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Renoirs letzte Muse

Auguste und Jean Renoir, Vater und Sohn - von beiden zeichnet der französische Filmemacher Gilles Bourdos ein Filmporträt, das sich auf die letzte Lebensphase des Malers Auguste Renoir konzentriert und kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs spielt.

Von Jörg Albrecht | 06.02.2013
    Väter und Söhne. Dem Konfliktpotenzial, das sich zwischen ihnen aufstauen kann, hat sich schon vor 2500 Jahren das Theater der griechischen Antike gewidmet. Und auch die Filmlandschaft ist voll von spannungsgeladenen Vater-Sohn-Beziehungen. Man denke nur an "Der Pate" oder "Krieg der Sterne". Wer etwas Ähnliches jetzt auch bei den Renoirs erwartet, dürfte eher enttäuscht werden. Denn ihr einziger Streitpunkt resultiert aus Jeans Vorhaben, trotz einer schweren Verwundung erneut in den Krieg ziehen zu wollen.

    "Lass Dir das Fell durchlöchern, kleiner Schwachkopf! Oder wenn es dir lieber ist: Geh ein paar tapfere Deutsche massakrieren, die Pfeife rauchen. Wenn du wirklich glaubst, dass das irgendwas ändern wird. ... Wenn sie nicht mehr kommt, hat das nichts damit zu tun. – Dann erklär mir, warum sie von einem Tag auf den anderen einfach verschwunden ist!"

    Sie – das ist der Katalysator der Geschichte. Ihr Name: Andrée. Eine junge Frau, die im Sommer 1915 in das Leben der zwei Männer getreten ist und beiden den Kopf verdreht hat. Dem alten Renoir hat sie Modell gestanden, in den jungen Renoir sich verliebt. Jetzt aber ist Andrée fort und der Maler hat seine Muse verloren. Die Letzte in einer langen Reihe von Frauen, die nicht selten auch zu Renoirs Geliebten wurden.

    Der Film beginnt mit der Ankunft von Andrée auf Renoirs Anwesen "Les Collettes" an der Côte d’Azur. Wie so häufig in einer Geschichte, die in einer eigenen, in sich abgeschlossenen Welt spielt, ist es auch hier der Neuankömmling, durch dessen Augen der Zuschauer den Mikrokosmos entdeckt. In diesem Fall ist es die nahezu idyllische Welt des Meisters, der in seinem Landhaus eine Art Hofstaat um sich geschart hat.

    "Und wie heißt Du? – Andrée Heuschling. – Und du behauptest, dass meine arme Frau dich hergeschickt hat? – Sie meinte, dass ich vielleicht für Sie Modell sitzen kann. – Das Mädchen aus dem Nichts. Geschickt von einer Toten."

    Der Künstler und sein Modell bei der Arbeit im lichtdurchfluteten Atelier – gespielt vom 87-jährigen Michel Bouquet und der 65 Jahre jüngeren Christa Theret.

    "Patron, stört es Sie, wenn ich mich bewege? – Wenn es mich stören würde, würde ich Äpfel malen."

    Während beispielsweise dem Filmemacher Peter Webber bei "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" über den niederländischen Maler Vermeer ausschließlich Biografien über den Künstler und Bücher über die Zeit zur Verfügung standen, existiert ein rund dreiminütiges Filmdokument, das Renoir bei der Arbeit zeigt. Ja – er war ein Arbeiter und kein Künstler. Darauf hat Renoir Wert gelegt.

    Es ist ein kurzer Film – entstanden 1915, also in demselben Jahr, in dem auch Bourdos´ Geschichte spielt. Wir sehen einen rauchenden Renoir, der mit bandagierten Händen vor seiner Staffelei sitzt. Er greift nach dem Pinsel, klemmt ihn irgendwie zwischen seine stark verformten Finger, tunkt ihn in die Farbe und bewegt ihn über die Leinwand. In seinen letzten Lebensjahren litt der Maler an schwerer Arthritis. Er konnte nicht mehr laufen und musste von den Dienstmädchen getragen werden. Und obwohl seine Hände verkrüppelt waren und er Höllenschmerzen ausgestanden haben muss, malte er jeden Tag.

    "Hör auf! Du kannst es nicht mehr. – Der Schmerz geht vorbei, Jean. Die Schönheit bleibt. – Du hast schon alles gemalt. – Ich muss noch Fortschritte machen. Ich mache weiter bis ans Ende meiner Kräfte."

    Ob der Künstler solche Worte wirklich gesprochen hat, ist eher nicht anzunehmen. Aber sie klingen wie gemacht für eine Filmbiografie. Die ist erfreulicherweise weitgehend frei von derart programmatischen Sätzen, die nur fallen, weil sie Überzeugungen und Einstellungen des Menschen, der hier porträtiert wird, auf den Punkt bringen sollen. Gilles Bourdos braucht diese Sätze eigentlich nicht, denn er macht das, was schon manch gute Filmbiographie von vielen schlechten unterschieden hat. Er konzentriert sich auf einen konkreten Lebensabschnitt anstatt in epischer Breite eine Vita von der Geburt bis zum Tod mit allen vermeintlichen Höhepunkten auszubreiten. Vor allem aber lässt Bourdos die Atmosphäre wirken.

    "Du malst immer schneller. – Mein ganzes Leben habe ich mich mit komplizierten Dingen herumgeschlagen. Heutzutage vereinfache ich. Striche, noch mehr Striche. Die Einen in die Anderen. Wie im Liebesspiel. Was nämlich die Struktur des Bildes bestimmt, ist nicht die Linie. Es ist die Farbe."

    Dasselbe lässt sich über die Struktur von Gilles Bourdos´ Film sagen. Die lichtdurchfluteten Aufnahmen, eingefangen in sanften Kamerafahrten, zeigen nicht nur die Orte, an denen Renoirs Spätwerk entstanden ist: "Les Collettes", das Atelier, die südfranzösische Landschaft. Sie fangen auch perfekt die Stimmung seiner Bilder ein.

    "Soll ich Schwarz drauf tun? – Mein lieber Junge, bei den Renoirs gibt es keine Schwarzmalerei. Ein Bild muss etwas Angenehmes und Freundliches sein. Es gibt genug ärgerliche Dinge im Leben. Also muss ich noch Weitere davon schaffen. Das Elend, die Hoffnungslosigkeit, der Tod – das geht mich nichts an. – Und der Krieg? – Auch nicht. Um die Tragödie kümmern sich schon andere bestens."

    Auch der Film lässt der Tragödie und dem Drama nur wenig Raum. Erst gegen Ende, wenn die Beziehung zwischen Jean Renoir und Andrée mehr und mehr in den Mittelpunkt rückt, verdrängen eher plakative Dialoge die bis dahin wunderbar unaufgeregte Handschrift des Films. "Renoir" von Gilles Bourdos soll vor allem eins sein: Eine sinnliche Erfahrung. Eben genau wie die Malerei, die – wie es der Meister im Film formuliert – nun mal nicht erklärt werden könne. Man müsse sie einfach nur betrachten.

    " ... Sieh dir im Louvre Die Kurtisanen von Tizian an! Und wenn du da nicht Lust bekommst, sie zu streicheln, dann hast du wirklich gar nichts verstanden."