
    Bei Spitzengeschwindigkeiten von über 150 Stundenkilometern rasen Hamdi H. und Marvin N. durch das nächtliche Berlin. Rote Ampeln werden überfahren. Hamdi H. rammt mit seinem Audi Quattro an der Tauentzienstraße - Ecke Nürnberger Straße mit ungefähr 140 Stundenkilometern einen pinkfarbenen Jeep. Und stößt den Mercedes AMG von Marvin N. von der Straße. Zurück bleibt ein Trümmerfeld aus Autowrackteilen und gefällten Ampelanlagen. Der Unbeteiligte im Jeep stirbt noch am Unfallort.
    Ob die beiden Raser bewusst den Tod Unbeteiligter in Kauf genommen, also vorsätzlich gehandelt haben, ist noch nicht entschieden. Die Staatsanwaltschaft plädiert auch in diesem Fall auf Mord. Am kommenden Montag wird das Urteil erwartet.
    Teilnahme an Rennen gilt bislang nur als Ordnungswidrigkeit
    Die Polizei reagiert mit Sondereinsatzgruppen. Die Staatsanwaltschaft verschärft ihre Anklageschriften. Und auch die Politik fordert mittlerweile schärfere Gesetze.
    "Wir wollen alleine schon eine Strafbarkeit erreichen, wenn man an solchen Rennen teilnimmt. Bislang ist das nur eine Ordnungswidrigkeit. Die kann nur mit in der Regel bis zu 400 Euro Geldbuße belegt werden. Das passt nicht mehr, wenn man sieht, was da für eine Gefährlichkeit hinter steht und dass da Menschen sehr schnell zu Schaden kommen können und jedes Jahr Menschen auf unseren Straßen dadurch auch zu Tode kommen."
    Thomas Kutschaty, SPD, ist Justizminister von Nordrhein-Westfalen. Alleine in seinem Bundesland wurden im Jahr 2015 230 illegale Autorennen registriert. Die Dunkelziffer liegt um ein vielfaches höher.
    Der Angeklagte Arman J. sitzt am 23.05.2016 in Köln (Nordrhein-Westfalen) im Langericht neben seinem Anwalt Dominic Maraffa (r). Nach dem tödlichen Raser-Unfall ist der Angeklagte zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Der 27-Jährige war im vergangenen Jahr mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde über eine Straße in der Kölner Innenstadt gerast. Er verlor die Kontrolle über seinen Wagen, rammte einen Radfahrer, der später starb. Foto: Oliver Berg/dpa | Verwendung weltweit
    Arman J. im Landgericht in Köln. Er war mit mehr als 100 Kilometer pro Stunde durch die Kölner Innenstadt gerast. In der Folge rammte er einen Radfahrer, der später starb. (dpa / Oliver Berg)
    Kutschaty reichen die Gesetze gegen die Raser nicht mehr aus. Zusammen mit Kollegen anderen Bundesländer hat er eine Gesetzesinitiative im Bundesrat eingereicht. Diese wurde einstimmig angenommen.
    "Wir wollen, dass jemand, der bei einem illegalen Autorennen mitmacht oder ein solches veranstaltet, schon vom Gericht mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren belegt werden kann. Wenn etwas Schlimmes passiert, sogar ein Todesfall eintreten sollte, dann soll es sogar eine Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren geben wer bei solchen Rennen mitmacht."
    Nun liegt der Vorschlag bei der Bundesregierung. Aus dem Bundesverkehrsministerium ist zu hören, dass man grundsätzlich die Einführung höherer Strafen befürwortet. Angeblich arbeite man nur noch an einigen Korrekturen. Ob aber ein entsprechender Gesetzesentwurf dem Bundestag noch in dieser Legislaturperiode vorgelegt wird, ist unklar.
    Maximalstrafen bisher nie ausgeschöpft worden
    Die Frage jedoch ist, ob höhere Strafen tatsächlich etwas bringen. Der Kölner Anwalt Marc Michelske ist skeptisch.
    "Ich kann verstehen, wenn die Bevölkerung dort nach höheren Strafen ruft. Ich weiß nur nicht, ob sie abschreckend wirkt. Die Leute nur länger wegzusperren sorgt vielleicht bei den Opfern für eine gewisse Befriedigung, die ich auch nachvollziehen kann, aber ich denke, es ändert an der Ursache in erster Linie nichts."
    Michelske hat bei einem der Kölner Raserfälle die Familie von Gianluca D. vertreten. Der Fahrradfahrer wurde im Sommer 2015 Opfer eines Autorennens. Einer der beiden Täter wurde zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Er musste also ins Gefängnis. Dem anderen hingegen konnte die Teilnahme am Rennen nicht nachgewiesen werden. Er verließ den Gerichtssaal als Unschuldiger.
    Daher wundert sich Michelske über die Diskussion um die Erhöhung des Strafmaßes. Bisher, so sagt er, seien Maximalstrafen – bei fahrlässiger Tötung sind das fünf Jahre – nie ausgeschöpft worden.
