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Rente
"Wir brauchen einen grundlegenden Kurswechsel"

Für DGB-Chef Reiner Hoffmann ist es von größter Bedeutung, das gesetzliche Rentenniveau zu stabilisieren. Er sagte im DLF, andernfalls drohe Altersarmut. Es sei gut, dass Union und SPD das Thema Rente inzwischen erkannt hätten. Er sei aber skeptisch, ob eine Reform gelinge.

Reiner Hoffmann im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.04.2016
    Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB).
    Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). (imago stock & people)
    Hoffmann sagte in dem Interview auch, dass er - ähnlich wie CSU-Chef Seehofer - die Riester-Rente für gescheitert halte. Was man nun benötige, sei ein grundlegender Kurswechsel. Andernfalls drohe Altersarmut. Es bestehe die Gefahr, dass Arbeitnehmer 40 oder 50 Jahre lang hart arbeiteten und am Ende auf dem Niveau der Sozialhilfe landeten. Eine Kernaufgabe sei zudem, dass Menschen länger gesund durchs Erwerbsleben gingen und ordentliche Beiträge zahlten.
    Hoffmann nahm auch Stellung zum Thema Leiharbeit und Werkverträge. Er sagte, der vorliegende Gesetzentwurf müsse nun ohne Änderungen verabschiedet werden, um Lohndumping zu bekämpfen. Er hoffe auch, dass die CSU ihren Widerstand gegen die Pläne nun einstelle. Die Arbeitgeber jedenfälls hätten bereits ihren Frieden mit dem Thema gemacht.
    Zum Thema Integration sagte er, es sei richtig, Flüchtlingen in der Ausbildung eine sichere Perspektive zu bieten und ihnen die Chance zu geben, im Anschluss auch noch zwei Jahre lang berufstätig zu sein. Skeptisch sehe er es, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einzuschränken und die Leiharbeit auch für Flüchtlinge zu öffnen. Grundsätzlich sei eine Integration zwar zwingend, aber sie müsse möglicherweise anders geschehen, als CDU und CSU sich das vorstellten, so Hoffmann.

