Donnerstag, 25. April 2024

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Rente mit 63
"Ein völlig falsches Signal"

Die ehemalige Bundesvorsitzende des Verbands Junger Unternehmer, Marie-Christine Ostermann, spricht sich gegen die Rente mit 63 aus. In Zeiten des demografischen Wandels müssten die Menschen später in Rente gehen, sagte sie im DLF. Die junge Generation könne die Mehrkosten nicht schultern.

Marie-Christine Ostermann im Gespräch mit Peter Kapern | 20.05.2014
    Porträtaufnahme von Marie-Christine Ostermann
    "Einfach zu hohe Kosten": Marie-Christine Ostermann kritisiert das Rentenpaket der Großen Koalition. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Bettina Klein: Es war das Thema in Berlin gestern: Die Rentenreform der Großen Koalition ist unter Dach und Fach. Am Freitag soll der Bundestag abstimmen. Letzte Streitpunkte bei der Rente mit 63 und der Mütterrente wurden gestern ausgeräumt. Die Wirtschaft bleibt bei ihrer Kritik. Mein Kollege Peter Kapern sprach darüber gestern Abend mit Marie-Christine Ostermann, ehemals Bundesvorsitzende vom Verband der Jungen Unternehmer.
    Peter Kapern: Frau Ostermann, die Koalition beteuert, dass die Rente mit 63 definitiv keine Frühverrentungswelle auslösen wird. Reicht das, um Ihre Zustimmung zu diesem Rentenpaket zu bekommen?
    Marie-Christine Ostermann: Nein, das reicht absolut nicht aus, denn die Kosten für die junge Generation sind enorm. Bis zu 230 Milliarden bis zum Jahr 2030 wird dieses Rentenpaket kosten. Und das sind einfach zu hohe Kosten, die die junge Generation gar nicht so schultern kann, und deswegen lehne ich dieses Rentenpaket mit der Rente mit 63 absolut ab.
    Kapern: Frau Ostermann, woher haben Sie diese Zahlen? Es kursieren ja auch ganz andere, weit niedrigere Zahlen.
    Ostermann: Diese Zahlen entnehme ich jeden Tag eigentlich allen Medien, die ich lese.
    Kapern: Sie verlassen sich also auf Zeitungen bei dem, was Sie da sagen?
    Ostermann: Ich verlasse mich zum einen auf jeden Fall auf die großen Zeitungen, die ich tagtäglich lese, richtig. Zum anderen muss ich aber auch sagen, dass ich ja selbst in meinem tagtäglichen Betrieb sehr viel sehe und mitbekomme, und deswegen auch die Auswirkungen eines solchen Rentenpaketes sicherlich auch ganz gut einschätzen kann. Denn ich habe selber in meinem Unternehmen viele Mitarbeiter, die auch schon älter sind, die auch schon um die 60 sind, und da sagen mir doch auch viele, dass sie gerne auch früher in Rente gehen wollen, auch gerne die Rente mit 63 beanspruchen möchten, und ich denke, das wären sehr hohe Kosten, die dann auch auf die Unternehmen hinzukommen würden, wenn sie auf ihre starken und erfahrenen Fachkräfte verzichten müssen. Das wäre auch für die junge Generation sehr, sehr schlecht, die ja die zusätzlichen Kosten der Menschen, die dann eher in Rente gehen, auch mitschultern müssten.
    "Das ist nun mal so gang und gäbe"
    Kapern: Das ist schön, dass Sie ein großes Herz haben für die junge Generation. Sie leiten ja einen Lebensmittel-Großhandel in Hamm in Westfalen. Da fallen harte Arbeiten an, beispielsweise im Lager. So stelle ich mir das vor. Was sagen Sie denn Ihren Mitarbeitern, die 45 Jahre bei Ihnen geschuftet haben und Beiträge gezahlt haben und vielleicht auch einfach nicht mehr arbeiten können mit so schwieriger Arbeit, und was sagen Sie denen, warum sie mit 63 nicht abschlagsfrei in Rente gehen dürfen?