    Welche Signale ein erhöhtes Strafmaß in die Raserszene senden könnte, ist schwer zu klären. Antworten sind kaum zu bekommen. Die Recherchen ergeben einen Kontakt zu Erkan. In Wirklichkeit hat Erkan einen anderen Namen. Der 25-Jährige behauptet von sich, gerne Rennen zu fahren.
    "Für die ersten Wochen, Monate wird das vielleicht was auslösen bei den Fahrern selber, bei den Rasern. Aber das wird dann auch wieder schnell in Vergessenheit geraten. So wie die zwei Fälle in Köln. Ein Jahr später redet niemand mehr darüber."
    Reporter: "Und das Verhalten verändert sich nicht?"
    Erkan: "Also auch wenn der Staat oder die Regierung da ein Exempel statuiert bei den beiden Rasern, wird es trotzdem nicht dazu führen, dass andere das Rasen sein lassen."
    Raser: Menschen ohne gefestigtes Wertesystem?
    Viel ist nicht bekannt über die Raserszene. Außer, dass es sich um eine ausgesprochen heterogene Gruppe handelt. Nur eine Gemeinsamkeit gibt es: Es sind in der Regel Männer. Im Alter zwischen 18 Jahren und Ende zwanzig. Polizeioberkommissar Lüders, der die Teilnehmer dieser Rennen seit gut zwei Jahren verfolgt, kann auch nur ein vages Profil zeichnen.
    "Man erkennt die Leute nicht am Aussehen. Man kann sie ein bisschen am Fahrzeug manches Mal erkennen: Was haben wir da? Sind die getunded? Tiefer, härter, breiter? Aber so, die Leute selber, kann man jetzt nicht sagen, die haben ein Käppi nach hinten und sitzen da drinne. Das sind junge Fahrer, die grundsätzlich schnell fahren. Es trifft eigentlich jeden."
    "Es hat immer was mit dem Selbstwert zu tun. Diese Leute haben häufig keine gute, gefestigte Identität, kein gefestigtes Wertesystem. Die brauchen irgendwas, worüber sie sich definieren können."
    Jaqueline Bächli Bietry ist Gutachterin und Verkehrspsychologin.
    "Und dann bietet das Auto natürlich eine gut zugängliche Möglichkeit, sich zu bestätigen. Mit einem guten Auto, da bin ich wer auf der Straße, weil das ist ja quasi eine neue, äußere Hülle. Da wird man anders angeschaut, wenn man einen AMG fährt, als wenn man einen Smart fährt. Über die Leistung des Autos wird der Selbstwert erhöht. Und natürlich dann auch über das vermeintlich gute fahrerische Können. Das sind alles so Selbstwert-Themen."
    Bächli Bietry hat Hamdi H. begutachtet, einen der beiden Raser vom Ku‘damm. Einer eindeutigen Gruppe lässt auch er sich nicht zuordnen, meint sie. Seit über 20 Jahren beschäftigt sie sich mit jungen Männern, die ihre Grenzen im Verkehr nicht kennen.
    Ein Schild weist am 16.04.2015 auf einer Straße in Gensingen (Rheinland-Pfalz) Autofahrer auf eine Polizeikontrolle hin. Die Polizei will Raser mit dem sogenannten Blitz-Marathon auch in Rheinland-Pfalz ausbremsen. Bei der Aktion kontrollieren in Deutschland rund 13 000 Beamte an über 7000 Stellen, ob Auto- oder Motorradfahrer zu schnell unterwegs sind. Foto: Fredrik von Erichsen/dpa | Verwendung weltweit
    Auch mit Blitzer-Marathons versucht die Polizei Raser auszubremsen. (dpa / Fredrik von Erichsen)
    Erkan: "Ein Rennen kann sich überall und immer anbahnen. Da muss einfach nur ein schnelles Auto – das andere schnelle Auto daneben. Und da will man einfach mal wissen, was die Autos können. Was dein Auto kann, was du gerade fährst und da drückt man schon mal auf die Tube."
    Erkan ist mit dem Auto beruflich viel unterwegs. Er behauptet von sich, ein sehr guter Fahrer zu sein. Deswegen, und je nachdem mit welchem Auto er gerade unterwegs ist, liefert er sich spontan Rennen auf Autobahnen oder in der Innenstadt.
    "Der Kick ist einfach: Du bist der King der Straße. Wenn du deinen Konkurrenten, deinen Gegner abziehst an der Ampel – das sind meistens nur 200 Meter Beschleunigungsrennen – weiter geht das gar nicht. Von einer bis zur nächsten Ampel – dann willst du es einfach sein, dann willst du einfach gewinnen.
    Reporter: "Und was ist danach, sieht man sich dann noch mal oder verliert sich einfach aus dem Auge?"
    Erkan: "Eigentlich wartet man dann eher und nickt noch mal kurz rüber oder gibt irgendein Handzeichen. Also irgendein Zeichen ist danach auf jeden Fall."
    Polizei vermutete viele Raser in Tuning-Szene
    Ob die Rennen tatsächlich so ablaufen wie sie Erkan schildert, lässt sich nur schwer überprüfen. Die Raser-Szene ist nicht organisiert. Keine Clubs oder Vereine.