    Das Interview in voller Länge:
    Am Telefon begrüße ich Reiner Hoffmann, den DGB-Vorsitzenden. Schönen guten Morgen.
    Reiner Hoffmann: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Herr Hoffmann, vielleicht konzentrieren wir uns gleich auf ein Thema, das Sie besonders interessieren dürfte: Leiharbeit und Werkverträge. Wie viel Handlungsfähigkeit messen Sie der Koalition zu, wenn wir das berücksichtigen, was jetzt bekannt geworden ist und eben nicht bekannt geworden ist?
    Hoffmann: Erst mal, glaube ich, ist zu begrüßen, dass die Selbstblockade der Großen Koalition überwunden werden soll. Wir erleben in den letzten Wochen und Monaten eine Zerstrittenheit in der Koalition, die muss überwunden werden. Diese Regierung muss gutes Regieren wieder auf die Spitze ihrer Agenda stellen und es war schon mehr als irritierend, dass sich die CSU seit Wochen nun gewehrt hat, das Gesetzesvorhaben zur Bekämpfung von Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen nicht auf den Weg zu bringen.
    DGB unterstützt Gesetzesentwurf
    Wir haben hart mit den Arbeitgebern gerungen. Andrea Nahles hat einen ordentlichen Gesetzesentwurf vorgelegt. Der lag nun wochenlang auf Druck der CSU auf Eis im Kanzleramt. Und wenn dieses Gesetz nun in die Ressortabstimmung gegeben wird, begrüßen wir das außerordentlich.
    Allerdings sagen wir auch ganz deutlich: Weitere Änderungen, die über den jetzigen Gesetzesentwurf hinausgehen und im Kern die Bekämpfung des Missbrauchs von Werkvertragsarbeit und Leiharbeit einschränken würden, machen wir nicht mit. Deshalb unsere Unterstützung erst mal für das, was auf dem Tisch liegt. Das muss jetzt schnell auf den Gesetzgebungsweg gebracht werden, damit wir wirklich hier einen weiteren wichtigen Beitrag haben, um neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen und Lohndumping wirksam zu bekämpfen.
    Barenberg: Und was Sie aus der Politik an Signalen empfangen, das deutet in Ihren Augen darauf hin, dass der Kompromissvorschlag, was dieses Thema angeht, jetzt unverändert in die Ressortabstimmung und damit auf den Weg gebracht wird?
    Hoffmann: Frau Nahles hat ja in den letzten Wochen mehrfach bekräftigt, dass sie keine weiteren Änderungen vornehmen wird. Wir haben sie dabei immer unterstützt. Und ich gehe davon aus, dass das, was gestern Abend im Koalitionsausschuss besprochen wurde, dass dieses Gesetz jetzt auf den Weg gebracht wird ohne weitere Änderungen, dass dieses auch hält, und gehe auch davon aus, dass die CSU ihren Widerstand einstellen wird, zumal - ich hatte es angedeutet - die Arbeitgeber mit diesem Gesetzesentwurf durchaus ihren Frieden gemacht haben. Jetzt müssen wir gucken, dass dann auch dieses Gesetz die Realität erreicht.
    "Integration sieht anders aus als das, was CDU/CSU wollen"
    Barenberg: Wir haben ja auch gerade gehört, dass einiges beschlossen wurde, um die Integration von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Die Vorrangprüfung soll fallen, Auszubildende sollen in eine bessere Position gebracht werden. Trifft das alles Ihre Zustimmung?
    Hoffmann: Das werden wir uns im Detail anschauen. Einige Aspekte treffen mit Sicherheit unsere Zustimmung. Wir haben seit vielen Wochen beispielsweise gefordert, dass Auszubildende dann auch eine sichere Perspektive brauchen, um ihre Ausbildung dann auch erfolgreich abzuschließen und danach auch noch weitere zwei Jahre berufstätig sein zu können. Das ist sinnvoll, das wird auch gemeinsam von uns, den Arbeitgebern, den Wirtschaftsverbänden und den Kirchen seit Langem gefordert.
    Skeptisch bin ich, wenn es darum geht, beispielsweise die Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz einzuschränken, oder auch, dass für Flüchtlinge die Leiharbeit nun zugänglich gemacht werden soll. Das widerspricht sich möglicherweise auch mit den anderen Gesetzesvorhaben, worüber wir schon gesprochen haben, die Bekämpfung des Missbrauchs. Eine Integration, eine nachhaltige Integration ist zwingend erforderlich, sieht aber möglicherweise anders aus als das, was CDU/CSU da an Perspektiven in der Koalition vorantreiben wollen.
    Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus nötig
    Barenberg: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat noch kürzlich gesagt, das Rentensystem in Deutschland ist stabil und funktioniert. Jetzt gibt es eine neue Debatte, ob das eigentlich noch so stimmt, und von Horst Seehofer ist zu hören, beispielsweise die Riester-Rente ist gescheitert, wir brauchen eine große Rentenreform. Wie sehen das die Gewerkschaften?
    Hoffmann: Dass die Riester-Rente gescheitert ist, das teilen wir. Dass wir eine Rentenreform brauchen, liegt auf der Hand. Wir brauchen vor allen Dingen eine Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus. Wenn Herr Seehofer da mitmacht, geht das in die richtige Richtung. Da sind wir zusammen. Aber schauen wir uns das Ganze dann auch bitte im Detail an. Herr Schröder hatte darauf hingewiesen, wir haben die Mütterrente. Da sagen wir, da kann die Große Koalition jetzt schon Korrekturen vornehmen. Es ist nicht zielführend, dass die Mütterrente aus Beiträgen finanziert wird. Hier ist eine Steuerfinanzierung dringend erforderlich.
    Damit haben wir auch Ressourcen, um die Stabilisierung der Rente, der gesetzlichen Rente zu gewährleisten. Aber das ist schon noch ein hartes Brett. Wichtig ist erst mal, dass die Politik, dass SPD, CDU und CSU dieses Thema erkannt haben und dass wir da nicht nur jetzt bei der Lebensleistungsrente Fortschritte machen müssen, sondern wirklich eine Rentenreform benötigen, die ihrem Namen auch Rechnung trägt.
    "Es droht eine Delegitimisierung der Politik"
    Barenberg: Heißt das, Sie fordern und wünschen sich eine große Generalreform, die an die Prinzipien geht, oder, wie Kritiker sagen, man müsste sich um besondere Gruppen kümmern, die das größte Risiko tragen, Hartz-IV-Empfänger beispielsweise oder Leute mit Minijobs, Erwerbsunfähige, Arbeitnehmer mit großen Lücken in ihrer Erwerbsbiografie? Ist es nicht sinnvoller, bei diesen Gruppen anzufangen, statt jetzt eine große Reform auf den Weg zu bringen, die viel Geld kosten würde?
    Hoffmann: Ich glaube, wir brauchen schon einen grundlegenden Kurswechsel in der Rentenpolitik, der der Gefahr entgegensteuert, dass Menschen, die 40, 50 Jahre hart gearbeitet haben, anschließend beim Sozialhilfeniveau landen. Deshalb sagen wir, die erste Aufgabe wird sein, die Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus sicherzustellen.
    Wenn dieses nicht gelingt, dann droht uns in wenigen Jahren Altersarmut und eine Delegitimisierung der Politik, insbesondere der Rentenpolitik. Deshalb ist es richtig, dieses Thema jetzt aufzugreifen. Ich bin skeptisch, ob das wirklich in der Großen Koalition gelingt. Aber die Einschätzung, die ja auch von Ihnen schon gesagt wurde, dass dieses ein Thema für den Wahlkampf werden wird, ist mit Sicherheit uneingeschränkt richtig, wenn wir nichts machen.
    Länger gesund durch die Arbeitswelt
    Barenberg: Herr Hoffmann, Sie sind also dafür, dass die Rentenbeiträge auf 24 Prozent steigen werden bis 2030? Wer soll das bezahlen?
    Hoffmann: Soweit sind wir noch gar nicht. Das schauen wir uns doch erst mal genauer an, wenn im Herbst die Rentenvorausschau vorgelegt wird vom Bundesarbeitsministerium. Ich glaube, eine ganz wichtige Kernaufgabe wird sein, dass es uns gelingt, dass Menschen länger gesund durchs Erwerbsleben gehen können, weil dann werden ordentliche Beiträge gezahlt und dann kann das Rentenniveau auch wirklich stabilisiert werden.
    Wir erleben doch gegenwärtig, dass beispielsweise bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über 60 nur noch 50 Prozent davon erwerbstätig sind. Das heißt, wir müssen beides uns anschauen. Die Finanzierung ist eine ganz wichtige Baustelle, aber zugleich geht es uns auch darum, dass Menschen gesund durch die Arbeitswelt gehen können, um dann am Ende eines harten Berufslebens auch eine ordentliche Rente zu bekommen, von der sie leben können.
    Barenberg: Reiner Hoffmann, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen, Herr Hoffmann.
    Hoffmann: Ich danke Ihnen, Herr Barenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.