    Ostermann: Wenn jemand wirklich nicht mehr arbeiten kann und auch keine Freude mehr an der körperlichen Arbeit hat, dann kann ich das sicherlich verstehen, wenn jemand dann früher in Rente gehen möchte.
    Kapern: Aber dann würde er Abschläge in Kauf nehmen müssen.
    Ostermann: Ja, das ist dann nun mal so gang und gäbe. Wir haben uns gerade aber beispielsweise mit einem Mitarbeiter geeinigt, der auch ein bisschen früher jetzt aus dem Unternehmen ausgeschieden ist, weil er nicht gesund ist. Der hat auch eine sehr, sehr hohe Abfindung von uns bekommen. Insofern, denke ich, haben wir da eine gute Lösung gefunden, die für beide Seiten richtig ist. Ich kämpfe trotzdem, das muss ich Ihnen klar sagen, für jeden Mitarbeiter, den ich hier im Unternehmen beschäftige, der auch älter ist, weil mir die Erfahrung einfach wichtig ist, auch in der Logistik, und hier versuche ich, flexible Lösungen für meine Mitarbeiter zu schaffen. Jemand, der dann eben nicht mehr die sehr schweren Kundenaufträge packen kann, der kann auch versetzt werden in den Wareneingang oder in den Warenausgang, um die Kundenaufträge zu kontrollieren und körperlich leichtere Arbeit zu machen. Er kann auch versetzt werden an unsere Tankstelle. Aber mir ist es wichtig, die Mitarbeiter, die unser Unternehmen über Jahrzehnte hier auch schon geprägt haben, zu halten, weil sie doch auch sehr wichtig sind, ein wichtiges Gesicht für unsere Kunden nach außen.
    Kapern: Aber ein so großes Herz für ältere Arbeitnehmer, die den körperlichen Belastungen nicht mehr so gewachsen sind, das haben vielleicht nicht alle Unternehmer.
    Ostermann: Ich habe das Gefühl, dass sehr viele Unternehmer sich wünschen würden, ihre Mitarbeiter zu behalten, auch wenn sie schon etwas älter sind. Wir haben auch eine Umfrage gemacht unter den jungen Unternehmern, unter den Familienunternehmern. 88 Prozent der Firmen beschäftigen ältere Mitarbeiter, die schon Ende 50, Anfang 60 sind, und der Tenor ist ganz klar, wir brauchen auch die älteren Fachkräfte und möchten auf ihre jahrzehntelange Erfahrung in unseren Betrieben nicht verzichten.
    "Im Trend des demografischen Wandels später in Rente gehen"
    Kapern: Jetzt möchte ich aber, Frau Ostermann, trotzdem noch mal auf ein Detail dieser Rente mit 63 schauen, auf den sogenannten rollierenden Stichtag, also eine Regelung, die verhindern soll, dass es zu einer Frühverrentungswelle kommt, indem zwei Jahre vor dem denkbaren Renteneintritt mit 63 eine Arbeitslosigkeit nicht angerechnet werden würde. Funktioniert diese Regelung Ihrer Meinung nach?
    Ostermann: Diese Regelung hört sich für mich auf jeden Fall jetzt so an, dass es ein Schritt in die richtige Richtung ist, dass auf jeden Fall keine Brücke geschaffen werden kann, dass jemand beispielsweise schon mit 61 dann in Rente gehen kann. Aber trotzdem muss ich sagen, dass ich das Gesamtpaket halt sehr schlecht finde, weil diese Rente mit 63 jetzt überhaupt eingeführt wird. Deswegen ist es vielleicht ein kleiner positiver Punkt, der heute beschlossen wurde, über den ich auch glücklich bin. Aber das Gesamtpaket halte ich für ein vollkommen falsches Signal, weil es dahin geht, dass die Menschen jetzt früher in Rente gehen. Wir müssen aber gerade in Europa, gerade im Trend des demografischen Wandels später in Rente gehen, und deswegen halte ich das Gesamtpaket für falsch.
    Klein: Die Unternehmerin Marie-Christine Ostermann über das gestern beschlossene Rentenpaket der Großen Koalition. Mit ihr sprach mein Kollege Peter Kapern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.