    Manchmal soll es verabredete Rennen geben, die über Whatsapp-Gruppen organisiert werden. Gefahren wird dann auf abgelegenen Industriestraßen. Die Polizei vermutet viele Raser in der Tuning Szene. Junge Männer, die ihre Autos frisieren und bei einschlägigen Treffen gerne zur Schau stellen.
    Zumeist jedoch werden illegale Autorennen anscheinend überall gefahren. Zu jeder Uhrzeit. Und in aller Regel spontan.
    Drei Uhr nachts. Die beiden Polizeioberkommissare Lüders und Krings rasen durch die Kölner Vororte. Mit Blaulicht, überqueren dabei rote Ampeln. In der Leitzentrale sind zwei Hinweise auf ein illegales Autorennen eingegangen. Die beteiligten Autos stünden mittlerweile auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants.
    Zwei Kolleginnen von Krings und Lüders kommen mit hinzu. Vier junge Menschen, darunter auch eine Frau, alle um die 20 Jahre alt, stehen neben ihren aufgemotzten Autos auf dem Parkplatz. Ganz normale Jugendliche. Polizei Oberkommissar Krings und seine Kollegin klären die jungen Fahrer auf.
    "Das ist kein Kavaliersdelikt – das ist schon böse - auf Deutsch gesagt."
    Fahrer: Wie gesagt jeder sieht das anders. Wir sind mit vier verschiedenen Autos unterwegs."
    Polizeibeamtin:"Es kann so schnell passieren. Jetzt fängts an zu schneien, die Straßen werden feucht und dann fliegt Ihnen auf einmal das Auto so ab. Da kriegt man keine zweite Chance."
    Die vier geben sich einsichtig. Bestreiten aber, ein Rennen gefahren zu sein. Die Staatsanwaltschaft wird den Aussagen der Zeugen nachgehen, erste Ermittlungen einleiten. Nicht unwahrscheinlich, dass der Fall bei den Akten landet.
    "Sagen Sie mir doch mal, was erst mal so für technische Veränderungen da vorgenommen wurden."
    Kleine Nadelstiche um ein Zeichen zu setzen
    Lüders inspiziert inzwischen eines der tiefergelegten Autos. Er stellt zahlreiche Veränderungen an dem silbernen Wagen fest, die nicht in die Papiere übertragen worden sind. Um halb vier Uhr nachts wird das Auto sichergestellt und durch einen Abschleppdienst abtransportiert. Das wird teuer für den jungen Mann. Mindestens 1.000 Euro. Mit solchen Aktionen setzten die Polizisten kleine Nadelstiche – die sich vielleicht in der Szene herumsprechen.
    "Die illegalen Tuner, das ist weit verbreitet, die Raser auch – ist aber sehr schwierig. Da muss man dann zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Wir haben, wie in anderen Bereichen auch, einfach zu wenig Personal. Hätten wir doppelt so viel Personal, dann hätten wir auch doppelt so viele Möglichkeiten. So sind wir in einem laufenden Prozess. Immer wieder dabei. Jeden Tag, jeden Tag, jeden Tag. Und das zehrt dann natürlich auf, gar keine Frage."
    Die Polizei ist Teil eines Katz und Mausspiels, das nur schwer zu gewinnen ist. Sie ist personell unterbesetzt. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die Polizei genau zum richtigen Zeitpunkt am Ort eines Rennens ist, ist in einer Großstadt mit ihren zahllosen Straßen sehr unwahrscheinlich.
    Die Politik denkt zumindest über Gesetzesverschärfungen nach. Aber, ob die Androhung bei einer Rennteilnahme tatsächlich ins Gefängnis zu müssen abschreckt, darf bezweifelt werden. Schließlich gehe es ja um den Kick, King der Straße zu sein – wie Erkan behauptet.
    Und am Ende stehen die Opfer alleine da. Fritz Schramma hat – auch um den Verlust seines Sohnes zu verarbeiten – eine Stiftung gegründet. Die Kölner Opferhilfe. Dort werden Opfer von Unfällen oder Gewalttaten unterstützt und beraten.
    "Guten Morgen, mein Name ist Claudia Wagner."
    Claudia Wagner aus Dortmund geht einen anderen Weg. Im Rahmen der Präventionsveranstaltung Crashkurs NRW, stellt sich die 51-Jährige jungen Menschen und erzählt ihre traurige Geschichte.
    Vor zweieinhalb Jahren wurde ihre 18-jährige Tochter von einem Raser getötet. Mit 130 Stundenkilometern fuhr der Mann durch eine Parkanlage in Nürnberg und erfasste ihre Tochter. Sie war auf der Stelle tot.
    Für Claudia Wagner sind solche Auftritte beim Crashkurs ausgesprochen nervenaufreibend. Aber sie verbindet eine Hoffnung damit.
    "Wenn ich mit meiner Geschichte und meinen Erlebnissen dazu beitragen kann, dass nur ein oder zwei Personen unter den 400 Schülern dabei sind, die irgendwann in ein paar Jahren sich daran erinnern, dass ich auf der Bühne stand, dann hat sich das alles mehr als gelohnt."